Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] trachtet man einen Band der Preußischen In dieser Fülle neuer Gesetze liegt die Die zweite Ursache ist die völlige Umge¬ Im Rahmen der Studenten- und Refe¬ kein Platz für die Erlangung dieser volks¬ Diese Aufgabe hat der preußische Justiz¬ Von diesen Mitteln wird das zu 4 Ge¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] trachtet man einen Band der Preußischen In dieser Fülle neuer Gesetze liegt die Die zweite Ursache ist die völlige Umge¬ Im Rahmen der Studenten- und Refe¬ kein Platz für die Erlangung dieser volks¬ Diese Aufgabe hat der preußische Justiz¬ Von diesen Mitteln wird das zu 4 Ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322551"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_685" prev="#ID_684"> trachtet man einen Band der Preußischen<lb/> Gesetzsammlung der vierziger bis sechziger<lb/> Jahre des vorigen Jahrhunderts, so umfaßt<lb/> er zwei bis drei Jahrzehnte und ist dabei<lb/> noch lange nicht so stark wie ein einen ein¬<lb/> zigen Jahrgang enthaltender Band der<lb/> neuesten Zeit.</p> <p xml:id="ID_686"> In dieser Fülle neuer Gesetze liegt die<lb/> eine Ursache, welche eine Fortbildung der<lb/> Juristen nötig gemacht hat.</p> <p xml:id="ID_687"> Die zweite Ursache ist die völlige Umge¬<lb/> staltung des ganzen Wirtschaftslebens in<lb/> Deutschland. Mit der Wandlung aus einem<lb/> Agrar- in einen Industriestaat, mit der Aus¬<lb/> breitung des modernen Bank- und Börsen¬<lb/> wesens, mit der Schaffung des gewerblichen<lb/> Rechtsschutzes, mit der Ausgestaltung des<lb/> Hypothekenbank- und Versicherungswesens, mit<lb/> den ungeahnten Fortschritten der Technik und<lb/> der ebenso ungeahnten Ausdehnung des Ver¬<lb/> kehrs sind nicht nur neue Rechtsgebiete auf¬<lb/> getaucht, für welche neue Rechtsnormen nötig<lb/> wurden, sondern dem einzelnen Juristen ist<lb/> es bei der Vielgestaltigkeit des modernen<lb/> Lebens nicht mehr möglich, von vornherein<lb/> sich in allen Lebens- und Wirtschaftssphären<lb/> ohne fremde Hilfe zurechtzufinden. Wer in<lb/> Preußen in den fünfziger und sechziger Jahren<lb/> des vorigen Jahrhunderts in den damals<lb/> noch durchweg kleinen Städten oder auf dem<lb/> Lande aufgewachsen und mit offenen Augen<lb/> bis zum bestandenen Assessorexamen durch die<lb/> Welt gegangen war, der war mit den überall<lb/> gleichliegenden wirtschaftlichen Verhältnissen<lb/> hinreichend vertraut, um mit Erfolg überall<lb/> Recht sprechen zu können. Dies ist von<lb/> Grund aus anders geworden. Mit der Er¬<lb/> langung der für das zweite Staatsexamen<lb/> erforderlichen Rechtskenntnisse hat der Jurist,<lb/> wenn er nicht gerade diesen Kreisen ent¬<lb/> stammt, z. B. noch nicht das wirtschaftliche<lb/> und soziale Verständnis, um Fragen deS<lb/> Kartellrechts, des Bank- und Börsenrechts<lb/> oder des gewerblichen Rechtsschutzes mit voller<lb/> Beherrschung des Stoffes zu entscheiden. Hier<lb/> sitzt der berechtigte Kern des nur zu oft zu<lb/> Unrecht erhobenen Vorwurfes der Weltfremd¬<lb/> heit der Richter.