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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Karl saber

dicke alte Bäuerin. Doch sie erwidert seinen Gruß nicht, greift nach dem Reiser¬
besen und kreischt mit geifernden Munde:

"Was willscht denn du Spitzbubenbankert in unserm Haus? Wann du net
nachsehe, daß du nauskummscht, schmeiß ich dir alle Rippe im Leib kaputl"

Karl schaut sich um, ob da nichts sei, womit er sich bewaffnen könne, aber
er findet nichts Greifbares in der Nähe. Da will er, ohne die tätlichen Angriffe
der Frau abzuwehren, versuchen, ob er sie nicht mit vernünftigen Worten begüten
könne. Er wird der Erhöhter darstellen, was der Vetter Holtner gesagt hat, daß
er da doch nichts dazu könne, wenn sein Vater unrecht gehandelt habe, und dann
wird er ganz demütig seine Bitte vorbringen. So hebt er an:

"Bas Wirbelsen. . .1"

Weiter kommt er nicht,

"Nix Bas Wirbelsen! Naus aus unserm Haus, nix wie naus l For Spitz¬
bubenvolk is do taar Platzt"

Auch sie hat Geld verloren durch die Betrügereien des Schmiedes, und darum
kennt sie kein Erbarmen. Sie nimmt den noch voll Unrat hängenden Stallbesen
und wirft ihn nach dem Burschen. Da muß dieser zurückweichen. Beim Hinaus¬
gehen ruft er:

"Ihr seid jo so dumm wie dick Ihr. . .!"

In den Gassen danken sie ihm nicht auf seinen Gruß. Wenn er an
Menschen vorüber muß, die als besonders roh bekannt sind, bedauert er, sich
keinen Prügel zur Wehr mitgenommen zu haben. Er stramme dann seine ganze
Tapferkeit auf und macht ein bissiges Gesicht, aber das Herz klopft ihm doch
bänglich, bis er glücklich vorüber ist. Bisweilen fliegt ihm ein Schimpfwort an
den Kopf. Bei einer solchen Gelegenheit läßt er sich hinreißen, dem Schimpfenden
das alte Kindersprüchelchen nachzurufen:


Schäume (schänden schimpfen), schäume tut net weh,
Wer mich schaut, Hot Lauf un Floh l

Aber gleich darauf tut ihm etwas weh, sein Kopf von einem Stein, den ihm
der Bauer daran geworfen hat. Er taumelt zwei, drei Schritte und fühlt an die
getroffene Stelle. Da werden seine Finger warm und naß. Er beschaut sie;
sie sind voll Blut. Es tröpfelt ihm auf den Hals. Am Kriegerdenkmal an dem
Brunnen zieht er sein Taschentuch hervor, netzt es, wäscht die Wunde aus. legt
das Tuch zu einer Kompresse zusammen und drückt es auf die verwundete Stelle.
Es ist unbequem, so mit hocherhobenen, rückwärts gebeugtem Arme zu marschieren.
Er schiebt den Hut weit ins Genick und über das Taschentuch, das jetzt von selbst
über der um des Vaters willen empfangenen Wunde hält.

Nun wird er den Frickels Georg um die Gefälligkeit bitten. Der ist mit
seinem Vater gerade dabei, einen Wagen Hafer abzuladen. Sie sehen den Burschen,
geben ihm aber keine Antwort. Karl ruft immer wieder seinen Gutenmorgengruß.
Er weiß, daß der Alte nicht gut hört und zu den Leuten, die nicht laut genug
sprechen, sicher ja sagt, wo es nein heißen müßte. Aber der junge Frickel ist doch
nicht taub, und so ruft er noch einmal:

"G'Morje, Georg, hörst du dann nix?"

Keine Antwort.


Karl saber

dicke alte Bäuerin. Doch sie erwidert seinen Gruß nicht, greift nach dem Reiser¬
besen und kreischt mit geifernden Munde:

„Was willscht denn du Spitzbubenbankert in unserm Haus? Wann du net
nachsehe, daß du nauskummscht, schmeiß ich dir alle Rippe im Leib kaputl"

Karl schaut sich um, ob da nichts sei, womit er sich bewaffnen könne, aber
er findet nichts Greifbares in der Nähe. Da will er, ohne die tätlichen Angriffe
der Frau abzuwehren, versuchen, ob er sie nicht mit vernünftigen Worten begüten
könne. Er wird der Erhöhter darstellen, was der Vetter Holtner gesagt hat, daß
er da doch nichts dazu könne, wenn sein Vater unrecht gehandelt habe, und dann
wird er ganz demütig seine Bitte vorbringen. So hebt er an:

„Bas Wirbelsen. . .1"

Weiter kommt er nicht,

„Nix Bas Wirbelsen! Naus aus unserm Haus, nix wie naus l For Spitz¬
bubenvolk is do taar Platzt"

Auch sie hat Geld verloren durch die Betrügereien des Schmiedes, und darum
kennt sie kein Erbarmen. Sie nimmt den noch voll Unrat hängenden Stallbesen
und wirft ihn nach dem Burschen. Da muß dieser zurückweichen. Beim Hinaus¬
gehen ruft er:

„Ihr seid jo so dumm wie dick Ihr. . .!"

