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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.

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Der Arme Heinrich

konnte, ist dem Drama Gerhart Hauptmanns versagt. Heinrichs Gottesbegriff
wurzelt in einem unklaren Pantheismus, an dem Krankheit und Genesung nichts
ändern. Für das oft gebrauchte Wort "Gott" kann man durchaus und mit
Fug ebensowohl Schicksal oder Fügung als Welt oder Sein einsetzen. Heinrichs
Beten ist ein seraphisch Klingen im eitlen Wahren der Gottesnähe oder ein
Fluch auf die schmutzigen Hunde des Schicksals, die auf seiner Fährte liegen.
Und wenn bei Hartmann die Heilung von Gott kommt, weil zu den Welt¬
tugenden Heinrichs nun auch die Frömmigkeit trat, so leuchten bei Hauptmann
"drei Strahlen der Gnade", die das innerste Herz ans dumpfer Bedrängtheit
lösen und es ausweiden ins urewige Liebeselement. Mit nicht geringer Kraft
und Kunst hat der Dichter das Aufdämmern, das Ausbrechen und das alles
Erfüllende der großen und reinen Liebe in einer mächtigen Rede geschildert,
der Liebe, die den Kranken und Gebrochenen innerlich befreit und äußerlich
gesund macht. Trotzdem klafft hier der breiteste Sprung in Hauptmanns Gedicht.
Das Symbol ist zu schwach, und von der höchst realen Krankheit, die mit den
stärksten Mitteln des Naturalismus ausgemalt ist, baut sich keine Brücke zur
rein symbolischen Heilung, von der Seuche des Leibes zur Läuterung der Seele.

Longfellow hat sein Werk mit der faustischen Idee des Kampfes zwischen
Gut und Böse umrahmt und durchwirkt. Dadurch erlangt die Handlung etwas
Außerlebendiges, aber auch Unlebendigcs und Schematisches. Der Prolog zeigt
Luzifer im Kampf mit Kreuz und Kirche, der Schluß bringt die Engel der
guten und bösen Tat. Die Blutkur ist das Böse schlechthin; alles, was darauf
Bezug hat, unternimmt Luzifer. Er rät im Beichtstuhl zur Opferung, er begleitet
die Reisenden, er schärft als Arzt das Messer und will dem Reuigen den
Eintritt wehren.

Gerhart Hauptmann führt uns zu Beginn seines Dramas gleich auf das
weltentrückte Landgut, wo der schon kranke und gebrochene Heinrich weilt. Und
wir dürfen billig darüber staunen, daß er, nicht anders wie Longfellow, den
wirksamen Gegensatz auf die Bühne zu stellen verschmäht hat: Heinrich auf der
Höhe seines Weltruhms, und der Beginn der Krankheit, das Verhalten der
Gesellschaft, Heinrichs Entsetzen und vergebliche Auflehnung usw. Der Dramatiker
hat vielmehr die Vorgeschichte, die Hartmann nur ganz allgemein andeutet, mit
realen und bunten Zügen ausgestattet, und holt sie in gelegentlich eingeschobener
Erzählung da und dort nach. Heinrich, bestrahlt von Friedrichs kaiserlicher
Gunst, im Glänze der Welt, ist von einer Kreuzfahrt eben ruhmreich zurück¬
gekehrt und heimlich verlobt mit des staufischen Kaisers junger Tochter. So
trägt ihn das Geschick auf die Höhe; die Pracht des Orients umgibt den jungen
Helden und der Vlütmduft aus fernem Süden umschmeichelt seine Erinnerung.
Da erkennt er die Anzeichen des Siechtums. Die beiden einleitenden Akte
bringen nun in beständiger kunstvoller Steigerung die Kunde von Heinrichs
Aussatz. Erst verbirgt sie sich hinter dunklen und unklaren Worten, es schwirren
versteckte Anspielungen, die immer breiter und deutlicher werden, bis endlich


