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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Aarl Salzer

Und da der alte Junggeselle sich noch am Gaule zu schaffen macht, fügt der
Bursche hinzu:

"Ihr braucht euch net zu genieren, Vetter Holtner, geht nur hinein!"

Wuppla, schnurrt der Harnes da herum wie ein eifriger Rekrut, wenn KehrtI
kommandiert wird, und poltert:

"Was, geniern? Vielleicht vor dir Lausbub, dir dreckigem? Oder vor deiner
Tante, dere alt Schachtel?"

Er trappt durch den Hausgang ins Zimmer; Karl hinterdrein. Unter der
Tür beugt Hannes Holtner sich nach vorn, um nicht an dem Oberpfosten an-
zustoßen, und gleich will der Hüne drauf los wettern. Da schießt Sophie auf
ihn zu und sagt, indem sie dabei unverwandt auf den Boden schaut:

"Ja ja, so geht's halt, ja ja, das geht so, hmhmhmhmhm, geht so, sag ich,
hmhmhml"

Hannes Holtner, der von dem Arzte bereits unterrichtet ist, faßt die Kranke
bei der Hand und erwidert ihr:

"Du hast ganz recht, meine Maat, so geht's und kein Bißjen anders; aber
heut fahren wir! Verstanden?"

Doch Sophie sagt nur, daß das so ginge. Hannes Holtner wendet sich an
die Jungfer:

"Wie kommst du dazu, zu meinen, man wollt dir keinen Gefallen tun? Was
könnt ihr denn dafür, daß der tolle Kerl sich . . ."

Tante Seelchen fällt ihm ins Wort: "Bscht!", legt den Finger auf die Lippen
und deutet mit den Blicken auf Sophie.

"Jaso!" sagt Hannes Holtner, der Hüne, "da muß man zartfühlend sein!
Auch recht! Na, also, ihr könnt nix dazu, und so dumm wie die anderen Bauern
sind 's Holtners net! Jetzert, wie kann sich denn aber auch so ein Rindvieh mit
dem Jud auf Spekulationen einlassen, das Kamel?"

Karl hört diese Schimpfworte und kann dem, der sie so grob und rück¬
sichtslos herauspoltert, nicht zürnen. Er weiß nicht, warum. In ihm wirkt nur
das Gefühl, daß dies Schimpfen anders sei als das der erbosten Bauern und
Arbeiter von gestern Abend.

Auch Tante Seelchen lächelt nur bei dem Geschimpfe des Riesen, denn sie
weiß es, daß hier keine verbissene Bosheit geifert, sondern daß nur eine ehrliche
Derbheit und junggesellenhafte Schrulligkeit rumort.

"Und was wird denn jetzert aus euch zwei, Seite?" fährt Hannes Holtner
fort, "aus dir und dem Bub? Hätt'se du geHeirat, du dumm Mensch, wer wird
dich denn heut noch haben wollen?"

"Aweil predigts Laster Moral!" erwidert Tante Seelchen schmunzelnd.
"Warum hast du denn net geHeirat? Wer wird dich denn heut noch haben wollen,
dich alten Bock?"

"Wirklich, Seite, wir könnten ins Spaßige kommen, aber aweil dürfen wir's
net. Jetzert im Ernst geredt: was willst du anfangen? Denn dein ganz Gerstchen
ist doch beim Teufel!"

"Ja!" seufzt Tante Seelchen, "das weiß unsern Herrgott, was aus uns zwei
werden soll!"


Aarl Salzer

Und da der alte Junggeselle sich noch am Gaule zu schaffen macht, fügt der
Bursche hinzu:

„Ihr braucht euch net zu genieren, Vetter Holtner, geht nur hinein!"

Wuppla, schnurrt der Harnes da herum wie ein eifriger Rekrut, wenn KehrtI
kommandiert wird, und poltert:

„Was, geniern? Vielleicht vor dir Lausbub, dir dreckigem? Oder vor deiner
Tante, dere alt Schachtel?"

Er trappt durch den Hausgang ins Zimmer; Karl hinterdrein. Unter der
Tür beugt Hannes Holtner sich nach vorn, um nicht an dem Oberpfosten an-
zustoßen, und gleich will der Hüne drauf los wettern. Da schießt Sophie auf
ihn zu und sagt, indem sie dabei unverwandt auf den Boden schaut:

„Ja ja, so geht's halt, ja ja, das geht so, hmhmhmhmhm, geht so, sag ich,
hmhmhml"

Hannes Holtner, der von dem Arzte bereits unterrichtet ist, faßt die Kranke
bei der Hand und erwidert ihr:

„Du hast ganz recht, meine Maat, so geht's und kein Bißjen anders; aber
heut fahren wir! Verstanden?"

Doch Sophie sagt nur, daß das so ginge. Hannes Holtner wendet sich an
die Jungfer:

„Wie kommst du dazu, zu meinen, man wollt dir keinen Gefallen tun? Was
könnt ihr denn dafür, daß der tolle Kerl sich . . ."

Tante Seelchen fällt ihm ins Wort: „Bscht!", legt den Finger auf die Lippen
und deutet mit den Blicken auf Sophie.

„Jaso!" sagt Hannes Holtner, der Hüne, „da muß man zartfühlend sein!
Auch recht! Na, also, ihr könnt nix dazu, und so dumm wie die anderen Bauern
sind 's Holtners net! Jetzert, wie kann sich denn aber auch so ein Rindvieh mit
dem Jud auf Spekulationen einlassen, das Kamel?"

Karl hört diese Schimpfworte und kann dem, der sie so grob und rück¬
sichtslos herauspoltert, nicht zürnen. Er weiß nicht, warum. In ihm wirkt nur
das Gefühl, daß dies Schimpfen anders sei als das der erbosten Bauern und
Arbeiter von gestern Abend.

Auch Tante Seelchen lächelt nur bei dem Geschimpfe des Riesen, denn sie
weiß es, daß hier keine verbissene Bosheit geifert, sondern daß nur eine ehrliche
Derbheit und junggesellenhafte Schrulligkeit rumort.

„Und was wird denn jetzert aus euch zwei, Seite?" fährt Hannes Holtner
fort, „aus dir und dem Bub? Hätt'se du geHeirat, du dumm Mensch, wer wird
dich denn heut noch haben wollen?"

„Aweil predigts Laster Moral!" erwidert Tante Seelchen schmunzelnd.
„Warum hast du denn net geHeirat? Wer wird dich denn heut noch haben wollen,
dich alten Bock?"

„Wirklich, Seite, wir könnten ins Spaßige kommen, aber aweil dürfen wir's
net. Jetzert im Ernst geredt: was willst du anfangen? Denn dein ganz Gerstchen
ist doch beim Teufel!"

„Ja!" seufzt Tante Seelchen, „das weiß unsern Herrgott, was aus uns zwei
werden soll!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/138>, abgerufen am 15.01.2025.