In den Gassen danken sie ihm nicht auf seinen Gruß. Wenn er an
Menschen vorüber muß, die als besonders roh bekannt sind, bedauert er, sich
keinen Prügel zur Wehr mitgenommen zu haben. Er stramme dann seine ganze
Tapferkeit auf und macht ein bissiges Gesicht, aber das Herz klopft ihm doch
bänglich, bis er glücklich vorüber ist. Bisweilen fliegt ihm ein Schimpfwort an
den Kopf. Bei einer solchen Gelegenheit läßt er sich hinreißen, dem Schimpfenden
das alte Kindersprüchelchen nachzurufen:


Schäume (schänden schimpfen), schäume tut net weh,
Wer mich schaut, Hot Lauf un Floh l

Aber gleich darauf tut ihm etwas weh, sein Kopf von einem Stein, den ihm
der Bauer daran geworfen hat. Er taumelt zwei, drei Schritte und fühlt an die
getroffene Stelle. Da werden seine Finger warm und naß. Er beschaut sie;
sie sind voll Blut. Es tröpfelt ihm auf den Hals. Am Kriegerdenkmal an dem
Brunnen zieht er sein Taschentuch hervor, netzt es, wäscht die Wunde aus. legt
das Tuch zu einer Kompresse zusammen und drückt es auf die verwundete Stelle.
Es ist unbequem, so mit hocherhobenen, rückwärts gebeugtem Arme zu marschieren.
Er schiebt den Hut weit ins Genick und über das Taschentuch, das jetzt von selbst
über der um des Vaters willen empfangenen Wunde hält.

Nun wird er den Frickels Georg um die Gefälligkeit bitten. Der ist mit
seinem Vater gerade dabei, einen Wagen Hafer abzuladen. Sie sehen den Burschen,
geben ihm aber keine Antwort. Karl ruft immer wieder seinen Gutenmorgengruß.
Er weiß, daß der Alte nicht gut hört und zu den Leuten, die nicht laut genug
sprechen, sicher ja sagt, wo es nein heißen müßte. Aber der junge Frickel ist doch
nicht taub, und so ruft er noch einmal:

„G'Morje, Georg, hörst du dann nix?"

Keine Antwort.


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[0141] Karl saber dicke alte Bäuerin. Doch sie erwidert seinen Gruß nicht, greift nach dem Reiser¬ besen und kreischt mit geifernden Munde: „Was willscht denn du Spitzbubenbankert in unserm Haus? Wann du net nachsehe, daß du nauskummscht, schmeiß ich dir alle Rippe im Leib kaputl" Karl schaut sich um, ob da nichts sei, womit er sich bewaffnen könne, aber er findet nichts Greifbares in der Nähe. Da will er, ohne die tätlichen Angriffe der Frau abzuwehren, versuchen, ob er sie nicht mit vernünftigen Worten begüten könne. Er wird der Erhöhter darstellen, was der Vetter Holtner gesagt hat, daß er da doch nichts dazu könne, wenn sein Vater unrecht gehandelt habe, und dann wird er ganz demütig seine Bitte vorbringen. So hebt er an: „Bas Wirbelsen. . .1" Weiter kommt er nicht, „Nix Bas Wirbelsen! Naus aus unserm Haus, nix wie naus l For Spitz¬ bubenvolk is do taar Platzt" Auch sie hat Geld verloren durch die Betrügereien des Schmiedes, und darum kennt sie kein Erbarmen. Sie nimmt den noch voll Unrat hängenden Stallbesen und wirft ihn nach dem Burschen. Da muß dieser zurückweichen. Beim Hinaus¬ gehen ruft er: „Ihr seid jo so dumm wie dick Ihr. . .!" In den Gassen danken sie ihm nicht auf seinen Gruß. Wenn er an Menschen vorüber muß, die als besonders roh bekannt sind, bedauert er, sich keinen Prügel zur Wehr mitgenommen zu haben. Er stramme dann seine ganze Tapferkeit auf und macht ein bissiges Gesicht, aber das Herz klopft ihm doch bänglich, bis er glücklich vorüber ist. Bisweilen fliegt ihm ein Schimpfwort an den Kopf. Bei einer solchen Gelegenheit läßt er sich hinreißen, dem Schimpfenden das alte Kindersprüchelchen nachzurufen: Schäume (schänden schimpfen), schäume tut net weh, Wer mich schaut, Hot Lauf un Floh l Aber gleich darauf tut ihm etwas weh, sein Kopf von einem Stein, den ihm der Bauer daran geworfen hat. Er taumelt zwei, drei Schritte und fühlt an die getroffene Stelle. Da werden seine Finger warm und naß. Er beschaut sie; sie sind voll Blut. Es tröpfelt ihm auf den Hals. Am Kriegerdenkmal an dem Brunnen zieht er sein Taschentuch hervor, netzt es, wäscht die Wunde aus. legt das Tuch zu einer Kompresse zusammen und drückt es auf die verwundete Stelle. Es ist unbequem, so mit hocherhobenen, rückwärts gebeugtem Arme zu marschieren. Er schiebt den Hut weit ins Genick und über das Taschentuch, das jetzt von selbst über der um des Vaters willen empfangenen Wunde hält. Nun wird er den Frickels Georg um die Gefälligkeit bitten. Der ist mit seinem Vater gerade dabei, einen Wagen Hafer abzuladen. Sie sehen den Burschen, geben ihm aber keine Antwort. Karl ruft immer wieder seinen Gutenmorgengruß. Er weiß, daß der Alte nicht gut hört und zu den Leuten, die nicht laut genug sprechen, sicher ja sagt, wo es nein heißen müßte. Aber der junge Frickel ist doch nicht taub, und so ruft er noch einmal: „G'Morje, Georg, hörst du dann nix?" Keine Antwort.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/141>, abgerufen am 15.01.2025.