Der Arme Heinrich

konnte, ist dem Drama Gerhart Hauptmanns versagt. Heinrichs Gottesbegriff
wurzelt in einem unklaren Pantheismus, an dem Krankheit und Genesung nichts
ändern. Für das oft gebrauchte Wort „Gott" kann man durchaus und mit
Fug ebensowohl Schicksal oder Fügung als Welt oder Sein einsetzen. Heinrichs
Beten ist ein seraphisch Klingen im eitlen Wahren der Gottesnähe oder ein
Fluch auf die schmutzigen Hunde des Schicksals, die auf seiner Fährte liegen.
Und wenn bei Hartmann die Heilung von Gott kommt, weil zu den Welt¬
tugenden Heinrichs nun auch die Frömmigkeit trat, so leuchten bei Hauptmann
„drei Strahlen der Gnade", die das innerste Herz ans dumpfer Bedrängtheit
lösen und es ausweiden ins urewige Liebeselement. Mit nicht geringer Kraft
und Kunst hat der Dichter das Aufdämmern, das Ausbrechen und das alles
Erfüllende der großen und reinen Liebe in einer mächtigen Rede geschildert,
der Liebe, die den Kranken und Gebrochenen innerlich befreit und äußerlich
gesund macht. Trotzdem klafft hier der breiteste Sprung in Hauptmanns Gedicht.
Das Symbol ist zu schwach, und von der höchst realen Krankheit, die mit den
stärksten Mitteln des Naturalismus ausgemalt ist, baut sich keine Brücke zur
rein symbolischen Heilung, von der Seuche des Leibes zur Läuterung der Seele.

Longfellow hat sein Werk mit der faustischen Idee des Kampfes zwischen
Gut und Böse umrahmt und durchwirkt. Dadurch erlangt die Handlung etwas
Außerlebendiges, aber auch Unlebendigcs und Schematisches. Der Prolog zeigt
Luzifer im Kampf mit Kreuz und Kirche, der Schluß bringt die Engel der
guten und bösen Tat. Die Blutkur ist das Böse schlechthin; alles, was darauf
Bezug hat, unternimmt Luzifer. Er rät im Beichtstuhl zur Opferung, er begleitet
die Reisenden, er schärft als Arzt das Messer und will dem Reuigen den
Eintritt wehren.

Gerhart Hauptmann führt uns zu Beginn seines Dramas gleich auf das
weltentrückte Landgut, wo der schon kranke und gebrochene Heinrich weilt. Und
wir dürfen billig darüber staunen, daß er, nicht anders wie Longfellow, den
wirksamen Gegensatz auf die Bühne zu stellen verschmäht hat: Heinrich auf der
Höhe seines Weltruhms, und der Beginn der Krankheit, das Verhalten der
Gesellschaft, Heinrichs Entsetzen und vergebliche Auflehnung usw. Der Dramatiker
hat vielmehr die Vorgeschichte, die Hartmann nur ganz allgemein andeutet, mit
realen und bunten Zügen ausgestattet, und holt sie in gelegentlich eingeschobener
Erzählung da und dort nach. Heinrich, bestrahlt von Friedrichs kaiserlicher
Gunst, im Glänze der Welt, ist von einer Kreuzfahrt eben ruhmreich zurück¬
gekehrt und heimlich verlobt mit des staufischen Kaisers junger Tochter. So
trägt ihn das Geschick auf die Höhe; die Pracht des Orients umgibt den jungen
Helden und der Vlütmduft aus fernem Süden umschmeichelt seine Erinnerung.
Da erkennt er die Anzeichen des Siechtums. Die beiden einleitenden Akte
bringen nun in beständiger kunstvoller Steigerung die Kunde von Heinrichs
Aussatz. Erst verbirgt sie sich hinter dunklen und unklaren Worten, es schwirren
versteckte Anspielungen, die immer breiter und deutlicher werden, bis endlich


