Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Prometheus und Zarathustra In einer wundervollen kleinen Novelle: "Bergamo" erzählt Jens Peter Spittelers Pessimismus, der konsequenteste, den ich bisher gefunden habe, Wir sehen dagegen Nietzsche als vollblütigen Optimisten. Er hat das Prometheus und Zarathustra In einer wundervollen kleinen Novelle: „Bergamo" erzählt Jens Peter Spittelers Pessimismus, der konsequenteste, den ich bisher gefunden habe, Wir sehen dagegen Nietzsche als vollblütigen Optimisten. Er hat das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322725"/> <fw type="header" place="top"> Prometheus und Zarathustra</fw><lb/> <p xml:id="ID_1515"> In einer wundervollen kleinen Novelle: „Bergamo" erzählt Jens Peter<lb/> Jacobsen von einem Prediger, der die Seelen mit der Schreckensbotschaft auf¬<lb/> gepeitscht hat: Christus hätte den Tod nicht erlitten, sondern die Unmöglichkeit<lb/> der Erlösung kurz vor dem consummutum eingesehen, „sich vom Kreuz gerissen<lb/> und gen Himmel gefahren, — wir sind nicht erlöst," Das ist auch Spittelers<lb/> Antwort, er wiederholt sie zweimal im „Olympischen Frühling", aber sein Lied<lb/> vom Lande Meon hätte allein genügt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1516"> Spittelers Pessimismus, der konsequenteste, den ich bisher gefunden habe,<lb/> bleibt bei diesem Negationen nicht stehen. Er dringt zu einem höchsten, letzten<lb/> Wert vor, der aber seiner Verneinung die Krone aufsetzt und der nicht seine,<lb/> sondern die epische Weltanschauung für alle Zeiten darstellt. Nachdem er alle<lb/> Werte, die dem Menschen erdenkbar und erlebbar, strahlend vorgeführt, durchlebt,<lb/> Hereu Gebrochenheit erfahren hat, bleibt ein einziger Wert, den der Epiker in<lb/> die Ewigkeit hinüberrettet und damit seiner Weisheitsschlange sich in den Schwanz<lb/> beißen läßt: „Denn der Weisheit letzte — ist der Schein!" „Willkommen WeibI<lb/> Du einzig lebenswerte Lüge!" Für Spitteler gibt es kein „Ding an sich".</p><lb/> <p xml:id="ID_1517"> Wir sehen dagegen Nietzsche als vollblütigen Optimisten. Er hat das<lb/> „Ding an sich" bekämpft, ist aber davon nicht losgekommen. Nietzsche ist doch<lb/> Prophet, der lehren und bessern will und an den Übermenschen glaubt und ein<lb/> Heil erwartet. Er stellt kein Schicksal dar, er unterrichtet, wobei Wert und<lb/> Tiefe seines Unterrichts nichts zur Sache zu sagen haben. Bei Spitteler kommt<lb/> ein absoluter Pessimismus als unwillkürliche, ja von ihm ungeahnte Abstraktion<lb/> seiner Weltenschicksalsschilderung zutage, vor dem er, selber erstaunt, stehen bleibt;<lb/> vielleicht dachte er sichs garnicht, daß es so schlimm um uns steht und nun geht<lb/> er lächelnd weiter, froh, daß seine Gestalten ihn über seine Philosophie belehrt<lb/> haben. Nietzsche schlägt den Mantel des Zarathustra um sich, wie der<lb/> Prediger den Talar und geht hin, seinen Glauben an ein Diesseits, an eine<lb/> Erdennacht des Übermenschen zu verkünden, er geht hin, den Galiläer zu be¬<lb/> kämpfen, dem wir alle zwei Jahrhunderte regelmäßig einen feindlichen Ritter<lb/> an den Hals zu schicken gewohnt sind, er bekämpft ihn mit feinen eigenen<lb/> Waffen, glaubt an eine neue Erlösung und hat den Imperativ überall im<lb/> Munde, wo Spitteler das Jmperfektum gebraucht. Er spricht: Du sollst, —<lb/> wo dieser sagt: es war. Zwischen den beiden zu wählen — wenn wir schon<lb/> das verfluchte Wählen nicht lassen können — ist weder eine poetische,<lb/> noch eine philosophische Wertfrage, sondern eine Frage des Temperaments.<lb/> Es sind zwei inkommensurable Größen. Was haben diese Männer mit¬<lb/> einander zu schaffen? Nichts. Höchstens dieses: daß beide den Gedanken¬<lb/> inhalt derselben weltgeschichtlichen Stunde, da die Begründung des Reiches und<lb/> die Deszendenztheorie alle Geister in Bann schlug, in der Einheit der eigenen<lb/> Persönlichkeit bewältigen konnten. Der eine ward berufen, um ihn lehrend<lb/> auszusprechen, der andere um ihn erlebend zu gestalten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0323]
Prometheus und Zarathustra
In einer wundervollen kleinen Novelle: „Bergamo" erzählt Jens Peter
Jacobsen von einem Prediger, der die Seelen mit der Schreckensbotschaft auf¬
gepeitscht hat: Christus hätte den Tod nicht erlitten, sondern die Unmöglichkeit
der Erlösung kurz vor dem consummutum eingesehen, „sich vom Kreuz gerissen
und gen Himmel gefahren, — wir sind nicht erlöst," Das ist auch Spittelers
Antwort, er wiederholt sie zweimal im „Olympischen Frühling", aber sein Lied
vom Lande Meon hätte allein genügt.
