Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegel

[Beginn Spaltensatz]

an den Staat, an die Kommunen und an
Private gegen vereinbarten, bestimmten Lohn
verdingen. Mitglieder des neuen Mittel¬
standes sind somit die Konstrukteure und Er¬
finder aller technischen Fortschritte, die seit
dreißig Jahren gemacht worden sind; selten
befindet sich unter diesen ein Unternehmer.
Mitglieder des neuen Mittelstandes sind die
Präsidenten, Direktoren, Betriebsleiter aller
der Verkehrsmittel, die wir in ihrem heutigen
Zustande bewundern -- etwa von Post, Tele¬
graph, Telephon, Eisenbahn, Schiffahrt usw.
Mitglieder des neuen Mittelstandes sind die
Chemiker, die dem industriellen Unternehmer
immer neue Verwendungsmöglichkeiten für
die Kohle, die dem Landwirt den Gebrauch
des Kali und sonstigen künstlichen Düngers
gezeigt haben. Mitglieder des neuen Mittel¬
standes sind die meisten kühnen Seefahrer

[Spaltenumbruch]

und Forscher, die während der letzten dreißig
Jahre mit dem Gelde der Hamburger Reeber
oder Berliner Bankiers den deutschen Handel
über die Meere führten, die in China Eisen¬
bahnen, in Brasilien elektrische Kraftstationen
anlegten. Mitglieder des neuen Mittelstandes
sind auch alle die Angestellten der Wirtschasts-
verbände, mögen sie nun Syndizi, Sekretäre
oder Redakteure heißen, die für hohe Zölle,
hohe Preise und für niedrige Löhne und
gegen soziale Lasten kämpfen, damit die
Hände des Volkskörpers, eben die Unternehmer
aller Grade sich rühren können. Auch der
Redakteur der Deutschen Tageszeitung, der
die am Anfang zitierte Notiz schrieb, ist ein
Mitglied des neuen Mittelstandes und somit
ein Partikelchen Gehirn von unserem Volks¬
körper -- ein geistiger Führer für die land¬
G. Li. wirtschaftlichen Unternehmer.

[Ende Spaltensatz]


Reichsspiegel
Der Balkankrieg und die Lage

Der Zusammenbruch der türkischen Armee -- Unmöglichkeit abschließend zu urteilen --
Die Haltung der Mächte -- ein Kuriosum

Die Türkei liegt am Boden, ihre Armee befindet sich in einem Zustande,
der der Vernichtung fast gleichkommt. Sie wird gewiß noch Schlachten
schlagen, wenn es gelingt die asiatischen halbwilden Stämme noch recht¬
zeitig zum Schlagen zu bringen, sie wird Konstantinopel verteidigen, aber
ihren Ruf könnte sie nur wiederherstellen durch die Säuberung türkischen
Bodens vom Feinde aus eigener Kraft. Soviel aus den Berichten der
Tagespresse zu entnehmen ist, kann damit kaum noch gerechnet werden. Die
türkischen Truppen liefen auseinander; sie sind höchstens noch hinter dem schützenden


Reichsspiegel

[Beginn Spaltensatz]

an den Staat, an die Kommunen und an
Private gegen vereinbarten, bestimmten Lohn
verdingen. Mitglieder des neuen Mittel¬
standes sind somit die Konstrukteure und Er¬
finder aller technischen Fortschritte, die seit
dreißig Jahren gemacht worden sind; selten
befindet sich unter diesen ein Unternehmer.
Mitglieder des neuen Mittelstandes sind die
Präsidenten, Direktoren, Betriebsleiter aller
der Verkehrsmittel, die wir in ihrem heutigen
Zustande bewundern — etwa von Post, Tele¬
graph, Telephon, Eisenbahn, Schiffahrt usw.
Mitglieder des neuen Mittelstandes sind die
Chemiker, die dem industriellen Unternehmer
immer neue Verwendungsmöglichkeiten für
die Kohle, die dem Landwirt den Gebrauch
des Kali und sonstigen künstlichen Düngers
gezeigt haben. Mitglieder des neuen Mittel¬
standes sind die meisten kühnen Seefahrer