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[0123] Der Arme Heinrich konnte, ist dem Drama Gerhart Hauptmanns versagt. Heinrichs Gottesbegriff wurzelt in einem unklaren Pantheismus, an dem Krankheit und Genesung nichts ändern. Für das oft gebrauchte Wort „Gott" kann man durchaus und mit Fug ebensowohl Schicksal oder Fügung als Welt oder Sein einsetzen. Heinrichs Beten ist ein seraphisch Klingen im eitlen Wahren der Gottesnähe oder ein Fluch auf die schmutzigen Hunde des Schicksals, die auf seiner Fährte liegen. Und wenn bei Hartmann die Heilung von Gott kommt, weil zu den Welt¬ tugenden Heinrichs nun auch die Frömmigkeit trat, so leuchten bei Hauptmann „drei Strahlen der Gnade", die das innerste Herz ans dumpfer Bedrängtheit lösen und es ausweiden ins urewige Liebeselement. Mit nicht geringer Kraft und Kunst hat der Dichter das Aufdämmern, das Ausbrechen und das alles Erfüllende der großen und reinen Liebe in einer mächtigen Rede geschildert, der Liebe, die den Kranken und Gebrochenen innerlich befreit und äußerlich gesund macht. Trotzdem klafft hier der breiteste Sprung in Hauptmanns Gedicht. Das Symbol ist zu schwach, und von der höchst realen Krankheit, die mit den stärksten Mitteln des Naturalismus ausgemalt ist, baut sich keine Brücke zur rein symbolischen Heilung, von der Seuche des Leibes zur Läuterung der Seele. Longfellow hat sein Werk mit der faustischen Idee des Kampfes zwischen Gut und Böse umrahmt und durchwirkt. Dadurch erlangt die Handlung etwas Außerlebendiges, aber auch Unlebendigcs und Schematisches. Der Prolog zeigt Luzifer im Kampf mit Kreuz und Kirche, der Schluß bringt die Engel der guten und bösen Tat. Die Blutkur ist das Böse schlechthin; alles, was darauf Bezug hat, unternimmt Luzifer. Er rät im Beichtstuhl zur Opferung, er begleitet die Reisenden, er schärft als Arzt das Messer und will dem Reuigen den Eintritt wehren. Gerhart Hauptmann führt uns zu Beginn seines Dramas gleich auf das weltentrückte Landgut, wo der schon kranke und gebrochene Heinrich weilt. Und wir dürfen billig darüber staunen, daß er, nicht anders wie Longfellow, den wirksamen Gegensatz auf die Bühne zu stellen verschmäht hat: Heinrich auf der Höhe seines Weltruhms, und der Beginn der Krankheit, das Verhalten der Gesellschaft, Heinrichs Entsetzen und vergebliche Auflehnung usw. Der Dramatiker hat vielmehr die Vorgeschichte, die Hartmann nur ganz allgemein andeutet, mit realen und bunten Zügen ausgestattet, und holt sie in gelegentlich eingeschobener Erzählung da und dort nach. Heinrich, bestrahlt von Friedrichs kaiserlicher Gunst, im Glänze der Welt, ist von einer Kreuzfahrt eben ruhmreich zurück¬ gekehrt und heimlich verlobt mit des staufischen Kaisers junger Tochter. So trägt ihn das Geschick auf die Höhe; die Pracht des Orients umgibt den jungen Helden und der Vlütmduft aus fernem Süden umschmeichelt seine Erinnerung. Da erkennt er die Anzeichen des Siechtums. Die beiden einleitenden Akte bringen nun in beständiger kunstvoller Steigerung die Kunde von Heinrichs Aussatz. Erst verbirgt sie sich hinter dunklen und unklaren Worten, es schwirren versteckte Anspielungen, die immer breiter und deutlicher werden, bis endlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_322400/123>, abgerufen am 15.01.2025.