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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Zeitschrift Technik und Wirtschaft, voraus.
Seinen Abschluß aber findet der Kursus in
einer zwölftägigen Studienreise nach den
Niederlanden unter Führung der Herren Wirkt,
Geh. Oberregierungsrat Dr. Elster, Prof.
Dr. Harms und Privatdozenten Dr. Hoff¬
mann.

So wird man nach der ganzen Zusammen¬
setzung dieses Studienplanes sagen können,
daß den jungen Assessoren in der Tat keine
bessere Möglichkeit der Fortbildung geboten
werden kann, als eS mit der Summe dieser
Vorlesungen geschieht. Nur der Wunsch wäre
noch hinzuzufügen, daß neben diesen Winter-
knrsus ein ebenfalls auf ein halbes Jahr be¬
messener Sommerkursus träte, so daß die auf
ein Jahr beurlaubten Assessoren auch Gelegen¬
heit hätten, zwei Semester lang die reiche
Belehrung dieser Vorlesungen und Besichti¬
gungen zu schöpfen. Mit ständigen Jahres¬
kursen könnte sich die Vereinigung zu einer
staatswissenschaftlicher Akademie aufwachsen,
wie sie ihresgleichen Wohl kaum anderwärts
hätte. Sie würde dann für die Fortbildung
der Juristen und Verwaltungsbeamten das¬
selbe bedeuten, was die Kriegsakademie für
die Fortbildung der Offiziere bedeutet.

Die sechswöchigen Fortbildungskurse, wie
sie in Berlin, Köln und Posen bestehen, und
die noch kürzeren, wie sie in diesem Jahre
z. B. in Jena gegründet worden sind, sollen
daneben durchaus nicht verschwinden. Sie
behalten ihre volle Berechtigung für die Fort¬
bildung der bereits in besoldeten Stellungen
befindlichen Juristen, denen auf absehbare
Zeit der Staat Wohl keinen längeren Urlaub
als sechs Wochen wird geben können.

Landrichter Dr. Sontag-
Frauenfrage

Weibliche Eigenart und weibliche Bildung.
Eine alte Erfahrung lehrt, daß die uns ge¬
läufigsten Begriffe sich oft als erstaunlich un¬
klar erweisen, wenn wir uns einmal der
Mühe unterziehen, ihren Gehalt zu unter¬
suchen. Mer führte nicht die "weibliche Eigen¬
art" oft und gern im Munde und was be¬
deutet dieser Ausdruck? Bei näherer Be¬
trachtung eine schillernde Seifenblase. Unter
Umständen ist das Spiel mit Seifenblasen
durchaus harmlos, aber es kann auch gefähr¬

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lich werden. In unserem Falle tritt uns der
Ernst der Sachlage entgegen, wenn die Forde¬
rung einer der "weiblichen Eigenart" an¬
gepaßten Bildung erhoben wird. Hier dient
ein verschwommener Begriff zum Ausgangs¬
punkt für weittragende praktische Maßnahmen.
Wir müssen nämlich bekennen, daß uns die
reine Wissenschaft bis heute die Antwort auf
die Frage nach den typischen Merkmalen der
weiblichen Psyche und dem Verlauf ihrer Ent¬
wicklung schuldig blieb, also die "weibliche
Eigenart" nicht scharf zu formulieren ver¬
mochte. Nun hat freilich Waldeyer im letzten
Sommer den Ausspruch getan, daß die
sekundären Geschlechtscharaktere nach der Psychi¬
schen Seite um so stärker hervortreten, je
höher die Lebewesen entwickelt find; aber es
will uns scheinen, daß diese Behauptung nicht
auf tatsächlicher Beobachtung beruht. "se¬
kundäre Geschlechtscharaktere" sind anatomische
Begriffe, und es ist sicher ein gefährliches
Unterfangen, anatomische Begriffe aus Geistiges
übertragen zu wollen. Die Naturforschung
versteht unter sekundären Geschlechtscharakteren
körperliche Merkmale, die, ohne direkt der Fort¬
pflanzung zu dienen, dennoch nur einem der
Geschlechter eigentümlich sind; so werden etwa
der eigenartige Bau des männlichen Kehlkopfs,
der auch äußerlich kenntlich ist (Adamsapfel)
oder der Bartwuchs als sekundäre Geschlechts¬
charaktere bezeichnet. Ähnliche unzweifelhafte
und offensichtlich unterschiedliche Eigenheiten
des Geschlechts finden wir auf psychischem
Gebiet nicht. An und für sich wäre es denkbar,
daß die männliche Psyche Funktionen auf¬
wiese, die die weibliche nicht besäße und um¬
gekehrt, aber dies ist nirgends erwiesen, auch
ist die Psychische Grundstruktur bei Mann und
Weib offenbar die gleiche, denn das Vor¬
stellen, Wollen, Fühlen, Denken usw. ist den
gleichen Gesetzen unterworfen. Diese Psychi¬
schen Funktionen sind natürlich bei den ein¬
zelnen Menschen sehr verschieden entwickelt,
aber die exakte psychologische Forschung hat
bezüglich der Differenz zwischen den Ge¬
schlechtern immer nur feststellen können, daß
etwa Mädchen im allgemeinen leichter be¬
einflußbar sind als Knaben, daß jene im all¬
gemeinen mehr zum sinnlich anschaulichen,
diese mehr zum abstrakten Vorstellen veranlagt
sind usw.; jedoch während es uns als Ab-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Zeitschrift Technik und Wirtschaft, voraus.
Seinen Abschluß aber findet der Kursus in
einer zwölftägigen Studienreise nach den
Niederlanden unter Führung der Herren Wirkt,
Geh. Oberregierungsrat Dr. Elster, Prof.
Dr. Harms und Privatdozenten Dr. Hoff¬
mann.

