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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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(Österreichische Dichterinnen

der dampfenden Form des Schweizers stehen. Auch in dieser Sprachkunst und
Hinneigung zur Ballade liegen gewiß moderne Beeinflussungen der scheinbar so
zeitfremd gläubigen Dichterin.

Welch hinreißende Wirkung von dieser flammenden Kunst auch auf durch¬
aus anders gerichtete und keineswegs leicht beeinflußbare und zufriedenzustellende
Menschen ausgehen kann, darf ich wohl durch einen Ausspruch belegen, den ich
selber gehört habe. Als ich im Jahre 1910 die damals achtzigjährige, seit
einem halben Menschenalter in steigendem Maße mit Ehren überhäufte Marie
von Ebner-Eschenbach besuchen durfte, wies sie mich enthusiastisch auf die Baronin
Handel hin und sagte, die "Arme Margret" sei ein so überwältigendes
Werk, daß ihr im Lesen stärkste Zweifel an dem Werte ihrer eigenen Ebnerschen
Leistungen ausgestiegen feien. Und doch hat diese stillere alte Dichterin so gar
keinen Anlaß, sich jenem jüngeren Talente unterzuordnen. Ich habe mich
bemüht, den menschlichen Gehalt des Händelschen Schaffens herauszuheben;
dennoch würde ich bei einer Vergleichung dieser heißen Romane mit den schlichten
Erzählungen Marie Ebners schließlich einen der Ebnerschen "Aphorismen"
anwenden müssen: "Während ein Feuerwerk abgebrannt wird, sieht niemand
nach dem gestirnten Himmel." So sehr viel von dem ruhigen Glanz der Sterne,
von der Weite des ausgespannten Himmels, von der Tiefe und Kunstfülle, die
sich hinter scheinbar Einfachen und selbstverständlichen verbirgt, ist in Marie
Ebners Dichtungen enthalten. Sucht man nach einer ähnlichen Erscheinung in
der österreichischen Literatur, so stößt man auf einige Wesensverwandtschaft
zwischen der Baronin Ebner und ihrer um sechszehn Jahre älteren Freundin
Beten Paoli, der sie selber 1894 den liebevollsten Nekrolog schrieb und später
(mit Anton Bettelheim zusammen) in einem Auswahlband des Cottaschen Ver¬
lages ein schönes Denkmal errichten half. Aber gerade ein Eingehen auf diese
Verwandtschaft lehrt erst so recht die völlige Eigenart und Größe der jüngeren
unter den beiden Alten verstehen.

Unter Beten Paolis spätesten Gedichten findet sich die indische Legende:
"Der gute König in der Hölle." König A?ota muß um eines leisesten Makels
willen eilig die Hölle durchschreiten, ehe er des Himmels teilhaftig wird. Wo
er vorüberkommt, sänftigen sich die Qualen der Verdammten:

Wie der "Gottgeliebte" sieht, welche Hilfe er den Sündern bringt, mag
er nicht in den Himmel eingehen; denn "nicht das Paradies hat eine höhere
Lust dem Mann zu bieten als die, dem Unglück hilfreich beizustehen." Von


(Österreichische Dichterinnen

der dampfenden Form des Schweizers stehen. Auch in dieser Sprachkunst und
Hinneigung zur Ballade liegen gewiß moderne Beeinflussungen der scheinbar so
zeitfremd gläubigen Dichterin.

Welch hinreißende Wirkung von dieser flammenden Kunst auch auf durch¬
aus anders gerichtete und keineswegs leicht beeinflußbare und zufriedenzustellende
Menschen ausgehen kann, darf ich wohl durch einen Ausspruch belegen, den ich
selber gehört habe. Als ich im Jahre 1910 die damals achtzigjährige, seit
einem halben Menschenalter in steigendem Maße mit Ehren überhäufte Marie
von Ebner-Eschenbach besuchen durfte, wies sie mich enthusiastisch auf die Baronin
Handel hin und sagte, die „Arme Margret" sei ein so überwältigendes
Werk, daß ihr im Lesen stärkste Zweifel an dem Werte ihrer eigenen Ebnerschen
Leistungen ausgestiegen feien. Und doch hat diese stillere alte Dichterin so gar
keinen Anlaß, sich jenem jüngeren Talente unterzuordnen. Ich habe mich
bemüht, den menschlichen Gehalt des Händelschen Schaffens herauszuheben;
dennoch würde ich bei einer Vergleichung dieser heißen Romane mit den schlichten
Erzählungen Marie Ebners schließlich einen der Ebnerschen „Aphorismen"
anwenden müssen: „Während ein Feuerwerk abgebrannt wird, sieht niemand
nach dem gestirnten Himmel." So sehr viel von dem ruhigen Glanz der Sterne,
von der Weite des ausgespannten Himmels, von der Tiefe und Kunstfülle, die
sich hinter scheinbar Einfachen und selbstverständlichen verbirgt, ist in Marie
Ebners Dichtungen enthalten. Sucht man nach einer ähnlichen Erscheinung in
der österreichischen Literatur, so stößt man auf einige Wesensverwandtschaft
zwischen der Baronin Ebner und ihrer um sechszehn Jahre älteren Freundin
Beten Paoli, der sie selber 1894 den liebevollsten Nekrolog schrieb und später
(mit Anton Bettelheim zusammen) in einem Auswahlband des Cottaschen Ver¬
lages ein schönes Denkmal errichten half. Aber gerade ein Eingehen auf diese
Verwandtschaft lehrt erst so recht die völlige Eigenart und Größe der jüngeren
unter den beiden Alten verstehen.