Spittelers Pessimismus, der konsequenteste, den ich bisher gefunden habe,
bleibt bei diesem Negationen nicht stehen. Er dringt zu einem höchsten, letzten
Wert vor, der aber seiner Verneinung die Krone aufsetzt und der nicht seine,
sondern die epische Weltanschauung für alle Zeiten darstellt. Nachdem er alle
Werte, die dem Menschen erdenkbar und erlebbar, strahlend vorgeführt, durchlebt,
Hereu Gebrochenheit erfahren hat, bleibt ein einziger Wert, den der Epiker in
die Ewigkeit hinüberrettet und damit seiner Weisheitsschlange sich in den Schwanz
beißen läßt: „Denn der Weisheit letzte — ist der Schein!" „Willkommen WeibI
Du einzig lebenswerte Lüge!" Für Spitteler gibt es kein „Ding an sich".
Wir sehen dagegen Nietzsche als vollblütigen Optimisten. Er hat das
„Ding an sich" bekämpft, ist aber davon nicht losgekommen. Nietzsche ist doch
Prophet, der lehren und bessern will und an den Übermenschen glaubt und ein
Heil erwartet. Er stellt kein Schicksal dar, er unterrichtet, wobei Wert und
Tiefe seines Unterrichts nichts zur Sache zu sagen haben. Bei Spitteler kommt
ein absoluter Pessimismus als unwillkürliche, ja von ihm ungeahnte Abstraktion
seiner Weltenschicksalsschilderung zutage, vor dem er, selber erstaunt, stehen bleibt;
vielleicht dachte er sichs garnicht, daß es so schlimm um uns steht und nun geht
er lächelnd weiter, froh, daß seine Gestalten ihn über seine Philosophie belehrt
haben. Nietzsche schlägt den Mantel des Zarathustra um sich, wie der
Prediger den Talar und geht hin, seinen Glauben an ein Diesseits, an eine
Erdennacht des Übermenschen zu verkünden, er geht hin, den Galiläer zu be¬
kämpfen, dem wir alle zwei Jahrhunderte regelmäßig einen feindlichen Ritter
an den Hals zu schicken gewohnt sind, er bekämpft ihn mit feinen eigenen
Waffen, glaubt an eine neue Erlösung und hat den Imperativ überall im
Munde, wo Spitteler das Jmperfektum gebraucht. Er spricht: Du sollst, —
wo dieser sagt: es war. Zwischen den beiden zu wählen — wenn wir schon
das verfluchte Wählen nicht lassen können — ist weder eine poetische,
noch eine philosophische Wertfrage, sondern eine Frage des Temperaments.
Es sind zwei inkommensurable Größen. Was haben diese Männer mit¬
einander zu schaffen? Nichts. Höchstens dieses: daß beide den Gedanken¬
inhalt derselben weltgeschichtlichen Stunde, da die Begründung des Reiches und
die Deszendenztheorie alle Geister in Bann schlug, in der Einheit der eigenen
Persönlichkeit bewältigen konnten. Der eine ward berufen, um ihn lehrend
auszusprechen, der andere um ihn erlebend zu gestalten.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |