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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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vom Disziplinarverfahren

denn es könnte ja doch einmal in einem Beamtenvereine eine oppositionell¬
radikale Richtung die Oberhand gewinnen, so daß von ihr nichts Gutes zu
erwarten wäre.

In Bayern ist ein entschiedener Schritt in der besprochenen Richtung
gemacht worden. In den Disziplinarkammern (der unteren Instanz) wirken
zwei Mitglieder, in dem Disziplinarhof (der obersten Instanz) drei Mitglieder
mit, die aus dem Geschäftskreise des Ministeriums entnommen sind, dem der
beschuldigte Beamte untersteht. Aus den Geschäftskreisen der einzelnen Ministerien
aber sind neben der nötigen Zahl von Stellvertretern für jede Disziplinar-
kammer zwei bis sechs, für den Disziplinarhof drei bis sechs Mitglieder vom
Könige ernannt, aus deren Zahl der Gerichtspräsident für den einzelnen Fall
jene zwei oder drei Mitglieder auswählt. Diese Bestimmung gibt in weit¬
gehendem Maße die Möglichkeit, den oben geäußerten Wunsch zu erfüllen, und
nach den mir gewordenen Mitteilungen wird sie tatsächlich in dem Sinne benutzt.

Fraglich könnte allerdings sein, ob bei Zuziehung auch von Unterbeamten
zu den Disziplinarkammern nicht zu befürchten ist, daß diese es an der für
einen Richter notwendigen Selbständigkeit gegenüber den höheren Beamten fehlen
lassen. Wenn das der Fall sein sollte, so wäre ein Heranziehen der Unter¬
beamten zu den Disziplinarkammern für sie ein Danaergeschenk. Ich selbst wage
nicht zu entscheiden, ob dies Bedenken berechtigt ist, ich wollte es aber nicht
unerwähnt lassen. In Bayern hat man es nicht.

Wenn schon für die unterste Instanz der Disziplinargerichte der richterliche
Charakter zu fordern ist, so erübrigt sich die Erörterung darüber, daß er für
die zweite Instanz erst recht nötig ist. Wenn jetzt das Gesamtministerium die
höchste Instanz ist, so dürfte gerade dies in politisch erregten Zeiten am aller¬
wenigsten die Sicherheit gegen gewollten oder ungewollten Mißbrauch zu
politischen Zwecken gewähren. -- Die jetzigen Zeiten sind trotz aller Partei¬
kämpfe doch solche, wo der ruhige Gang der Verwaltung nicht gestört wird.

Ob die Disziplinargerichte unterster Instanz nach Regierungsbezirken oder
Provinzen, oder vielleicht auch für weniger zahlreiche Beamtenklassen gleich für
den ganzen Staat einzurichten sind, das scheint nur eine rein praktische Frage
und ihre Entscheidung wesentlich von der Häufigkeit der vorkommenden Fälle
abhängig zu sein.

Über die Notwendigkeit, ein Wiederaufnahmeverfahren zu ermöglichen,
braucht nicht gesprochen zu werden, da sie früher gelegentlich auch von der
Negierung anerkannt worden ist.

Vielfach wird auch die Forderung aufgestellt, daß dem Beamten Einblick
in seine Personalakten gewährt werde. In Bayern ist wenigstens vorgeschrieben,
daß ihm auf Verlangen der wesentliche Inhalt -- zu dem auch Randbemerkungen
gehören können -- mitgeteilt werde. Der Zweck ist wesentlich, ungerechten
Ausschluß von der Beförderung u. tgi. zu verhindern. Nun ist aber das Urteil
darüber, wozu der einzelne Beamte tauglich ist, naturgemäß subjektiv, und der


Grenzboten IV 1912 27
vom Disziplinarverfahren

denn es könnte ja doch einmal in einem Beamtenvereine eine oppositionell¬
radikale Richtung die Oberhand gewinnen, so daß von ihr nichts Gutes zu
erwarten wäre.

In Bayern ist ein entschiedener Schritt in der besprochenen Richtung
gemacht worden. In den Disziplinarkammern (der unteren Instanz) wirken
zwei Mitglieder, in dem Disziplinarhof (der obersten Instanz) drei Mitglieder
mit, die aus dem Geschäftskreise des Ministeriums entnommen sind, dem der
beschuldigte Beamte untersteht. Aus den Geschäftskreisen der einzelnen Ministerien
aber sind neben der nötigen Zahl von Stellvertretern für jede Disziplinar-
kammer zwei bis sechs, für den Disziplinarhof drei bis sechs Mitglieder vom
Könige ernannt, aus deren Zahl der Gerichtspräsident für den einzelnen Fall
jene zwei oder drei Mitglieder auswählt. Diese Bestimmung gibt in weit¬
gehendem Maße die Möglichkeit, den oben geäußerten Wunsch zu erfüllen, und
nach den mir gewordenen Mitteilungen wird sie tatsächlich in dem Sinne benutzt.

Fraglich könnte allerdings sein, ob bei Zuziehung auch von Unterbeamten
zu den Disziplinarkammern nicht zu befürchten ist, daß diese es an der für
einen Richter notwendigen Selbständigkeit gegenüber den höheren Beamten fehlen
lassen. Wenn das der Fall sein sollte, so wäre ein Heranziehen der Unter¬
beamten zu den Disziplinarkammern für sie ein Danaergeschenk. Ich selbst wage
nicht zu entscheiden, ob dies Bedenken berechtigt ist, ich wollte es aber nicht
unerwähnt lassen. In Bayern hat man es nicht.