[Spaltenumbruch]

und Forscher, die während der letzten dreißig
Jahre mit dem Gelde der Hamburger Reeber
oder Berliner Bankiers den deutschen Handel
über die Meere führten, die in China Eisen¬
bahnen, in Brasilien elektrische Kraftstationen
anlegten. Mitglieder des neuen Mittelstandes
sind auch alle die Angestellten der Wirtschasts-
verbände, mögen sie nun Syndizi, Sekretäre
oder Redakteure heißen, die für hohe Zölle,
hohe Preise und für niedrige Löhne und
gegen soziale Lasten kämpfen, damit die
Hände des Volkskörpers, eben die Unternehmer
aller Grade sich rühren können. Auch der
Redakteur der Deutschen Tageszeitung, der
die am Anfang zitierte Notiz schrieb, ist ein
Mitglied des neuen Mittelstandes und somit
ein Partikelchen Gehirn von unserem Volks¬
körper — ein geistiger Führer für die land¬
G. Li. wirtschaftlichen Unternehmer.

[Ende Spaltensatz]


Reichsspiegel
Der Balkankrieg und die Lage

Der Zusammenbruch der türkischen Armee — Unmöglichkeit abschließend zu urteilen —
Die Haltung der Mächte — ein Kuriosum

Die Türkei liegt am Boden, ihre Armee befindet sich in einem Zustande,
der der Vernichtung fast gleichkommt. Sie wird gewiß noch Schlachten
schlagen, wenn es gelingt die asiatischen halbwilden Stämme noch recht¬
zeitig zum Schlagen zu bringen, sie wird Konstantinopel verteidigen, aber
ihren Ruf könnte sie nur wiederherstellen durch die Säuberung türkischen
Bodens vom Feinde aus eigener Kraft. Soviel aus den Berichten der
Tagespresse zu entnehmen ist, kann damit kaum noch gerechnet werden. Die
türkischen Truppen liefen auseinander; sie sind höchstens noch hinter dem schützenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322695"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_1398" prev="#ID_1397" next="#ID_1399"> an den Staat, an die Kommunen und an<lb/>
Private gegen vereinbarten, bestimmten Lohn<lb/>
verdingen. Mitglieder des neuen Mittel¬<lb/>
standes sind somit die Konstrukteure und Er¬<lb/>
finder aller technischen Fortschritte, die seit<lb/>
dreißig Jahren gemacht worden sind; selten<lb/>
befindet sich unter diesen ein Unternehmer.<lb/>
Mitglieder des neuen Mittelstandes sind die<lb/>
Präsidenten, Direktoren, Betriebsleiter aller<lb/>
der Verkehrsmittel, die wir in ihrem heutigen<lb/>
Zustande bewundern &#x2014; etwa von Post, Tele¬<lb/>
graph, Telephon, Eisenbahn, Schiffahrt usw.<lb/>
Mitglieder des neuen Mittelstandes sind die<lb/>
Chemiker, die dem industriellen Unternehmer<lb/>
immer neue Verwendungsmöglichkeiten für<lb/>
die Kohle, die dem Landwirt den Gebrauch<lb/>
des Kali und sonstigen künstlichen Düngers<lb/>
gezeigt haben. Mitglieder des neuen Mittel¬<lb/>
standes sind die meisten kühnen Seefahrer</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1399" prev="#ID_1398"> und Forscher, die während der letzten dreißig<lb/>
Jahre mit dem Gelde der Hamburger Reeber<lb/>
oder Berliner Bankiers den deutschen Handel<lb/>
über die Meere führten, die in China Eisen¬<lb/>
bahnen, in Brasilien elektrische Kraftstationen<lb/>
anlegten. Mitglieder des neuen Mittelstandes<lb/>
sind auch alle die Angestellten der Wirtschasts-<lb/>
verbände, mögen sie nun Syndizi, Sekretäre<lb/>
oder Redakteure heißen, die für hohe Zölle,<lb/>
hohe Preise und für niedrige Löhne und<lb/>
gegen soziale Lasten kämpfen, damit die<lb/>
Hände des Volkskörpers, eben die Unternehmer<lb/>
aller Grade sich rühren können. Auch der<lb/>
Redakteur der Deutschen Tageszeitung, der<lb/>
die am Anfang zitierte Notiz schrieb, ist ein<lb/>
Mitglied des neuen Mittelstandes und somit<lb/>
ein Partikelchen Gehirn von unserem Volks¬<lb/>
körper &#x2014; ein geistiger Führer für die land¬<lb/><note type="byline"> G. Li.</note> wirtschaftlichen Unternehmer.    </p>
