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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Erfordernisse der Gesetzessprache

hervortritt, sind die Fachausdrücke in der Gesetzessprache ein wesentliches Mittel,
den Stoff zu bewältigen und sprachlich einheitlich zu gestalten. Bei der Bildung
der Fachausdrücke aber ist Anschaulichkeit und Verständlichkeit von größter Be¬
deutung. Es ist hier dem Gesetzgeber dringend anzuraten, zurückzugreifen in
den reichen Sprachschatz der Vergangenheit, der zum Teil in den Rechtssprich¬
wörtern erhalten ist. Auch in der österreichischen, der schweizerischen und der
niederländischen Gesetzessprache finden sich vielfach Ausdrücke, die sich bei uns
nicht mehr erhalten haben, die aber unsere Gesetzgeber mit Vorteil zur Wieder¬
belebung der Gesetzessprache verwenden könnten.

Ein weiteres Mittel, das dem Gesetzgeber zu Gebote steht, Eintönigkeit und
Weitschweifigkeit in der Ausdrucksweise, namentlich aber Wiederholungen zu
vermeiden, sind die Verweisungen. In größeren Gesetzen läßt sich schwer ohne
sie auskommen. Eine zu häufige Verwendung von Verweisungen aber raubt
der Gesetzessprache Übersichtlichkeit und Anschaulichkeit, weil das, was der Gesetz¬
geber hat sagen wollen, nicht ohne weiteres vor dem Geiste des Lesers steht,
sondern erst durch eine weitere Gedankentätigkeit gewonnen werden muß. Jeden¬
falls müssen die Verweisungen so gehalten sein, daß klar ist, was der Gesetz¬
geber hat sagen wollen. Es müssen also die betreffenden Paragraphen zahlen¬
mäßig angeführt sein, und es empfiehlt sich weiter, auch kurz anzugeben, was
sie enthalten. Die so häufig in unseren Gesetzen wiederkehrende Formel: "Diese
und jene Bestimmungen finden entsprechende Anwendung" ist ganz gewiß nicht
geeignet, klar auszudrücken, was der Gesetzgeber hat sagen wollen, und zwingt
namentlich den Laien zur Entfaltung einer rechtswissenschaftlichen Tätigkeit, zu
der er nicht befähigt ist. Vor allem aber ist es zu vermeiden, daß eine Ver¬
weisung sich durch eine Reihe von Paragraphen hindurchzieht, in der Weise,
daß der erste Paragraph auf einen anderen, dieser wieder auf einen dritten,
der dritte aus einen vierten verweist usw. Dadurch muß sich der Leser erst
durch eine Reihe von Paragraphen hindurchwinden, ehe er weiß, was der Gesetz¬
geber hat sagen wollen. Dieser Fehler findet sich nicht selten im Bürgerlichen
Gesetzbuche.

Die Richtigkeit der Gesetzessprache erscheint als eine so selbstverständliche
Forderung, daß man sie nicht besonders zu betonen braucht, und doch wird ein
strenger Sprachrichter auf diesem Gebiete viel in der Sprache unserer Gesetze
zu rügen finden. Vielfach hängt die Frage nach der Richtigkeit der Gesetzes¬
sprache unmittelbar zusammen mit der Frage nach der Klarheit der Gesetzes¬
sprache. Denn für gewöhnlich ist es nicht wohl denkbar, daß sich jemand klar
ausdrückt, ohne daß seine Ausdrucksweise richtig ist. Die Frage hat eine formelle
und eine inhaltliche Seite. Der Gesetzgeber muß die Sprachregeln befolgen,
über die ja allerdings, wie wir wissen, in einzelnen Fällen große Meinungs¬
verschiedenheiten bestehen, und er muß Sorge tragen, daß der Ausdruck, den
er anwendet, seinen Gedanken genau deckt. Die letztgenannte Forderung ist
weit schwieriger zu erfüllen, als man vielleicht anzunehmen geneigt ist. Ost