</p> <p xml:id="ID_688" next="#ID_689"> Im Rahmen der Studenten- und Refe¬<lb/> rendarsjahre ist so viel juristischer Stoff neu<lb/> aufzunehmen und zu verarbeiten, daß hier</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_689" prev="#ID_688"> kein Platz für die Erlangung dieser volks¬<lb/> wirtschaftlichen, sozialen und technischen Kennt¬<lb/> nisse bleibt; aber die Kräfte unserer jungen<lb/> Assessoren werden ja bei dem gegenwärtigen<lb/> Überfluß an Assessoren nicht sofort nach be¬<lb/> standenen Staatsexamen für den Justizdienst<lb/> gebraucht. So ist hier der richtige Zeitpunkt,<lb/> diese schwerwiegende Lücke ihrer Ausbildung<lb/> auszufüllen.</p> <p xml:id="ID_690"> Diese Aufgabe hat der preußische Justiz¬<lb/> minister mit klarem Blicke erkannt und hat<lb/> durch die Allgemeine Verfügung vom 3. Juli<lb/> 1912 die bisher nur ausnahmsweise erfol¬<lb/> gende Beurlaubung von Gerichtsassessoren zu<lb/> einer dauernden Einrichtung gemacht. Die<lb/> Verfügung übt zwar keinen Zwang zur Fort¬<lb/> bildung aus; es wird aber auch genügen,<lb/> wenn sie eS als erwünscht bezeichnet, daß die<lb/> Gerichtsassefforon in der auf die große Staats¬<lb/> prüfung folgenden Zeit ihre rechtswissen¬<lb/> schaftlichen Studien fortsetzen oder auf anderen,<lb/> insbesondere wirtschaftlichen Gebieten neue<lb/> Kenntnisse und Erfahrungen sammeln. Als<lb/> Fortbildungsmittel nennt die A. V. Beschäfti¬<lb/> gung in einem freien Berufe, z. B. in einem<lb/> kaufmännischen, gewerblichen oder landwirt¬<lb/> schaftlichen Betriebe, Mitwirkung bei einer<lb/> gemeinnützigen und unparteiischen Rechts¬<lb/> auskunftsstelle, Aufenthalt im Auslande,<lb/> Teilnahme an den rechts- und staatswissen¬<lb/> schaftlicher Fortbildungskursen, Besuch einer<lb/> Universität zur Wiederaufnahme der Fach¬<lb/> studien, Beschäftigung bei einem Rechts-<lb/> anwälte.</p> <p xml:id="ID_691" next="#ID_692"> Von diesen Mitteln wird das zu 4 Ge¬<lb/> nannte — Teilnahme an den Fortbildungs¬<lb/> kursen — zweifellos am meisten von den<lb/> Assessoren gewählt werden. Die Beschäftigung<lb/> in einem kaufmännischen oder gewerblichen<lb/> Betriebe, welche den großen Vorzug hat, daß<lb/> die jungen Juristen die Probleme einmal<lb/> nicht von der juristischen, sondern von der<lb/> wirtschaftlichen Seite sehen, wird immer nur<lb/> wenigen zugänglich sein, weil die Zahl solcher<lb/> Betriebe, welche einen Juristen beschäftigen<lb/> kann oder will, verhältnismäßig gering<lb/> ist, aber jährlich zwölf- bis dreizehnhundert<lb/> Referendare das Assessorexamen bestehen.<lb/> Zu den Auslandsreisen wird nur der geringste<lb/> Teil der jungen Juristen die Geldmittel<lb/> haben. Die Beschäftigung beim Anwalt und</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
trachtet man einen Band der Preußischen
Gesetzsammlung der vierziger bis sechziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts, so umfaßt
er zwei bis drei Jahrzehnte und ist dabei
noch lange nicht so stark wie ein einen ein¬
zigen Jahrgang enthaltender Band der
neuesten Zeit.
In dieser Fülle neuer Gesetze liegt die
eine Ursache, welche eine Fortbildung der
Juristen nötig gemacht hat.
