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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Max Dcmthendey

reichen und kraftvollen Persönlichkeit ausgewachsen hat, noch heute stellt sich das
Publikum unter seinem Namen einen jener schwer verständlichen Neutöneriche
vor, über welche die Literaturgeschichte, wie es heißt, hinweggehen wird und
den man daher nicht zu lesen braucht.

Anders verhält es sich mit den ungünstigen Urteilen der Presse. Über
Dauthenden reden, heißt über etwa fünfundzwanzig Bände Rechenschaft ablegen.
Es ist ganz klar, daß das nicht alles Meisterwerke sein können. Manche, wie
der "Bänkelsang", sehen so aus, als seien sie nur zur Erholung geschrieben,
oder als Spielerei wie die "Ammenballade", oder als Vorübung wie das "Sing¬
sangbuch" oder die Einakter. Das ist nun freilich kein Grund zum Publizieren,
aber der moderne Dichter, der nicht wie in früherer Zeit im wesentlichen von einem
Amte lebt, ist dazu wohl oder übel genötigt, sei es weil der Verleger es wünscht,
sei es um das Publikum in Atem, seine Verehrer warm zu halten. Anderes,
wie die Mehrzahl der Dramen, nimmt sich aus, als sei es rein um des
materiellen Erfolges willen geschrieben. Damit aber ist es für einen großen
Dichter eine gefährliche Sache. Selbst ein Goethe hätte beim besten Willen nicht
schreiben können wie Kotzebue, allemal wären schlechte Kotzebues dabei heraus¬
gekommen, kein einziger guter. Aus demselben Grunde hat auch z. V. Dauthendens
Roman "Raubmenschen" trotz der zum Teil wunderbaren Beschreibungen kein
Glück machen können und wenn ein Kritiker, der die wirklich großen Leistungen
des Dichters nur vom Hörensagen kannte, sich an dies eine Werk, das ihm
wenig Lust auf andere machte, hielt und seiner Enttäuschung offenen Ausdruck
verlieh, so ist das vollkommen begreiflich.

All dies aber beweist nicht, daß Dauthendey kein großer und bedeutender
Dichter ist und jeder wird das merken, der mit offenen, unbefangenen Sinnen
für echte Poesie seine wirklich guten Bücher aufschlägt. Da sind zunächst die
Gedichtbände. Man lasse sich nicht durch die in vielen Anthologien ver¬
tretenen Proben täuschen, denn diese oft recht nützliche Verbreitungsmethode
kann auf Dauthendey keine Anwendung finden.

Seine Gedichtbände sind nämlich nicht einfach gesammelte Gedichte, sondern
jeder von ihnen hat eine innere Einheit, in demselben Sinne wie etwa Shakespeares
Gedichte oder Platens venetianische Sonette eine innere Einheit ausweisen. Auch
vou diesen wird das vereinzelte Stück auf den Unkundigen immer einen befremd¬
lichen Eindruck machen, erst aus dem Ganzen heraus wird das Einzelne recht
verständlich. Prüft man aber das ganze, so gewahrt man bald, daß sie wie
reiche bunte Feldblumensträuße sind, die ein naiver, von Gärtnermoden un¬
berührter Mensch beim Spazierengehen sammelt, absichtslos, aber mit reiner
Freude an den schönen, zarten, buntfarbigen Dingern. Und es kommt ihm
wenig darauf an, ob auch einmal ein unscheinbares Gräslein oder gar ein
Unkraut dazwischen gerät, das gehört mit zum Strauß, wie es ja auch mit zur
Wiese gehört. Und wie die Feldblumen, die niemand gesät hat, deren Samen
der Wind oder die Vögel hergetragen haben, so sind auch diese Gedichte. Nun


Max Dcmthendey

reichen und kraftvollen Persönlichkeit ausgewachsen hat, noch heute stellt sich das
Publikum unter seinem Namen einen jener schwer verständlichen Neutöneriche
vor, über welche die Literaturgeschichte, wie es heißt, hinweggehen wird und
den man daher nicht zu lesen braucht.

Anders verhält es sich mit den ungünstigen Urteilen der Presse. Über
Dauthenden reden, heißt über etwa fünfundzwanzig Bände Rechenschaft ablegen.
Es ist ganz klar, daß das nicht alles Meisterwerke sein können. Manche, wie
der „Bänkelsang", sehen so aus, als seien sie nur zur Erholung geschrieben,
oder als Spielerei wie die „Ammenballade", oder als Vorübung wie das „Sing¬
sangbuch" oder die Einakter. Das ist nun freilich kein Grund zum Publizieren,
aber der moderne Dichter, der nicht wie in früherer Zeit im wesentlichen von einem
Amte lebt, ist dazu wohl oder übel genötigt, sei es weil der Verleger es wünscht,
sei es um das Publikum in Atem, seine Verehrer warm zu halten. Anderes,
wie die Mehrzahl der Dramen, nimmt sich aus, als sei es rein um des
materiellen Erfolges willen geschrieben. Damit aber ist es für einen großen
Dichter eine gefährliche Sache. Selbst ein Goethe hätte beim besten Willen nicht
schreiben können wie Kotzebue, allemal wären schlechte Kotzebues dabei heraus¬
gekommen, kein einziger guter. Aus demselben Grunde hat auch z. V. Dauthendens
Roman „Raubmenschen" trotz der zum Teil wunderbaren Beschreibungen kein
Glück machen können und wenn ein Kritiker, der die wirklich großen Leistungen
des Dichters nur vom Hörensagen kannte, sich an dies eine Werk, das ihm
wenig Lust auf andere machte, hielt und seiner Enttäuschung offenen Ausdruck
verlieh, so ist das vollkommen begreiflich.

All dies aber beweist nicht, daß Dauthendey kein großer und bedeutender
Dichter ist und jeder wird das merken, der mit offenen, unbefangenen Sinnen
für echte Poesie seine wirklich guten Bücher aufschlägt. Da sind zunächst die
Gedichtbände. Man lasse sich nicht durch die in vielen Anthologien ver¬
tretenen Proben täuschen, denn diese oft recht nützliche Verbreitungsmethode
kann auf Dauthendey keine Anwendung finden.

Seine Gedichtbände sind nämlich nicht einfach gesammelte Gedichte, sondern
jeder von ihnen hat eine innere Einheit, in demselben Sinne wie etwa Shakespeares
Gedichte oder Platens venetianische Sonette eine innere Einheit ausweisen. Auch
vou diesen wird das vereinzelte Stück auf den Unkundigen immer einen befremd¬
lichen Eindruck machen, erst aus dem Ganzen heraus wird das Einzelne recht
verständlich. Prüft man aber das ganze, so gewahrt man bald, daß sie wie
reiche bunte Feldblumensträuße sind, die ein naiver, von Gärtnermoden un¬
berührter Mensch beim Spazierengehen sammelt, absichtslos, aber mit reiner
Freude an den schönen, zarten, buntfarbigen Dingern. Und es kommt ihm
wenig darauf an, ob auch einmal ein unscheinbares Gräslein oder gar ein
Unkraut dazwischen gerät, das gehört mit zum Strauß, wie es ja auch mit zur
Wiese gehört. Und wie die Feldblumen, die niemand gesät hat, deren Samen
der Wind oder die Vögel hergetragen haben, so sind auch diese Gedichte. Nun


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/238>, abgerufen am 15.01.2025.