Erfordernisse der Gesetzessprache

hervortritt, sind die Fachausdrücke in der Gesetzessprache ein wesentliches Mittel,
den Stoff zu bewältigen und sprachlich einheitlich zu gestalten. Bei der Bildung
der Fachausdrücke aber ist Anschaulichkeit und Verständlichkeit von größter Be¬
deutung. Es ist hier dem Gesetzgeber dringend anzuraten, zurückzugreifen in
den reichen Sprachschatz der Vergangenheit, der zum Teil in den Rechtssprich¬
wörtern erhalten ist. Auch in der österreichischen, der schweizerischen und der
niederländischen Gesetzessprache finden sich vielfach Ausdrücke, die sich bei uns
nicht mehr erhalten haben, die aber unsere Gesetzgeber mit Vorteil zur Wieder¬
belebung der Gesetzessprache verwenden könnten.

Ein weiteres Mittel, das dem Gesetzgeber zu Gebote steht, Eintönigkeit und
Weitschweifigkeit in der Ausdrucksweise, namentlich aber Wiederholungen zu
vermeiden, sind die Verweisungen. In größeren Gesetzen läßt sich schwer ohne
sie auskommen. Eine zu häufige Verwendung von Verweisungen aber raubt
der Gesetzessprache Übersichtlichkeit und Anschaulichkeit, weil das, was der Gesetz¬
geber hat sagen wollen, nicht ohne weiteres vor dem Geiste des Lesers steht,
sondern erst durch eine weitere Gedankentätigkeit gewonnen werden muß. Jeden¬
falls müssen die Verweisungen so gehalten sein, daß klar ist, was der Gesetz¬
geber hat sagen wollen. Es müssen also die betreffenden Paragraphen zahlen¬
mäßig angeführt sein, und es empfiehlt sich weiter, auch kurz anzugeben, was
sie enthalten. Die so häufig in unseren Gesetzen wiederkehrende Formel: „Diese
und jene Bestimmungen finden entsprechende Anwendung" ist ganz gewiß nicht
geeignet, klar auszudrücken, was der Gesetzgeber hat sagen wollen, und zwingt
namentlich den Laien zur Entfaltung einer rechtswissenschaftlichen Tätigkeit, zu
der er nicht befähigt ist. Vor allem aber ist es zu vermeiden, daß eine Ver¬
weisung sich durch eine Reihe von Paragraphen hindurchzieht, in der Weise,
daß der erste Paragraph auf einen anderen, dieser wieder auf einen dritten,
der dritte aus einen vierten verweist usw. Dadurch muß sich der Leser erst
durch eine Reihe von Paragraphen hindurchwinden, ehe er weiß, was der Gesetz¬
geber hat sagen wollen. Dieser Fehler findet sich nicht selten im Bürgerlichen
Gesetzbuche.

Die Richtigkeit der Gesetzessprache erscheint als eine so selbstverständliche
Forderung, daß man sie nicht besonders zu betonen braucht, und doch wird ein
strenger Sprachrichter auf diesem Gebiete viel in der Sprache unserer Gesetze
zu rügen finden. Vielfach hängt die Frage nach der Richtigkeit der Gesetzes¬
sprache unmittelbar zusammen mit der Frage nach der Klarheit der Gesetzes¬
sprache. Denn für gewöhnlich ist es nicht wohl denkbar, daß sich jemand klar
ausdrückt, ohne daß seine Ausdrucksweise richtig ist. Die Frage hat eine formelle
und eine inhaltliche Seite. Der Gesetzgeber muß die Sprachregeln befolgen,
über die ja allerdings, wie wir wissen, in einzelnen Fällen große Meinungs¬
verschiedenheiten bestehen, und er muß Sorge tragen, daß der Ausdruck, den
er anwendet, seinen Gedanken genau deckt. Die letztgenannte Forderung ist
weit schwieriger zu erfüllen, als man vielleicht anzunehmen geneigt ist. Ost


