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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Er nimmt hier von vornherein zwei ent¬
gegengesetzte Strömungen an, deren eine er
als die "nationale Jdealmalerei", die andere
-- etwas sehr umständlich -- als die "in
lokaler Begrenzung sich entwickelnde Wirk¬
lichkeitskunst" bezeichnet. Die erstere scheidet
er in zwei Gruppen: die Nazarener mit ihren
Nachfolgern und die Deutsch - Römer (Böcklin,
Feuerbach, MarLes, Klinger, Thoma). Bei
den Nazarenern werden wiederum von der
eigentlichen Geschichts- und Legendenmalerei
(einschließlich Schwind und Richter, dann
Kaulbach, Piloty, Makart, Gebhardt u. a.)
die Bildnis- und Landschaftsmaler (Wasman,
Janßen, Robben, Koch, Preller, Schirmer u. a.)
abgesondert. Ist hier die Gruppierung noch
vorwiegend historisch durchgeführt, so wird bei
dem Abschnitt über die realistisch-impressio¬
nistische Richtung der topographische Gesichts¬
punkt vorangestellt.

An erster Stelle finden die Berliner "Wirk¬
lichkeitsmaler", vor allen Schadow, Krüger,
Blechen und Menzel eine sachliche und aus¬
führliche Würdigung, dann werden nachein¬
ander die Düsseldorfer Akademiker (Hasen¬
clever, Kraus, Vautier, Ueberhand u. a.), die
Vertreter des Münchener "Atelierstils" (Kobell,
Spitzweg, Lier, Defregger u. a.), die Wiener
(Waldmüller, Pettenkofer, v. Alt), die Dres¬
dener (Friedrich, Dahl, Rayski), die Frank¬
furter (Hausmann, Burnitz, Schmitson) und
die Weimarer Schule (Preller, Buchholz), je
nach ihrer Bedeutung an sich und für die
Nationalgalerie im besonderen kürzer oder
eingehender behandelt.

Ein weiteres Kapitel ist W. Leiht und dem
"süddeutschen Malerkreis" (d. h. Trübner,
Schund, spert, Thoma, Diez, Habermann,
Zügel, Schönleber, Lenbach u. a.) gewidmet,
dem im nächsten Abschnitt M. Liebermann
und der "norddeutsche Malerkreis" (d. h.
Abbe, Kuehl, Dettmann, Skarbina, Leistikow
u. a.) gegenübergestellt werden.

Darauf wendet sich der Verfasser den
"fremden Vorbildern" zu, deren malerische
Eigenart er knapp charakterisiert, wobei er
besonders für die Bedeutung der von Tschudi
unter so manchen Kämpfen erworbenen Fran¬
zosen mit großem Eifer eintritt.

Endlich wird eine Übersicht über die Plastik
des neunzehnten Jahrhunderts unter Hervor¬

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hebung der bedeutendsten vertretenen Künstler
(Schadow, Rauch, Begas, Hildevrcmd, Gaul,
Robim, Meunier, Maillot) versucht und mit
berechtigtem Nachdruck auf die mannigfachen
Mängel und Lücken dieser Abteilung hin¬
gewiesen. In einem Schlußwort skizziert
Scheffler dann noch die Zukunft der Na¬
tionalgalerie und ihre Aufgaben, wie er sie
sich vorstellt.

Der Hauptvorzug dieses Buches ist in den
ausführlicheren Betrachtungen zu suchen, die
einzelne dem Verfasser besonders sympathische
Künstlerpersönlichkeiten (Feuerbach, Marsch,
Schund, Leiht, Trübner, Liebermann) gefunden
haben; er gibt in diesen Fällen eine gute
Charakteristik ihrer Eigenart und erfreut durch
eine liebevolle Schilderung ihres Schaffens.
Bei denjenigen hingegen, die seinem subjek¬
tiven Empfinden ferner stehen (Schwind,
Richter, Böcklin, Thoma u. a.), erscheint er
befangen und seine Urteile sind vielfach un¬
gerecht. Man gewinnt hier überhaupt den
Eindruck, daß er schon bei der Einteilung,
des Materials sehr eigensinnig vorgegangen
ist; es fehlt völlig die bei derartigen
Handbüchern unumgängliche Objektivität,,
der Abstand von Epochen, Personen und
Werken.

