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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Rarl Salzer

Unglück, wann das Jahr lang ist! Wer hätt's geglaubt, daß der reiche, der brave
Schmied Salzer ging machullel"

Der Jude schlägt sich auf die Beine und macht ein verzweifeltes Gesicht.
Dann wendet er sich an den Bürgermeister und fragt:

"Nu, Herr Bürgermeister, wie hat das könne kommen, hä, bei einem so
geachtete Mann, wie's war der Schmied Salzer?"

Der Amtsrichter bringt den Geschwätzigen auf sein Thema zurück, indem er
zu ihm sagt:

"Aber Mann, das gehört ja alles nicht daher, sagen Sie uns mal lieber,
was Sie wollenI"

"Nu, Herr Amtsrichter, man will doch net gelten als gemütloser Mensch, der
bei einem Unglücksfall gleich die Red bringt aufs Geschäft I"

Nachdem Herr Abraham Katzengold auf diese Art und Weise bewiesen hat,
daß er ein gemütvoller Mensch sei, holt er mit seinen dürren Fingern aus der
Brieftasche ein Schriftstück, das er entfaltet und dem Amtsrichter überreicht. Während
dieser sich ans Lesen schickt, fingert der Jude aus der Westentasche einen Zwicker,
setzt ihn auf die Nase, stellt sich hinter den lesenden Amtsrichter und sieht ihm
über die Schulter, um mitzulesen.

Als der Amtsrichter damit zu Ende ist, faltet er das Papier wieder zusammen
und sagt:

"Ja, darüber können wir erst später befindenI"

"Nu, Herr Amtsrichter, wie heißt später? Wann meine schöne Rapp ist
verreckt? Wer soll ihm geben zu fressen, wann die Erben vom Schmied Salzer
kein Kredit mehr kriegen for Hafer und Heut"

Karl, der ebenfalls in den Hof gekommen ist, als er des Juden Stimme
gehört hat, gibt diesem bei den letzten Worten einen Stoß in die Nippen und sagt:

"Du stinkiger Jud du, wir denn noch genung Hafer und Heu für den Gaul,
verstände?! Was geht euch denn der Gaul überhaupt an?"

"Nu, der Gaul, was geht er mich an? Der Gaul ist mein Eigentum. Der
Herr Amtsrichter hat's auch gelesen, daß der Gaul ist mein Eigentum, solang er
net bezahlt ist bis auf den letzten Heller und Pfenning, was bis jetzt noch net ist
der FallI"

Karl sieht seine Tante an und diese ihren Neffen Karl. Was geht da nicht
alles vor?

"Ihr Schwager ist da auf einen eigenartigen Handel eingegangen," wendet
der Amtsrichter sich an Tante Seelchen, "was mich vermuten läßt, daß dem Herrn
Katzengold die mißliche Vermögenslage Ihres Schwagers aus irgendeiner sicheren
Quelle schon bekannt war, als der Pferdehandel eben perfekt wurde. Darnach
wurden von Ihrem Schwager auf das Pferd dreihundert Mark sofort bezahlt,
die restierenden fünfhundert sollten in zwei vierteljährigen Raten zu je zweihundert¬
undfünfzig Mark beglichen werden. Die zweite Rate wäre schon am ersten Juli
fällig gewesen, also bereits vor fünf Wochen. Nun ist aber Ihr Schwager tat¬
sächlich noch mit der ersten Rate vom April im Rückstand. Nach einer Klausel
in dem Kaufbriefe bleibt der Gaul Eigentum des Verkäufers bis zur vollständigen
Abzahlung und kann sogar wieder in den Stall nach Pfeddersheim zurückgeholt
werden, wenn die Raten bis zum ersten August noch nicht bezahlt sind, ohne daß


Rarl Salzer

Unglück, wann das Jahr lang ist! Wer hätt's geglaubt, daß der reiche, der brave
Schmied Salzer ging machullel"

Der Jude schlägt sich auf die Beine und macht ein verzweifeltes Gesicht.
Dann wendet er sich an den Bürgermeister und fragt:

„Nu, Herr Bürgermeister, wie hat das könne kommen, hä, bei einem so
geachtete Mann, wie's war der Schmied Salzer?"

Der Amtsrichter bringt den Geschwätzigen auf sein Thema zurück, indem er
zu ihm sagt:

„Aber Mann, das gehört ja alles nicht daher, sagen Sie uns mal lieber,
was Sie wollenI"

„Nu, Herr Amtsrichter, man will doch net gelten als gemütloser Mensch, der
bei einem Unglücksfall gleich die Red bringt aufs Geschäft I"

Nachdem Herr Abraham Katzengold auf diese Art und Weise bewiesen hat,
daß er ein gemütvoller Mensch sei, holt er mit seinen dürren Fingern aus der
Brieftasche ein Schriftstück, das er entfaltet und dem Amtsrichter überreicht. Während
dieser sich ans Lesen schickt, fingert der Jude aus der Westentasche einen Zwicker,
setzt ihn auf die Nase, stellt sich hinter den lesenden Amtsrichter und sieht ihm
über die Schulter, um mitzulesen.

Als der Amtsrichter damit zu Ende ist, faltet er das Papier wieder zusammen
und sagt:

„Ja, darüber können wir erst später befindenI"

„Nu, Herr Amtsrichter, wie heißt später? Wann meine schöne Rapp ist
verreckt? Wer soll ihm geben zu fressen, wann die Erben vom Schmied Salzer
kein Kredit mehr kriegen for Hafer und Heut"

Karl, der ebenfalls in den Hof gekommen ist, als er des Juden Stimme
gehört hat, gibt diesem bei den letzten Worten einen Stoß in die Nippen und sagt:

„Du stinkiger Jud du, wir denn noch genung Hafer und Heu für den Gaul,
verstände?! Was geht euch denn der Gaul überhaupt an?"