Unter Beten Paolis spätesten Gedichten findet sich die indische Legende:
„Der gute König in der Hölle." König A?ota muß um eines leisesten Makels
willen eilig die Hölle durchschreiten, ehe er des Himmels teilhaftig wird. Wo
er vorüberkommt, sänftigen sich die Qualen der Verdammten:

Wie der „Gottgeliebte" sieht, welche Hilfe er den Sündern bringt, mag
er nicht in den Himmel eingehen; denn „nicht das Paradies hat eine höhere
Lust dem Mann zu bieten als die, dem Unglück hilfreich beizustehen." Von


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[0570] (Österreichische Dichterinnen der dampfenden Form des Schweizers stehen. Auch in dieser Sprachkunst und Hinneigung zur Ballade liegen gewiß moderne Beeinflussungen der scheinbar so zeitfremd gläubigen Dichterin. Welch hinreißende Wirkung von dieser flammenden Kunst auch auf durch¬ aus anders gerichtete und keineswegs leicht beeinflußbare und zufriedenzustellende Menschen ausgehen kann, darf ich wohl durch einen Ausspruch belegen, den ich selber gehört habe. Als ich im Jahre 1910 die damals achtzigjährige, seit einem halben Menschenalter in steigendem Maße mit Ehren überhäufte Marie von Ebner-Eschenbach besuchen durfte, wies sie mich enthusiastisch auf die Baronin Handel hin und sagte, die „Arme Margret" sei ein so überwältigendes Werk, daß ihr im Lesen stärkste Zweifel an dem Werte ihrer eigenen Ebnerschen Leistungen ausgestiegen feien. Und doch hat diese stillere alte Dichterin so gar keinen Anlaß, sich jenem jüngeren Talente unterzuordnen. Ich habe mich bemüht, den menschlichen Gehalt des Händelschen Schaffens herauszuheben; dennoch würde ich bei einer Vergleichung dieser heißen Romane mit den schlichten Erzählungen Marie Ebners schließlich einen der Ebnerschen „Aphorismen" anwenden müssen: „Während ein Feuerwerk abgebrannt wird, sieht niemand nach dem gestirnten Himmel." So sehr viel von dem ruhigen Glanz der Sterne, von der Weite des ausgespannten Himmels, von der Tiefe und Kunstfülle, die sich hinter scheinbar Einfachen und selbstverständlichen verbirgt, ist in Marie Ebners Dichtungen enthalten. Sucht man nach einer ähnlichen Erscheinung in der österreichischen Literatur, so stößt man auf einige Wesensverwandtschaft zwischen der Baronin Ebner und ihrer um sechszehn Jahre älteren Freundin Beten Paoli, der sie selber 1894 den liebevollsten Nekrolog schrieb und später (mit Anton Bettelheim zusammen) in einem Auswahlband des Cottaschen Ver¬ lages ein schönes Denkmal errichten half. Aber gerade ein Eingehen auf diese Verwandtschaft lehrt erst so recht die völlige Eigenart und Größe der jüngeren unter den beiden Alten verstehen. Unter Beten Paolis spätesten Gedichten findet sich die indische Legende: „Der gute König in der Hölle." König A?ota muß um eines leisesten Makels willen eilig die Hölle durchschreiten, ehe er des Himmels teilhaftig wird. Wo er vorüberkommt, sänftigen sich die Qualen der Verdammten: Wie der „Gottgeliebte" sieht, welche Hilfe er den Sündern bringt, mag er nicht in den Himmel eingehen; denn „nicht das Paradies hat eine höhere Lust dem Mann zu bieten als die, dem Unglück hilfreich beizustehen." Von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/570>, abgerufen am 22.07.2024.