Schondie gewaltsame Scheidung in "Jdeal¬
malerei" und "Wirklichkeitskunst" muß als
ein grundsätzlicher Fehlgriff erscheinen, denn
er nötigt den Verfasser, jeden zu behandeln¬
den Künstler hier oder da einzuordnen, als
ob für das neunzehnte Jahrhundert eine
doppelte Kunstgeschichtsschreibung Vonnöten sei
und als ob nicht in so und so vielen Füllen
ein Ausgleich zwischen beiden Richtungen
stattgefunden hätte. Viele wesentliche Zu¬
sammenhange werden durch dieses System
zerstört und oft bleiben enge Beziehungen
unerwähnt. Dazu kommt der in der Auf¬
gabestellung liegende Übelstand, daß die
in der Nationalgalerie nicht vertretenen
Maler überhaupt nicht genannt werden; es
hätte sich Wohl empfohlen, die bedeutenderen
unter ihnen (wie Stuck und viele andere
Münchener), wenigstens rin dem Namen an
geeigneter Stelle einzufügen, wodurch dann
auch die Lücken und Mängel der Knnst-
sammlung klarer zum Ausdruck gebracht
worden wären.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Er nimmt hier von vornherein zwei ent¬
gegengesetzte Strömungen an, deren eine er
als die „nationale Jdealmalerei", die andere
— etwas sehr umständlich — als die „in
lokaler Begrenzung sich entwickelnde Wirk¬
lichkeitskunst" bezeichnet. Die erstere scheidet
er in zwei Gruppen: die Nazarener mit ihren
Nachfolgern und die Deutsch - Römer (Böcklin,
Feuerbach, MarLes, Klinger, Thoma). Bei
den Nazarenern werden wiederum von der
eigentlichen Geschichts- und Legendenmalerei
(einschließlich Schwind und Richter, dann
Kaulbach, Piloty, Makart, Gebhardt u. a.)
die Bildnis- und Landschaftsmaler (Wasman,
Janßen, Robben, Koch, Preller, Schirmer u. a.)
abgesondert. Ist hier die Gruppierung noch
vorwiegend historisch durchgeführt, so wird bei
dem Abschnitt über die realistisch-impressio¬
nistische Richtung der topographische Gesichts¬
punkt vorangestellt.

An erster Stelle finden die Berliner „Wirk¬
lichkeitsmaler", vor allen Schadow, Krüger,
Blechen und Menzel eine sachliche und aus¬
führliche Würdigung, dann werden nachein¬
ander die Düsseldorfer Akademiker (Hasen¬
clever, Kraus, Vautier, Ueberhand u. a.), die
Vertreter des Münchener „Atelierstils" (Kobell,
Spitzweg, Lier, Defregger u. a.), die Wiener
(Waldmüller, Pettenkofer, v. Alt), die Dres¬
dener (Friedrich, Dahl, Rayski), die Frank¬
furter (Hausmann, Burnitz, Schmitson) und
die Weimarer Schule (Preller, Buchholz), je
nach ihrer Bedeutung an sich und für die
Nationalgalerie im besonderen kürzer oder
eingehender behandelt.

Ein weiteres Kapitel ist W. Leiht und dem
„süddeutschen Malerkreis" (d. h. Trübner,
Schund, spert, Thoma, Diez, Habermann,
Zügel, Schönleber, Lenbach u. a.) gewidmet,
dem im nächsten Abschnitt M. Liebermann
und der „norddeutsche Malerkreis" (d. h.
Abbe, Kuehl, Dettmann, Skarbina, Leistikow
u. a.) gegenübergestellt werden.

Darauf wendet sich der Verfasser den
„fremden Vorbildern" zu, deren malerische
Eigenart er knapp charakterisiert, wobei er
besonders für die Bedeutung der von Tschudi
unter so manchen Kämpfen erworbenen Fran¬
zosen mit großem Eifer eintritt.

