Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Aarl Salzer Dann legt er zwei Eichenprügel quer über das Grab, ebenso zwei Seile. Langsam senkt sich der Sarg hinunter in den Schacht des Grabes. Anfangs, Nun auf einmal, ganz plötzlich und unvermittelt weiß Karl, daß er jetzt Der Totengräber nimmt ihn am Ärmel, zieht ihn näher an den Grabrand, "Do schmeiß deim Vater drei Schippcher voll Erd nunner und sag dazu: Karl nimmt das Schippchen, sticht ein Häufchen Lehmerde damit auf und Nach dem dritten Wurfe neigt er das linke Ohr tiefer dem Grabschachte zu. Da dreht sich Karl herum und geht. Am Tore des Friedhofs wendet er den Blick noch einmal. Die Männer, Eine große Sehnsucht nach Güte und Liebe ist in dem Jungen aufgewacht; Aarl Salzer Dann legt er zwei Eichenprügel quer über das Grab, ebenso zwei Seile. Langsam senkt sich der Sarg hinunter in den Schacht des Grabes. Anfangs, Nun auf einmal, ganz plötzlich und unvermittelt weiß Karl, daß er jetzt Der Totengräber nimmt ihn am Ärmel, zieht ihn näher an den Grabrand, „Do schmeiß deim Vater drei Schippcher voll Erd nunner und sag dazu: Karl nimmt das Schippchen, sticht ein Häufchen Lehmerde damit auf und Nach dem dritten Wurfe neigt er das linke Ohr tiefer dem Grabschachte zu. Da dreht sich Karl herum und geht. Am Tore des Friedhofs wendet er den Blick noch einmal. Die Männer, Eine große Sehnsucht nach Güte und Liebe ist in dem Jungen aufgewacht; <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322583"/> <fw type="header" place="top"> Aarl Salzer</fw><lb/> <p xml:id="ID_847"> Dann legt er zwei Eichenprügel quer über das Grab, ebenso zwei Seile.<lb/> Der Sarg wird auf die Prügel gestellt, die sich unter der Last ein wenig nach<lb/> unten durchbiegen. Die Männer fassen die Stricke an. die sich straffen und an<lb/> dem Holze des Sarges reiben. Jetzt schaukelt er in der Luft über dem<lb/> Grabe. Auf einen Zuruf des Totengräbers hin zieht Karl die beiden Stecken vom<lb/> Grabe hinweg, wirft sie beiseite und reckt sich wieder gerade und sieht zu, was<lb/> da geschehe.</p><lb/> <p xml:id="ID_848"> Langsam senkt sich der Sarg hinunter in den Schacht des Grabes. Anfangs,<lb/> so lange er noch vom Lichte des Mondes erreicht werden kann, bleiben seine Umrisse<lb/> erkenntlich. Dann aber sieht man gar nichts mehr.</p><lb/> <p xml:id="ID_849"> Nun auf einmal, ganz plötzlich und unvermittelt weiß Karl, daß er jetzt<lb/> seinen Vater nie mehr sehen wird. So ist der Wechsel der Bilder in seiner Seele:<lb/> er sieht den Vater am Amboß stehen und schmieden, sieht ihn neben dem Herde<lb/> fitzen in der Ruhe des Feierabends, sieht ihn an den Büchern schreiben und den<lb/> Bauern Geld ausbezahlen, sieht auch, wie er es einnimmt. Und die Zusammen¬<lb/> künfte mit dem Juden fallen ihm ein, die des Vaters Verderben wurden. Er<lb/> sieht ihn auf dem Felde in den Gurkenanlagen stehen und erinnert sich des Ab¬<lb/> schieds und des Wiedersehens. Blut, Blut, Blut sieht er und schaudert und hört,<lb/> wie die Seile unterm Sarge herausgezogen werden und knarrend am Holze reiben<lb/> und schnarren.</p><lb/> <p xml:id="ID_850"> Der Totengräber nimmt ihn am Ärmel, zieht ihn näher an den Grabrand,<lb/> gibt ihm ein kleines Schippchen in die Hand und sagt zu ihm:</p><lb/> <p xml:id="ID_851"> „Do schmeiß deim Vater drei Schippcher voll Erd nunner und sag dazu:<lb/> Aus Staub bist du, und zu Staub sollst du wieder werden! Sonst sagt das jo<lb/> der Parre, aber . . .1"</p><lb/> <p xml:id="ID_852"> Karl nimmt das Schippchen, sticht ein Häufchen Lehmerde damit auf und<lb/> schrickt es hinunter in das Grab. Dumpf fällt es auf den Sarg, und das zweite<lb/> auch und das dritte wiederum. Aber dazu sprechen kann Karl nichts. Als er<lb/> das Wort Pfarrer hört, steigt ein wehes Gefühl in ihm auf, das ihm den Hals<lb/> zuschnürt. Denn wieder wird er des großen Unterschiedes inne, der zwischen<lb/> seines Vaters Beerdigung und der anderer besteht.</p><lb/> <p xml:id="ID_853"> Nach dem dritten Wurfe neigt er das linke Ohr tiefer dem Grabschachte zu.<lb/> Es ist ihm, als müßte sein Vater jetzt noch ein Abschiedswort herausrufen, noch<lb/> ein einziges, ehe die unerbittliche Erde sich auf ihn häuft, höher und immer<lb/> höher, schwer drückend auf den Sarg. Aber es bleibt alles still, und dann poltern<lb/> die brockigen Lehmschollen hinunter, und die massigen Schaufelwürfe fallen dumpf<lb/> auf den Sargdeckel.</p><lb/> <p xml:id="ID_854"> Da dreht sich Karl herum und geht.</p><lb/> <p xml:id="ID_855"> Am Tore des Friedhofs wendet er den Blick noch einmal. Die Männer,<lb/> die er nur wie dunkele Schatten sieht, schaufeln eifrig das Grab zu. 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Aarl Salzer
Dann legt er zwei Eichenprügel quer über das Grab, ebenso zwei Seile.