So wird man nach der ganzen Zusammen¬
setzung dieses Studienplanes sagen können,
daß den jungen Assessoren in der Tat keine
bessere Möglichkeit der Fortbildung geboten
werden kann, als eS mit der Summe dieser
Vorlesungen geschieht. Nur der Wunsch wäre
noch hinzuzufügen, daß neben diesen Winter-
knrsus ein ebenfalls auf ein halbes Jahr be¬
messener Sommerkursus träte, so daß die auf
ein Jahr beurlaubten Assessoren auch Gelegen¬
heit hätten, zwei Semester lang die reiche
Belehrung dieser Vorlesungen und Besichti¬
gungen zu schöpfen. Mit ständigen Jahres¬
kursen könnte sich die Vereinigung zu einer
staatswissenschaftlicher Akademie aufwachsen,
wie sie ihresgleichen Wohl kaum anderwärts
hätte. Sie würde dann für die Fortbildung
der Juristen und Verwaltungsbeamten das¬
selbe bedeuten, was die Kriegsakademie für
die Fortbildung der Offiziere bedeutet.

Die sechswöchigen Fortbildungskurse, wie
sie in Berlin, Köln und Posen bestehen, und
die noch kürzeren, wie sie in diesem Jahre
z. B. in Jena gegründet worden sind, sollen
daneben durchaus nicht verschwinden. Sie
behalten ihre volle Berechtigung für die Fort¬
bildung der bereits in besoldeten Stellungen
befindlichen Juristen, denen auf absehbare
Zeit der Staat Wohl keinen längeren Urlaub
als sechs Wochen wird geben können.

Landrichter Dr. Sontag-
Frauenfrage

Weibliche Eigenart und weibliche Bildung.
Eine alte Erfahrung lehrt, daß die uns ge¬
läufigsten Begriffe sich oft als erstaunlich un¬
klar erweisen, wenn wir uns einmal der
Mühe unterziehen, ihren Gehalt zu unter¬
suchen. Mer führte nicht die „weibliche Eigen¬
art" oft und gern im Munde und was be¬
deutet dieser Ausdruck? Bei näherer Be¬
trachtung eine schillernde Seifenblase. Unter
Umständen ist das Spiel mit Seifenblasen
durchaus harmlos, aber es kann auch gefähr¬

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lich werden. In unserem Falle tritt uns der
Ernst der Sachlage entgegen, wenn die Forde¬
rung einer der „weiblichen Eigenart" an¬
gepaßten Bildung erhoben wird. Hier dient
ein verschwommener Begriff zum Ausgangs¬
punkt für weittragende praktische Maßnahmen.
Wir müssen nämlich bekennen, daß uns die
reine Wissenschaft bis heute die Antwort auf
die Frage nach den typischen Merkmalen der
weiblichen Psyche und dem Verlauf ihrer Ent¬
wicklung schuldig blieb, also die „weibliche
Eigenart" nicht scharf zu formulieren ver¬
mochte. Nun hat freilich Waldeyer im letzten
Sommer den Ausspruch getan, daß die
sekundären Geschlechtscharaktere nach der Psychi¬
schen Seite um so stärker hervortreten, je
höher die Lebewesen entwickelt find; aber es
will uns scheinen, daß diese Behauptung nicht
auf tatsächlicher Beobachtung beruht. „se¬
kundäre Geschlechtscharaktere" sind anatomische
Begriffe, und es ist sicher ein gefährliches
Unterfangen, anatomische Begriffe aus Geistiges
übertragen zu wollen. Die Naturforschung
versteht unter sekundären Geschlechtscharakteren
körperliche Merkmale, die, ohne direkt der Fort¬
pflanzung zu dienen, dennoch nur einem der
Geschlechter eigentümlich sind; so werden etwa
der eigenartige Bau des männlichen Kehlkopfs,
der auch äußerlich kenntlich ist (Adamsapfel)
oder der Bartwuchs als sekundäre Geschlechts¬
charaktere bezeichnet. Ähnliche unzweifelhafte
und offensichtlich unterschiedliche Eigenheiten
des Geschlechts finden wir auf psychischem
Gebiet nicht. An und für sich wäre es denkbar,
daß die männliche Psyche Funktionen auf¬
wiese, die die weibliche nicht besäße und um¬
gekehrt, aber dies ist nirgends erwiesen, auch
ist die Psychische Grundstruktur bei Mann und
Weib offenbar die gleiche, denn das Vor¬
stellen, Wollen, Fühlen, Denken usw. ist den
gleichen Gesetzen unterworfen. Diese Psychi¬
schen Funktionen sind natürlich bei den ein¬
zelnen Menschen sehr verschieden entwickelt,
aber die exakte psychologische Forschung hat
bezüglich der Differenz zwischen den Ge¬
schlechtern immer nur feststellen können, daß
etwa Mädchen im allgemeinen leichter be¬
einflußbar sind als Knaben, daß jene im all¬
gemeinen mehr zum sinnlich anschaulichen,
diese mehr zum abstrakten Vorstellen veranlagt
sind usw.; jedoch während es uns als Ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/151>, abgerufen am 15.01.2025.