Endlich wird eine Übersicht über die Plastik
des neunzehnten Jahrhunderts unter Hervor¬

[Spaltenumbruch]

hebung der bedeutendsten vertretenen Künstler
(Schadow, Rauch, Begas, Hildevrcmd, Gaul,
Robim, Meunier, Maillot) versucht und mit
berechtigtem Nachdruck auf die mannigfachen
Mängel und Lücken dieser Abteilung hin¬
gewiesen. In einem Schlußwort skizziert
Scheffler dann noch die Zukunft der Na¬
tionalgalerie und ihre Aufgaben, wie er sie
sich vorstellt.

Der Hauptvorzug dieses Buches ist in den
ausführlicheren Betrachtungen zu suchen, die
einzelne dem Verfasser besonders sympathische
Künstlerpersönlichkeiten (Feuerbach, Marsch,
Schund, Leiht, Trübner, Liebermann) gefunden
haben; er gibt in diesen Fällen eine gute
Charakteristik ihrer Eigenart und erfreut durch
eine liebevolle Schilderung ihres Schaffens.
Bei denjenigen hingegen, die seinem subjek¬
tiven Empfinden ferner stehen (Schwind,
Richter, Böcklin, Thoma u. a.), erscheint er
befangen und seine Urteile sind vielfach un¬
gerecht. Man gewinnt hier überhaupt den
Eindruck, daß er schon bei der Einteilung,
des Materials sehr eigensinnig vorgegangen
ist; es fehlt völlig die bei derartigen
Handbüchern unumgängliche Objektivität,,
der Abstand von Epochen, Personen und
Werken.

Schondie gewaltsame Scheidung in „Jdeal¬
malerei" und „Wirklichkeitskunst" muß als
ein grundsätzlicher Fehlgriff erscheinen, denn
er nötigt den Verfasser, jeden zu behandeln¬
den Künstler hier oder da einzuordnen, als
ob für das neunzehnte Jahrhundert eine
doppelte Kunstgeschichtsschreibung Vonnöten sei
und als ob nicht in so und so vielen Füllen
ein Ausgleich zwischen beiden Richtungen
stattgefunden hätte. Viele wesentliche Zu¬
sammenhange werden durch dieses System
zerstört und oft bleiben enge Beziehungen
unerwähnt. Dazu kommt der in der Auf¬
gabestellung liegende Übelstand, daß die
in der Nationalgalerie nicht vertretenen
Maler überhaupt nicht genannt werden; es
hätte sich Wohl empfohlen, die bedeutenderen
unter ihnen (wie Stuck und viele andere
Münchener), wenigstens rin dem Namen an
geeigneter Stelle einzufügen, wodurch dann
auch die Lücken und Mängel der Knnst-
sammlung klarer zum Ausdruck gebracht
worden wären.