Der Sarg wird auf die Prügel gestellt, die sich unter der Last ein wenig nach
unten durchbiegen. Die Männer fassen die Stricke an. die sich straffen und an
dem Holze des Sarges reiben. Jetzt schaukelt er in der Luft über dem
Grabe. Auf einen Zuruf des Totengräbers hin zieht Karl die beiden Stecken vom
Grabe hinweg, wirft sie beiseite und reckt sich wieder gerade und sieht zu, was
da geschehe.
Langsam senkt sich der Sarg hinunter in den Schacht des Grabes. Anfangs,
so lange er noch vom Lichte des Mondes erreicht werden kann, bleiben seine Umrisse
erkenntlich. Dann aber sieht man gar nichts mehr.
Nun auf einmal, ganz plötzlich und unvermittelt weiß Karl, daß er jetzt
seinen Vater nie mehr sehen wird. So ist der Wechsel der Bilder in seiner Seele:
er sieht den Vater am Amboß stehen und schmieden, sieht ihn neben dem Herde
fitzen in der Ruhe des Feierabends, sieht ihn an den Büchern schreiben und den
Bauern Geld ausbezahlen, sieht auch, wie er es einnimmt. Und die Zusammen¬
künfte mit dem Juden fallen ihm ein, die des Vaters Verderben wurden. Er
sieht ihn auf dem Felde in den Gurkenanlagen stehen und erinnert sich des Ab¬
schieds und des Wiedersehens. Blut, Blut, Blut sieht er und schaudert und hört,
wie die Seile unterm Sarge herausgezogen werden und knarrend am Holze reiben
und schnarren.
Der Totengräber nimmt ihn am Ärmel, zieht ihn näher an den Grabrand,
gibt ihm ein kleines Schippchen in die Hand und sagt zu ihm:
„Do schmeiß deim Vater drei Schippcher voll Erd nunner und sag dazu:
Aus Staub bist du, und zu Staub sollst du wieder werden! Sonst sagt das jo
der Parre, aber . . .1"
Karl nimmt das Schippchen, sticht ein Häufchen Lehmerde damit auf und
schrickt es hinunter in das Grab. Dumpf fällt es auf den Sarg, und das zweite
auch und das dritte wiederum. Aber dazu sprechen kann Karl nichts. Als er
das Wort Pfarrer hört, steigt ein wehes Gefühl in ihm auf, das ihm den Hals
zuschnürt. Denn wieder wird er des großen Unterschiedes inne, der zwischen
seines Vaters Beerdigung und der anderer besteht.
Nach dem dritten Wurfe neigt er das linke Ohr tiefer dem Grabschachte zu.
Es ist ihm, als müßte sein Vater jetzt noch ein Abschiedswort herausrufen, noch
ein einziges, ehe die unerbittliche Erde sich auf ihn häuft, höher und immer
höher, schwer drückend auf den Sarg. Aber es bleibt alles still, und dann poltern
die brockigen Lehmschollen hinunter, und die massigen Schaufelwürfe fallen dumpf
auf den Sargdeckel.
Da dreht sich Karl herum und geht.
Am Tore des Friedhofs wendet er den Blick noch einmal. Die Männer,
die er nur wie dunkele Schatten sieht, schaufeln eifrig das Grab zu. Das Kreuz,
das er getragen hat, ragt über die gebückt Arbeitenden hinaus. Bald wird es
in der Reihe der anderen stehen ...
Eine große Sehnsucht nach Güte und Liebe ist in dem Jungen aufgewacht;
er meint fliegen zu müssen, um eher bei Tante Seelchen zu sein, bei Tante
Seelchen, die so guten Trost weiß.
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