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[0266] Erfordernisse der Gesetzessprache hervortritt, sind die Fachausdrücke in der Gesetzessprache ein wesentliches Mittel, den Stoff zu bewältigen und sprachlich einheitlich zu gestalten. Bei der Bildung der Fachausdrücke aber ist Anschaulichkeit und Verständlichkeit von größter Be¬ deutung. Es ist hier dem Gesetzgeber dringend anzuraten, zurückzugreifen in den reichen Sprachschatz der Vergangenheit, der zum Teil in den Rechtssprich¬ wörtern erhalten ist. Auch in der österreichischen, der schweizerischen und der niederländischen Gesetzessprache finden sich vielfach Ausdrücke, die sich bei uns nicht mehr erhalten haben, die aber unsere Gesetzgeber mit Vorteil zur Wieder¬ belebung der Gesetzessprache verwenden könnten. Ein weiteres Mittel, das dem Gesetzgeber zu Gebote steht, Eintönigkeit und Weitschweifigkeit in der Ausdrucksweise, namentlich aber Wiederholungen zu vermeiden, sind die Verweisungen. In größeren Gesetzen läßt sich schwer ohne sie auskommen. Eine zu häufige Verwendung von Verweisungen aber raubt der Gesetzessprache Übersichtlichkeit und Anschaulichkeit, weil das, was der Gesetz¬ geber hat sagen wollen, nicht ohne weiteres vor dem Geiste des Lesers steht, sondern erst durch eine weitere Gedankentätigkeit gewonnen werden muß. Jeden¬ falls müssen die Verweisungen so gehalten sein, daß klar ist, was der Gesetz¬ geber hat sagen wollen. Es müssen also die betreffenden Paragraphen zahlen¬ mäßig angeführt sein, und es empfiehlt sich weiter, auch kurz anzugeben, was sie enthalten. Die so häufig in unseren Gesetzen wiederkehrende Formel: „Diese und jene Bestimmungen finden entsprechende Anwendung" ist ganz gewiß nicht geeignet, klar auszudrücken, was der Gesetzgeber hat sagen wollen, und zwingt namentlich den Laien zur Entfaltung einer rechtswissenschaftlichen Tätigkeit, zu der er nicht befähigt ist. Vor allem aber ist es zu vermeiden, daß eine Ver¬ weisung sich durch eine Reihe von Paragraphen hindurchzieht, in der Weise, daß der erste Paragraph auf einen anderen, dieser wieder auf einen dritten, der dritte aus einen vierten verweist usw. Dadurch muß sich der Leser erst durch eine Reihe von Paragraphen hindurchwinden, ehe er weiß, was der Gesetz¬ geber hat sagen wollen. Dieser Fehler findet sich nicht selten im Bürgerlichen Gesetzbuche. Die Richtigkeit der Gesetzessprache erscheint als eine so selbstverständliche Forderung, daß man sie nicht besonders zu betonen braucht, und doch wird ein strenger Sprachrichter auf diesem Gebiete viel in der Sprache unserer Gesetze zu rügen finden. Vielfach hängt die Frage nach der Richtigkeit der Gesetzes¬ sprache unmittelbar zusammen mit der Frage nach der Klarheit der Gesetzes¬ sprache. Denn für gewöhnlich ist es nicht wohl denkbar, daß sich jemand klar ausdrückt, ohne daß seine Ausdrucksweise richtig ist. Die Frage hat eine formelle und eine inhaltliche Seite. Der Gesetzgeber muß die Sprachregeln befolgen, über die ja allerdings, wie wir wissen, in einzelnen Fällen große Meinungs¬ verschiedenheiten bestehen, und er muß Sorge tragen, daß der Ausdruck, den er anwendet, seinen Gedanken genau deckt. Die letztgenannte Forderung ist weit schwieriger zu erfüllen, als man vielleicht anzunehmen geneigt ist. Ost

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/266>, abgerufen am 15.01.2025.