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[0291] Maßgebliches und Unmaßgebliches Er nimmt hier von vornherein zwei ent¬ gegengesetzte Strömungen an, deren eine er als die „nationale Jdealmalerei", die andere — etwas sehr umständlich — als die „in lokaler Begrenzung sich entwickelnde Wirk¬ lichkeitskunst" bezeichnet. Die erstere scheidet er in zwei Gruppen: die Nazarener mit ihren Nachfolgern und die Deutsch - Römer (Böcklin, Feuerbach, MarLes, Klinger, Thoma). Bei den Nazarenern werden wiederum von der eigentlichen Geschichts- und Legendenmalerei (einschließlich Schwind und Richter, dann Kaulbach, Piloty, Makart, Gebhardt u. a.) die Bildnis- und Landschaftsmaler (Wasman, Janßen, Robben, Koch, Preller, Schirmer u. a.) abgesondert. Ist hier die Gruppierung noch vorwiegend historisch durchgeführt, so wird bei dem Abschnitt über die realistisch-impressio¬ nistische Richtung der topographische Gesichts¬ punkt vorangestellt. An erster Stelle finden die Berliner „Wirk¬ lichkeitsmaler", vor allen Schadow, Krüger, Blechen und Menzel eine sachliche und aus¬ führliche Würdigung, dann werden nachein¬ ander die Düsseldorfer Akademiker (Hasen¬ clever, Kraus, Vautier, Ueberhand u. a.), die Vertreter des Münchener „Atelierstils" (Kobell, Spitzweg, Lier, Defregger u. a.), die Wiener (Waldmüller, Pettenkofer, v. Alt), die Dres¬ dener (Friedrich, Dahl, Rayski), die Frank¬ furter (Hausmann, Burnitz, Schmitson) und die Weimarer Schule (Preller, Buchholz), je nach ihrer Bedeutung an sich und für die Nationalgalerie im besonderen kürzer oder eingehender behandelt. Ein weiteres Kapitel ist W. Leiht und dem „süddeutschen Malerkreis" (d. h. Trübner, Schund, spert, Thoma, Diez, Habermann, Zügel, Schönleber, Lenbach u. a.) gewidmet, dem im nächsten Abschnitt M. Liebermann und der „norddeutsche Malerkreis" (d. h. Abbe, Kuehl, Dettmann, Skarbina, Leistikow u. a.) gegenübergestellt werden. Darauf wendet sich der Verfasser den „fremden Vorbildern" zu, deren malerische Eigenart er knapp charakterisiert, wobei er besonders für die Bedeutung der von Tschudi unter so manchen Kämpfen erworbenen Fran¬ zosen mit großem Eifer eintritt. Endlich wird eine Übersicht über die Plastik des neunzehnten Jahrhunderts unter Hervor¬ hebung der bedeutendsten vertretenen Künstler (Schadow, Rauch, Begas, Hildevrcmd, Gaul, Robim, Meunier, Maillot) versucht und mit berechtigtem Nachdruck auf die mannigfachen Mängel und Lücken dieser Abteilung hin¬ gewiesen. In einem Schlußwort skizziert Scheffler dann noch die Zukunft der Na¬ tionalgalerie und ihre Aufgaben, wie er sie sich vorstellt. Der Hauptvorzug dieses Buches ist in den ausführlicheren Betrachtungen zu suchen, die einzelne dem Verfasser besonders sympathische Künstlerpersönlichkeiten (Feuerbach, Marsch, Schund, Leiht, Trübner, Liebermann) gefunden haben; er gibt in diesen Fällen eine gute Charakteristik ihrer Eigenart und erfreut durch eine liebevolle Schilderung ihres Schaffens. Bei denjenigen hingegen, die seinem subjek¬ tiven Empfinden ferner stehen (Schwind, Richter, Böcklin, Thoma u. a.), erscheint er befangen und seine Urteile sind vielfach un¬ gerecht. Man gewinnt hier überhaupt den Eindruck, daß er schon bei der Einteilung, des Materials sehr eigensinnig vorgegangen ist; es fehlt völlig die bei derartigen Handbüchern unumgängliche Objektivität,, der Abstand von Epochen, Personen und Werken. Schondie gewaltsame Scheidung in „Jdeal¬ malerei" und „Wirklichkeitskunst" muß als ein grundsätzlicher Fehlgriff erscheinen, denn er nötigt den Verfasser, jeden zu behandeln¬ den Künstler hier oder da einzuordnen, als ob für das neunzehnte Jahrhundert eine doppelte Kunstgeschichtsschreibung Vonnöten sei und als ob nicht in so und so vielen Füllen ein Ausgleich zwischen beiden Richtungen stattgefunden hätte. Viele wesentliche Zu¬ sammenhange werden durch dieses System zerstört und oft bleiben enge Beziehungen unerwähnt. Dazu kommt der in der Auf¬ gabestellung liegende Übelstand, daß die in der Nationalgalerie nicht vertretenen Maler überhaupt nicht genannt werden; es hätte sich Wohl empfohlen, die bedeutenderen unter ihnen (wie Stuck und viele andere Münchener), wenigstens rin dem Namen an geeigneter Stelle einzufügen, wodurch dann auch die Lücken und Mängel der Knnst- sammlung klarer zum Ausdruck gebracht worden wären.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/291>, abgerufen am 15.01.2025.