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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Karl Scilzer

"Da in meinem Säckchen!"

"Her damitI Warum hast du mir sie denn nicht gleich geben?"

Karl sagt nichts und deutet mit einem Kopfnicken verstohlen nach den
Beamten.

Der Amtsrichter dreht sich herum und sagt:
"Und nun noch die Werkstätte, nicht wahr?"

"Karl, geh mal mit den Herrn hinaus, ich will unterdessen dem Made die
Medizin zurecht machen!"

Der kann nicht; er denkt an das Blut, das er wieder wird sehen müssen,
und flüstert der Tante ins Ohr:

"Tante Seelchen, geh du doch nur mit, ich kann das Blut net mehr sehen!"

Tante Seelchen seufzt, wendet sich den Männern zu:

"Bitte, meine Herrn!"

Der Bürgermeister hat inzwischen den Polizeidiener Rüppel hereingerufen.
Er soll die Kassenbücher zusammenschnüren und sie aufs Rathaus tragen. Das
Hoftor hat Rüppel zugeschlossen, damit die Menge nicht nachschiebe. Aber er hat
seine Anweisungen noch nicht vollständig erhalten, als auch draußen schon Fäuste
wider das Tor trommeln. Der Polizeidiener brüllt:

"Dunnerkeil, seid ihr denn heut wie's tolle Vieh? Sakrrrrament noch emal,
ich schmeiß euch die Köpfe kaput!"

Der Amtsrichter dreht sich herum und betrachtet sich aus allem Ernste heraus
mit lachenden Augen das energische Sicherheitsorgan.

Draußen ruft eine dünne, klägliche Stimme:

"Nu, mer werd sich einschlage lasse den Schädel, wann mer is en ehrliche
Handelsmann, der was zu spreche hat mit dem Herr Amtsgerichtsrat in ere
dringlich Sach!"

Polizeidiener Rüppel erhebt seine Stimme wieder:

"Was hast du miserabler Jud da verloren?"

Die Stimme vor dem Tore:

"Nu, wie heißt miserawel? Rüppel, mach mer das Tor aus, es soll mer net
ankomme auf en paar Schoppe Fünfundneunziger!"

Bei diesem lockenden Versprechen schaut Rüppel den Bürgermeister und den
Amtsrichter an und fragt:

"Soll man ihn reinlassen! Er könnt vielleicht doch was haben, wo von
Wichtigkeit ist! 's ist der Gäulshändler Katzengold aus Pfeddersheim!"

"Rüppel, das mit dem Fünfundneunziger ist eigentlich Vestechungsversuch
eines Beamten!" antwortet der Amtsrichter.

Wenn Polizeidiener Rüppel an seiner Ehre angegriffen wird, dann erzählt
er, daß er den tapferen Sturm auf Schloß Chambord mitgemacht habe und schließt
daran seinen Kernspruch: Ein solcher Mann verfehlt sich nicht, und steht stramm
dabei. Das macht Eindruck; auf den Amtsrichter allerdings mehr einen humor¬
vollen. Er gibt dem Chambordstürmer einen Wink, das Tor zu öffnen.

(Fortsetzung folgt)




Karl Scilzer

„Da in meinem Säckchen!"

„Her damitI Warum hast du mir sie denn nicht gleich geben?"

Karl sagt nichts und deutet mit einem Kopfnicken verstohlen nach den
Beamten.

Der Amtsrichter dreht sich herum und sagt:
„Und nun noch die Werkstätte, nicht wahr?"

„Karl, geh mal mit den Herrn hinaus, ich will unterdessen dem Made die
Medizin zurecht machen!"

Der kann nicht; er denkt an das Blut, das er wieder wird sehen müssen,
und flüstert der Tante ins Ohr:

„Tante Seelchen, geh du doch nur mit, ich kann das Blut net mehr sehen!"

Tante Seelchen seufzt, wendet sich den Männern zu:

„Bitte, meine Herrn!"

Der Bürgermeister hat inzwischen den Polizeidiener Rüppel hereingerufen.
Er soll die Kassenbücher zusammenschnüren und sie aufs Rathaus tragen. Das
Hoftor hat Rüppel zugeschlossen, damit die Menge nicht nachschiebe. Aber er hat
seine Anweisungen noch nicht vollständig erhalten, als auch draußen schon Fäuste
wider das Tor trommeln. Der Polizeidiener brüllt:

„Dunnerkeil, seid ihr denn heut wie's tolle Vieh? Sakrrrrament noch emal,
ich schmeiß euch die Köpfe kaput!"

Der Amtsrichter dreht sich herum und betrachtet sich aus allem Ernste heraus
mit lachenden Augen das energische Sicherheitsorgan.

Draußen ruft eine dünne, klägliche Stimme:

„Nu, mer werd sich einschlage lasse den Schädel, wann mer is en ehrliche
Handelsmann, der was zu spreche hat mit dem Herr Amtsgerichtsrat in ere
dringlich Sach!"

Polizeidiener Rüppel erhebt seine Stimme wieder:

„Was hast du miserabler Jud da verloren?"

Die Stimme vor dem Tore:

„Nu, wie heißt miserawel? Rüppel, mach mer das Tor aus, es soll mer net
ankomme auf en paar Schoppe Fünfundneunziger!"

Bei diesem lockenden Versprechen schaut Rüppel den Bürgermeister und den
Amtsrichter an und fragt:

„Soll man ihn reinlassen! Er könnt vielleicht doch was haben, wo von
Wichtigkeit ist! 's ist der Gäulshändler Katzengold aus Pfeddersheim!"

„Rüppel, das mit dem Fünfundneunziger ist eigentlich Vestechungsversuch
eines Beamten!" antwortet der Amtsrichter.

Wenn Polizeidiener Rüppel an seiner Ehre angegriffen wird, dann erzählt
er, daß er den tapferen Sturm auf Schloß Chambord mitgemacht habe und schließt
daran seinen Kernspruch: Ein solcher Mann verfehlt sich nicht, und steht stramm
dabei. Das macht Eindruck; auf den Amtsrichter allerdings mehr einen humor¬
vollen. Er gibt dem Chambordstürmer einen Wink, das Tor zu öffnen.

(Fortsetzung folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/580>, abgerufen am 01.07.2024.