            <cb type="end"/><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Der Balkankrieg und die Lage</head><lb/>
            <note type="argument"> Der Zusammenbruch der türkischen Armee &#x2014; Unmöglichkeit abschließend zu urteilen &#x2014;<lb/>
Die Haltung der Mächte &#x2014; ein Kuriosum</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1400" next="#ID_1401"> Die Türkei liegt am Boden, ihre Armee befindet sich in einem Zustande,<lb/>
der der Vernichtung fast gleichkommt. Sie wird gewiß noch Schlachten<lb/>
schlagen, wenn es gelingt die asiatischen halbwilden Stämme noch recht¬<lb/>
zeitig zum Schlagen zu bringen, sie wird Konstantinopel verteidigen, aber<lb/>
ihren Ruf könnte sie nur wiederherstellen durch die Säuberung türkischen<lb/>
Bodens vom Feinde aus eigener Kraft. Soviel aus den Berichten der<lb/>
Tagespresse zu entnehmen ist, kann damit kaum noch gerechnet werden. Die<lb/>
türkischen Truppen liefen auseinander; sie sind höchstens noch hinter dem schützenden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0293] Reichsspiegel an den Staat, an die Kommunen und an Private gegen vereinbarten, bestimmten Lohn verdingen. Mitglieder des neuen Mittel¬ standes sind somit die Konstrukteure und Er¬ finder aller technischen Fortschritte, die seit dreißig Jahren gemacht worden sind; selten befindet sich unter diesen ein Unternehmer. Mitglieder des neuen Mittelstandes sind die Präsidenten, Direktoren, Betriebsleiter aller der Verkehrsmittel, die wir in ihrem heutigen Zustande bewundern — etwa von Post, Tele¬ graph, Telephon, Eisenbahn, Schiffahrt usw. Mitglieder des neuen Mittelstandes sind die Chemiker, die dem industriellen Unternehmer immer neue Verwendungsmöglichkeiten für die Kohle, die dem Landwirt den Gebrauch des Kali und sonstigen künstlichen Düngers gezeigt haben. Mitglieder des neuen Mittel¬ standes sind die meisten kühnen Seefahrer und Forscher, die während der letzten dreißig Jahre mit dem Gelde der Hamburger Reeber oder Berliner Bankiers den deutschen Handel über die Meere führten, die in China Eisen¬ bahnen, in Brasilien elektrische Kraftstationen anlegten. Mitglieder des neuen Mittelstandes sind auch alle die Angestellten der Wirtschasts- verbände, mögen sie nun Syndizi, Sekretäre oder Redakteure heißen, die für hohe Zölle, hohe Preise und für niedrige Löhne und gegen soziale Lasten kämpfen, damit die Hände des Volkskörpers, eben die Unternehmer aller Grade sich rühren können. Auch der Redakteur der Deutschen Tageszeitung, der die am Anfang zitierte Notiz schrieb, ist ein Mitglied des neuen Mittelstandes und somit ein Partikelchen Gehirn von unserem Volks¬ körper — ein geistiger Führer für die land¬ G. Li. wirtschaftlichen Unternehmer. Reichsspiegel Der Balkankrieg und die Lage Der Zusammenbruch der türkischen Armee — Unmöglichkeit abschließend zu urteilen — Die Haltung der Mächte — ein Kuriosum Die Türkei liegt am Boden, ihre Armee befindet sich in einem Zustande, der der Vernichtung fast gleichkommt. Sie wird gewiß noch Schlachten schlagen, wenn es gelingt die asiatischen halbwilden Stämme noch recht¬ zeitig zum Schlagen zu bringen, sie wird Konstantinopel verteidigen, aber ihren Ruf könnte sie nur wiederherstellen durch die Säuberung türkischen Bodens vom Feinde aus eigener Kraft. Soviel aus den Berichten der Tagespresse zu entnehmen ist, kann damit kaum noch gerechnet werden. Die türkischen Truppen liefen auseinander; sie sind höchstens noch hinter dem schützenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/293
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/293>, abgerufen am 15.01.2025.