„Nu, der Gaul, was geht er mich an? Der Gaul ist mein Eigentum. Der
Herr Amtsrichter hat's auch gelesen, daß der Gaul ist mein Eigentum, solang er
net bezahlt ist bis auf den letzten Heller und Pfenning, was bis jetzt noch net ist
der FallI"

Karl sieht seine Tante an und diese ihren Neffen Karl. Was geht da nicht
alles vor?

„Ihr Schwager ist da auf einen eigenartigen Handel eingegangen," wendet
der Amtsrichter sich an Tante Seelchen, „was mich vermuten läßt, daß dem Herrn
Katzengold die mißliche Vermögenslage Ihres Schwagers aus irgendeiner sicheren
Quelle schon bekannt war, als der Pferdehandel eben perfekt wurde. Darnach
wurden von Ihrem Schwager auf das Pferd dreihundert Mark sofort bezahlt,
die restierenden fünfhundert sollten in zwei vierteljährigen Raten zu je zweihundert¬
undfünfzig Mark beglichen werden. Die zweite Rate wäre schon am ersten Juli
fällig gewesen, also bereits vor fünf Wochen. Nun ist aber Ihr Schwager tat¬
sächlich noch mit der ersten Rate vom April im Rückstand. Nach einer Klausel
in dem Kaufbriefe bleibt der Gaul Eigentum des Verkäufers bis zur vollständigen
Abzahlung und kann sogar wieder in den Stall nach Pfeddersheim zurückgeholt
werden, wenn die Raten bis zum ersten August noch nicht bezahlt sind, ohne daß


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[0629] Rarl Salzer Unglück, wann das Jahr lang ist! Wer hätt's geglaubt, daß der reiche, der brave Schmied Salzer ging machullel" Der Jude schlägt sich auf die Beine und macht ein verzweifeltes Gesicht. Dann wendet er sich an den Bürgermeister und fragt: „Nu, Herr Bürgermeister, wie hat das könne kommen, hä, bei einem so geachtete Mann, wie's war der Schmied Salzer?" Der Amtsrichter bringt den Geschwätzigen auf sein Thema zurück, indem er zu ihm sagt: „Aber Mann, das gehört ja alles nicht daher, sagen Sie uns mal lieber, was Sie wollenI" „Nu, Herr Amtsrichter, man will doch net gelten als gemütloser Mensch, der bei einem Unglücksfall gleich die Red bringt aufs Geschäft I" Nachdem Herr Abraham Katzengold auf diese Art und Weise bewiesen hat, daß er ein gemütvoller Mensch sei, holt er mit seinen dürren Fingern aus der Brieftasche ein Schriftstück, das er entfaltet und dem Amtsrichter überreicht. Während dieser sich ans Lesen schickt, fingert der Jude aus der Westentasche einen Zwicker, setzt ihn auf die Nase, stellt sich hinter den lesenden Amtsrichter und sieht ihm über die Schulter, um mitzulesen. Als der Amtsrichter damit zu Ende ist, faltet er das Papier wieder zusammen und sagt: „Ja, darüber können wir erst später befindenI" „Nu, Herr Amtsrichter, wie heißt später? Wann meine schöne Rapp ist verreckt? Wer soll ihm geben zu fressen, wann die Erben vom Schmied Salzer kein Kredit mehr kriegen for Hafer und Heut" Karl, der ebenfalls in den Hof gekommen ist, als er des Juden Stimme gehört hat, gibt diesem bei den letzten Worten einen Stoß in die Nippen und sagt: „Du stinkiger Jud du, wir denn noch genung Hafer und Heu für den Gaul, verstände?! Was geht euch denn der Gaul überhaupt an?" „Nu, der Gaul, was geht er mich an? Der Gaul ist mein Eigentum. Der Herr Amtsrichter hat's auch gelesen, daß der Gaul ist mein Eigentum, solang er net bezahlt ist bis auf den letzten Heller und Pfenning, was bis jetzt noch net ist der FallI" Karl sieht seine Tante an und diese ihren Neffen Karl. Was geht da nicht alles vor? „Ihr Schwager ist da auf einen eigenartigen Handel eingegangen," wendet der Amtsrichter sich an Tante Seelchen, „was mich vermuten läßt, daß dem Herrn Katzengold die mißliche Vermögenslage Ihres Schwagers aus irgendeiner sicheren Quelle schon bekannt war, als der Pferdehandel eben perfekt wurde. Darnach wurden von Ihrem Schwager auf das Pferd dreihundert Mark sofort bezahlt, die restierenden fünfhundert sollten in zwei vierteljährigen Raten zu je zweihundert¬ undfünfzig Mark beglichen werden. Die zweite Rate wäre schon am ersten Juli fällig gewesen, also bereits vor fünf Wochen. Nun ist aber Ihr Schwager tat¬ sächlich noch mit der ersten Rate vom April im Rückstand. Nach einer Klausel in dem Kaufbriefe bleibt der Gaul Eigentum des Verkäufers bis zur vollständigen Abzahlung und kann sogar wieder in den Stall nach Pfeddersheim zurückgeholt werden, wenn die Raten bis zum ersten August noch nicht bezahlt sind, ohne daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/629>, abgerufen am 22.07.2024.