Wenn schon für die unterste Instanz der Disziplinargerichte der richterliche
Charakter zu fordern ist, so erübrigt sich die Erörterung darüber, daß er für
die zweite Instanz erst recht nötig ist. Wenn jetzt das Gesamtministerium die
höchste Instanz ist, so dürfte gerade dies in politisch erregten Zeiten am aller¬
wenigsten die Sicherheit gegen gewollten oder ungewollten Mißbrauch zu
politischen Zwecken gewähren. — Die jetzigen Zeiten sind trotz aller Partei¬
kämpfe doch solche, wo der ruhige Gang der Verwaltung nicht gestört wird.

Ob die Disziplinargerichte unterster Instanz nach Regierungsbezirken oder
Provinzen, oder vielleicht auch für weniger zahlreiche Beamtenklassen gleich für
den ganzen Staat einzurichten sind, das scheint nur eine rein praktische Frage
und ihre Entscheidung wesentlich von der Häufigkeit der vorkommenden Fälle
abhängig zu sein.

Über die Notwendigkeit, ein Wiederaufnahmeverfahren zu ermöglichen,
braucht nicht gesprochen zu werden, da sie früher gelegentlich auch von der
Negierung anerkannt worden ist.

Vielfach wird auch die Forderung aufgestellt, daß dem Beamten Einblick
in seine Personalakten gewährt werde. In Bayern ist wenigstens vorgeschrieben,
daß ihm auf Verlangen der wesentliche Inhalt — zu dem auch Randbemerkungen
gehören können — mitgeteilt werde. Der Zweck ist wesentlich, ungerechten
Ausschluß von der Beförderung u. tgi. zu verhindern. Nun ist aber das Urteil
darüber, wozu der einzelne Beamte tauglich ist, naturgemäß subjektiv, und der


Grenzboten IV 1912 27
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[0216] vom Disziplinarverfahren denn es könnte ja doch einmal in einem Beamtenvereine eine oppositionell¬ radikale Richtung die Oberhand gewinnen, so daß von ihr nichts Gutes zu erwarten wäre. In Bayern ist ein entschiedener Schritt in der besprochenen Richtung gemacht worden. In den Disziplinarkammern (der unteren Instanz) wirken zwei Mitglieder, in dem Disziplinarhof (der obersten Instanz) drei Mitglieder mit, die aus dem Geschäftskreise des Ministeriums entnommen sind, dem der beschuldigte Beamte untersteht. Aus den Geschäftskreisen der einzelnen Ministerien aber sind neben der nötigen Zahl von Stellvertretern für jede Disziplinar- kammer zwei bis sechs, für den Disziplinarhof drei bis sechs Mitglieder vom Könige ernannt, aus deren Zahl der Gerichtspräsident für den einzelnen Fall jene zwei oder drei Mitglieder auswählt. Diese Bestimmung gibt in weit¬ gehendem Maße die Möglichkeit, den oben geäußerten Wunsch zu erfüllen, und nach den mir gewordenen Mitteilungen wird sie tatsächlich in dem Sinne benutzt. Fraglich könnte allerdings sein, ob bei Zuziehung auch von Unterbeamten zu den Disziplinarkammern nicht zu befürchten ist, daß diese es an der für einen Richter notwendigen Selbständigkeit gegenüber den höheren Beamten fehlen lassen. Wenn das der Fall sein sollte, so wäre ein Heranziehen der Unter¬ beamten zu den Disziplinarkammern für sie ein Danaergeschenk. Ich selbst wage nicht zu entscheiden, ob dies Bedenken berechtigt ist, ich wollte es aber nicht unerwähnt lassen. In Bayern hat man es nicht. Wenn schon für die unterste Instanz der Disziplinargerichte der richterliche Charakter zu fordern ist, so erübrigt sich die Erörterung darüber, daß er für die zweite Instanz erst recht nötig ist. Wenn jetzt das Gesamtministerium die höchste Instanz ist, so dürfte gerade dies in politisch erregten Zeiten am aller¬ wenigsten die Sicherheit gegen gewollten oder ungewollten Mißbrauch zu politischen Zwecken gewähren. — Die jetzigen Zeiten sind trotz aller Partei¬ kämpfe doch solche, wo der ruhige Gang der Verwaltung nicht gestört wird. Ob die Disziplinargerichte unterster Instanz nach Regierungsbezirken oder Provinzen, oder vielleicht auch für weniger zahlreiche Beamtenklassen gleich für den ganzen Staat einzurichten sind, das scheint nur eine rein praktische Frage und ihre Entscheidung wesentlich von der Häufigkeit der vorkommenden Fälle abhängig zu sein. Über die Notwendigkeit, ein Wiederaufnahmeverfahren zu ermöglichen, braucht nicht gesprochen zu werden, da sie früher gelegentlich auch von der Negierung anerkannt worden ist. Vielfach wird auch die Forderung aufgestellt, daß dem Beamten Einblick in seine Personalakten gewährt werde. In Bayern ist wenigstens vorgeschrieben, daß ihm auf Verlangen der wesentliche Inhalt — zu dem auch Randbemerkungen gehören können — mitgeteilt werde. Der Zweck ist wesentlich, ungerechten Ausschluß von der Beförderung u. tgi. zu verhindern. Nun ist aber das Urteil darüber, wozu der einzelne Beamte tauglich ist, naturgemäß subjektiv, und der Grenzboten IV 1912 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/216>, abgerufen am 15.01.2025.