Die zweite Ursache ist die völlige Umge¬
staltung des ganzen Wirtschaftslebens in
Deutschland. Mit der Wandlung aus einem
Agrar- in einen Industriestaat, mit der Aus¬
breitung des modernen Bank- und Börsen¬
wesens, mit der Schaffung des gewerblichen
Rechtsschutzes, mit der Ausgestaltung des
Hypothekenbank- und Versicherungswesens, mit
den ungeahnten Fortschritten der Technik und
der ebenso ungeahnten Ausdehnung des Ver¬
kehrs sind nicht nur neue Rechtsgebiete auf¬
getaucht, für welche neue Rechtsnormen nötig
wurden, sondern dem einzelnen Juristen ist
es bei der Vielgestaltigkeit des modernen
Lebens nicht mehr möglich, von vornherein
sich in allen Lebens- und Wirtschaftssphären
ohne fremde Hilfe zurechtzufinden. Wer in
Preußen in den fünfziger und sechziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts in den damals
noch durchweg kleinen Städten oder auf dem
Lande aufgewachsen und mit offenen Augen
bis zum bestandenen Assessorexamen durch die
Welt gegangen war, der war mit den überall
gleichliegenden wirtschaftlichen Verhältnissen
hinreichend vertraut, um mit Erfolg überall
Recht sprechen zu können. Dies ist von
Grund aus anders geworden. Mit der Er¬
langung der für das zweite Staatsexamen
erforderlichen Rechtskenntnisse hat der Jurist,
wenn er nicht gerade diesen Kreisen ent¬
stammt, z. B. noch nicht das wirtschaftliche
und soziale Verständnis, um Fragen deS
Kartellrechts, des Bank- und Börsenrechts
oder des gewerblichen Rechtsschutzes mit voller
Beherrschung des Stoffes zu entscheiden. Hier
sitzt der berechtigte Kern des nur zu oft zu
Unrecht erhobenen Vorwurfes der Weltfremd¬
heit der Richter.
Im Rahmen der Studenten- und Refe¬
rendarsjahre ist so viel juristischer Stoff neu
aufzunehmen und zu verarbeiten, daß hier
kein Platz für die Erlangung dieser volks¬
wirtschaftlichen, sozialen und technischen Kennt¬
nisse bleibt; aber die Kräfte unserer jungen
Assessoren werden ja bei dem gegenwärtigen
Überfluß an Assessoren nicht sofort nach be¬
standenen Staatsexamen für den Justizdienst
gebraucht. So ist hier der richtige Zeitpunkt,
diese schwerwiegende Lücke ihrer Ausbildung
auszufüllen.
Diese Aufgabe hat der preußische Justiz¬
minister mit klarem Blicke erkannt und hat
durch die Allgemeine Verfügung vom 3. Juli
1912 die bisher nur ausnahmsweise erfol¬
gende Beurlaubung von Gerichtsassessoren zu
einer dauernden Einrichtung gemacht. Die
Verfügung übt zwar keinen Zwang zur Fort¬
bildung aus; es wird aber auch genügen,
wenn sie eS als erwünscht bezeichnet, daß die
Gerichtsassefforon in der auf die große Staats¬
prüfung folgenden Zeit ihre rechtswissen¬
schaftlichen Studien fortsetzen oder auf anderen,
insbesondere wirtschaftlichen Gebieten neue
Kenntnisse und Erfahrungen sammeln. Als
Fortbildungsmittel nennt die A. V. Beschäfti¬
gung in einem freien Berufe, z. B. in einem
kaufmännischen, gewerblichen oder landwirt¬
schaftlichen Betriebe, Mitwirkung bei einer
gemeinnützigen und unparteiischen Rechts¬
auskunftsstelle, Aufenthalt im Auslande,
Teilnahme an den rechts- und staatswissen¬
schaftlicher Fortbildungskursen, Besuch einer
Universität zur Wiederaufnahme der Fach¬
studien, Beschäftigung bei einem Rechts-
anwälte.
Von diesen Mitteln wird das zu 4 Ge¬
nannte — Teilnahme an den Fortbildungs¬
kursen — zweifellos am meisten von den
Assessoren gewählt werden. Die Beschäftigung
in einem kaufmännischen oder gewerblichen
Betriebe, welche den großen Vorzug hat, daß
die jungen Juristen die Probleme einmal
nicht von der juristischen, sondern von der
wirtschaftlichen Seite sehen, wird immer nur
wenigen zugänglich sein, weil die Zahl solcher
Betriebe, welche einen Juristen beschäftigen
kann oder will, verhältnismäßig gering
ist, aber jährlich zwölf- bis dreizehnhundert
Referendare das Assessorexamen bestehen.
Zu den Auslandsreisen wird nur der geringste
Teil der jungen Juristen die Geldmittel
haben. Die Beschäftigung beim Anwalt und
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |