Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Viertes Vierteljahr.Am Bau der deutschen Zukunft Zu den Denkern, die beim Versuch einer Orientierung der oben bezeichneten Die physikalisch-chemische Erklärung Rathenaus hat ohne Zweifel viel Aber gleichviel, darin hat Rathenau jedenfalls Recht, daß unsere Zeit in Die Mechanisierung, die, von der Gütererzeugung ausgehend, nach und Am Bau der deutschen Zukunft Zu den Denkern, die beim Versuch einer Orientierung der oben bezeichneten Die physikalisch-chemische Erklärung Rathenaus hat ohne Zweifel viel Aber gleichviel, darin hat Rathenau jedenfalls Recht, daß unsere Zeit in Die Mechanisierung, die, von der Gütererzeugung ausgehend, nach und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322516"/> <fw type="header" place="top"> Am Bau der deutschen Zukunft</fw><lb/> <p xml:id="ID_464"> Zu den Denkern, die beim Versuch einer Orientierung der oben bezeichneten<lb/> Art den Ablauf der Ereignisse wesentlich von außerpersönlichen Ursachen ableiten,<lb/> gehört auch Walther Rathenau. Sein Buch „Zur Kritik der Zeit" (Berlin 1911,<lb/> S. Fischer) zeigt ihn stark von der Rassentheorie beeinflußt, so stark, daß er das<lb/> Leben der geschichtlich bedeutsamen Völker in seinem Verlauf auf der Zusammen¬<lb/> setzung der Völker aus zwei stammverschiedenen Schichten beruhen läßt. Den<lb/> Höhepunkt seines Daseins bedeutet es nach Rathenau für ein Volk, wenn diese<lb/> beiden Schichten sich ineinander auflösen, weil dann die besten und höchsten<lb/> individuellen Kräfte beider Schichten aus der bisherigen Spannung sich lösen,<lb/> sich auswirken. Der Vorgang vollzieht sich anfangs langsam, später schneller,<lb/> führt zu einer Periode der Höchstleistung, schwillt dann wieder ab, „und die<lb/> ausgebrannten Völker bleiben wie tote Schlacken am Wege liegen". Für unser<lb/> Volk würde die Emanzipation der Unterdrückten, ihre äußere und gesetzlich an¬<lb/> erkannte rechtliche Gleichstellung mit den bisherigen Herren hiernach als der<lb/> bedeutsamste Schritt auf dem Wege zu diesem Ziel anzusehen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_465"> Die physikalisch-chemische Erklärung Rathenaus hat ohne Zweifel viel<lb/> Bestechendes. Wir alle kennen aus der Geschichte die Völkermischungen, wenn<lb/> wir auch ihren Zusammenhang mit Höchstleistungen nicht immer vor Augen sehen.<lb/> Wir wissen auch, daß allerdings Edeloölker, auf geringe Rassen aufgepfropft,<lb/> vor ihrem Untergang in diesen den höchsten Glanz ihres Seins gezeigt haben.<lb/> Auch das geben wir Rathenau gern zu, „daß alle Kultur dieser Erde von<lb/> aristokratischen Organisationen ausgegangen ist" (weil nämlich Demokratie und<lb/> Kultur entgegengesetzt wirkende Kräfte sind). Aber daß diese Aristokratien immer<lb/> auf rassenmäßiger Verschiedenheit beruhten, wird Rathenau nicht beiveisen können,<lb/> am wenigsten gerade sür das deutsche Volk. Gewiß sind die verschiedensten<lb/> sremdrassigen Einschläge dein Germanentum eingewebt worden, aber wenn man<lb/> z, B. an den Aufstieg unfreier Ministerialen in die Adelskaste des Rittertums<lb/> denkt, dürften Herren und Knechte, wenn auch nicht in gleichem Maße, so<lb/> doch jedenfalls beiderseits Anteil an jenem fremden Blute bekommen haben,<lb/> ohne daß jeues Phänomen der Entbindung aller höchsten Kräfte beider Rassen<lb/> eingetreten wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_466"> Aber gleichviel, darin hat Rathenau jedenfalls Recht, daß unsere Zeit in<lb/> höherem Maße als frühere Zeiten das Ergebnis einer sozialen Umschichtung<lb/> darstellt, und daß diese auch Bevölkerungsteile emporgeführt hat, deren Wesens¬<lb/> art mit unserem vererbten Ideal von deutscher Kultur kontrastiert. In diesem<lb/> Sinne können wir mit Rathenau von einer fortschreitenden Entgermanisierung<lb/> unserer Zeit reden. Ihr zur Seite tritt, hervorgerufen durch die Nötigung des<lb/> Menschen, bei zunehmender Übervölkerung zu existieren, die Mechanisierung der<lb/> Menschheit unserer Tage.</p><lb/> <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> Die Mechanisierung, die, von der Gütererzeugung ausgehend, nach und<lb/> nach, vom wachsenden Einfluß des Kapitalismus gefördert, Staat und Gesell¬<lb/> schaft und jeden einzelnen in ihre Kreise zieht, jede Persönlichkeit unfrei zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0114]
Am Bau der deutschen Zukunft
Zu den Denkern, die beim Versuch einer Orientierung der oben bezeichneten
Art den Ablauf der Ereignisse wesentlich von außerpersönlichen Ursachen ableiten,
gehört auch Walther Rathenau. Sein Buch „Zur Kritik der Zeit" (Berlin 1911,
S. Fischer) zeigt ihn stark von der Rassentheorie beeinflußt, so stark, daß er das
Leben der geschichtlich bedeutsamen Völker in seinem Verlauf auf der Zusammen¬
setzung der Völker aus zwei stammverschiedenen Schichten beruhen läßt. Den
Höhepunkt seines Daseins bedeutet es nach Rathenau für ein Volk, wenn diese
beiden Schichten sich ineinander auflösen, weil dann die besten und höchsten
individuellen Kräfte beider Schichten aus der bisherigen Spannung sich lösen,
sich auswirken. Der Vorgang vollzieht sich anfangs langsam, später schneller,
führt zu einer Periode der Höchstleistung, schwillt dann wieder ab, „und die
ausgebrannten Völker bleiben wie tote Schlacken am Wege liegen". Für unser
Volk würde die Emanzipation der Unterdrückten, ihre äußere und gesetzlich an¬
erkannte rechtliche Gleichstellung mit den bisherigen Herren hiernach als der
bedeutsamste Schritt auf dem Wege zu diesem Ziel anzusehen sein.
Die physikalisch-chemische Erklärung Rathenaus hat ohne Zweifel viel
Bestechendes. Wir alle kennen aus der Geschichte die Völkermischungen, wenn
wir auch ihren Zusammenhang mit Höchstleistungen nicht immer vor Augen sehen.
Wir wissen auch, daß allerdings Edeloölker, auf geringe Rassen aufgepfropft,
vor ihrem Untergang in diesen den höchsten Glanz ihres Seins gezeigt haben.
Auch das geben wir Rathenau gern zu, „daß alle Kultur dieser Erde von
aristokratischen Organisationen ausgegangen ist" (weil nämlich Demokratie und
Kultur entgegengesetzt wirkende Kräfte sind). Aber daß diese Aristokratien immer
auf rassenmäßiger Verschiedenheit beruhten, wird Rathenau nicht beiveisen können,
am wenigsten gerade sür das deutsche Volk. Gewiß sind die verschiedensten
sremdrassigen Einschläge dein Germanentum eingewebt worden, aber wenn man
z, B. an den Aufstieg unfreier Ministerialen in die Adelskaste des Rittertums
denkt, dürften Herren und Knechte, wenn auch nicht in gleichem Maße, so
doch jedenfalls beiderseits Anteil an jenem fremden Blute bekommen haben,
ohne daß jeues Phänomen der Entbindung aller höchsten Kräfte beider Rassen
eingetreten wäre.
Aber gleichviel, darin hat Rathenau jedenfalls Recht, daß unsere Zeit in
höherem Maße als frühere Zeiten das Ergebnis einer sozialen Umschichtung
darstellt, und daß diese auch Bevölkerungsteile emporgeführt hat, deren Wesens¬
art mit unserem vererbten Ideal von deutscher Kultur kontrastiert. In diesem
Sinne können wir mit Rathenau von einer fortschreitenden Entgermanisierung
unserer Zeit reden. Ihr zur Seite tritt, hervorgerufen durch die Nötigung des
Menschen, bei zunehmender Übervölkerung zu existieren, die Mechanisierung der
Menschheit unserer Tage.
Die Mechanisierung, die, von der Gütererzeugung ausgehend, nach und
nach, vom wachsenden Einfluß des Kapitalismus gefördert, Staat und Gesell¬
schaft und jeden einzelnen in ihre Kreise zieht, jede Persönlichkeit unfrei zu
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