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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und die Parteien

Der Adel, wirtschaftlich unter sich differenziert, bildet längst nicht mehr eine
sozial geschlossene Phalanx; auf dem Buckel der Enterbten in ihm klettert ein
neues Unternehmertum zur Höhe politischen Einflusses. Die einzige verbindende
Materie zwischen allen diesen Widersprüchen wäre vielleicht eine äußere Gesahr,
ein Krieg. Aber auch hiergegen werden starke Bedenken laut, denn an einem
Kriege hätte tatsächlich nur die Armee ein Interesse, sonst niemand vielleicht außer
den Armeelieferanten, und auch diese nur sehr bedingungsweise, denn Handel
und Wandel können nur in Zeiten des Friedens sicher gedeihen.

Fast genau so steht es bei den Liberalen aus. Die Nationalliberalen
sind aus den Städten vielfach durch den Freisinn und die Sozialdemokraten
verdrängt und suchen nun durch Vorstöße auf das platte Land des Ostens und
durch Organisation nationaler Arbeitermassen ihre Reihen zu füllen. So¬
lange in der Ostmarkenpolitik das nationalistische Moment über das wirt¬
schaftliche gestellt wurde, hatte die Partei auch äußere Erfolge, für die
Partei selbst freilich Pyrrhussiege. Denn daß sie dazu führen mußten, den
inneren Zusammenhang der Partei noch mehr zu zerrütten, wie es schon
der Fall war, erhellt aus dem Umstände, daß es bei der heutigen Zuspitzung
des wirtschaftlichen Kampfes schier unmöglich erscheint, zugleich für die Industrie
einzutreten, die billiges Fleisch braucht, uni niedrige Löhne zahlen zu können,
und für die Bauern, die ihre Produkte teuer verkaufen müssen, wenn sie sich
halten wollen; man kann in einer von wirtschaftlichen Kämpfen um die Macht
erfüllten Zeit nicht für die Interessen der Landwirtschaft streiten wollen, wenn
man gleichzeitig die Arbeiterfrage vornehmlich nach industriellen Gesichtspunkten
bearbeitet und man kann nicht für Angestellte und Industriearbeiter in den
Städten gesetzgeberisch in deren Sinne wirken wollen, wenn man die berech¬
tigten Ansprüche dieser reinen Konsumenten hinter die der Produzenten stellt.
Die Führer der Nationalliberaleu wollen zuviele Volkskreise für sich gewinnen,
ohne eine Idee zu besitzen, die wenigstens zweien gemeinsam wäre. Eine Idee,
die nicht zugleich auch von den konservativen Parteien aufgegriffen werden könnte,
vermag ich nicht zu erkennen, und böte sie sich, so müßten die Liberalen genau wie
bisher sich jeden Fußbreit Einfluß im Lande im Kampfe gegen jene erringen. Das
gilt vor allen Dingen vom Problem der inneren Kolonisation; auch dieser Frage
hat sich die nationalliberale Partei angenommen; ihre Stellung in der Ostmarken-
srage ist bekannt; außerdem hat sie anstandslos Geld für Moorkulturen bewilligt
und auch den Kampf gegen die Ausbreitung des Latifundienbesitzes aufgenommen.
Beides aber kann ihr als Partei nur wenig nutzen und so dürfte sie auch kaum als
Trägerin Bethmannscher Ideen in dieser Richtung in Frage kommen. Parolen
ohne Massensuggestion, Parolen, die nicht wegen ihres Radikalismus auch von
den demokratischen Parteien aufgenommen werden können, sind für eine Partei,
die nach demokratischen Mitteln greifen muß, um sich erhalten zu können,
wertlos. So wird denn auch der Kampf gegen den Latifundienbesitz ganz all¬
gemein von politischen Gesichtspunkten aus betrieben ohne Rücksicht auf örtliche


Der Reichskanzler und die Parteien

Der Adel, wirtschaftlich unter sich differenziert, bildet längst nicht mehr eine
sozial geschlossene Phalanx; auf dem Buckel der Enterbten in ihm klettert ein
neues Unternehmertum zur Höhe politischen Einflusses. Die einzige verbindende
Materie zwischen allen diesen Widersprüchen wäre vielleicht eine äußere Gesahr,
ein Krieg. Aber auch hiergegen werden starke Bedenken laut, denn an einem
Kriege hätte tatsächlich nur die Armee ein Interesse, sonst niemand vielleicht außer
den Armeelieferanten, und auch diese nur sehr bedingungsweise, denn Handel
und Wandel können nur in Zeiten des Friedens sicher gedeihen.

Fast genau so steht es bei den Liberalen aus. Die Nationalliberalen
sind aus den Städten vielfach durch den Freisinn und die Sozialdemokraten
verdrängt und suchen nun durch Vorstöße auf das platte Land des Ostens und
durch Organisation nationaler Arbeitermassen ihre Reihen zu füllen. So¬
lange in der Ostmarkenpolitik das nationalistische Moment über das wirt¬
schaftliche gestellt wurde, hatte die Partei auch äußere Erfolge, für die
Partei selbst freilich Pyrrhussiege. Denn daß sie dazu führen mußten, den
inneren Zusammenhang der Partei noch mehr zu zerrütten, wie es schon
der Fall war, erhellt aus dem Umstände, daß es bei der heutigen Zuspitzung
des wirtschaftlichen Kampfes schier unmöglich erscheint, zugleich für die Industrie
einzutreten, die billiges Fleisch braucht, uni niedrige Löhne zahlen zu können,
und für die Bauern, die ihre Produkte teuer verkaufen müssen, wenn sie sich
halten wollen; man kann in einer von wirtschaftlichen Kämpfen um die Macht
erfüllten Zeit nicht für die Interessen der Landwirtschaft streiten wollen, wenn
man gleichzeitig die Arbeiterfrage vornehmlich nach industriellen Gesichtspunkten
bearbeitet und man kann nicht für Angestellte und Industriearbeiter in den
Städten gesetzgeberisch in deren Sinne wirken wollen, wenn man die berech¬
tigten Ansprüche dieser reinen Konsumenten hinter die der Produzenten stellt.
Die Führer der Nationalliberaleu wollen zuviele Volkskreise für sich gewinnen,
ohne eine Idee zu besitzen, die wenigstens zweien gemeinsam wäre. Eine Idee,
die nicht zugleich auch von den konservativen Parteien aufgegriffen werden könnte,
vermag ich nicht zu erkennen, und böte sie sich, so müßten die Liberalen genau wie
bisher sich jeden Fußbreit Einfluß im Lande im Kampfe gegen jene erringen. Das
gilt vor allen Dingen vom Problem der inneren Kolonisation; auch dieser Frage
hat sich die nationalliberale Partei angenommen; ihre Stellung in der Ostmarken-
srage ist bekannt; außerdem hat sie anstandslos Geld für Moorkulturen bewilligt
und auch den Kampf gegen die Ausbreitung des Latifundienbesitzes aufgenommen.
Beides aber kann ihr als Partei nur wenig nutzen und so dürfte sie auch kaum als
Trägerin Bethmannscher Ideen in dieser Richtung in Frage kommen. Parolen
ohne Massensuggestion, Parolen, die nicht wegen ihres Radikalismus auch von
den demokratischen Parteien aufgenommen werden können, sind für eine Partei,
die nach demokratischen Mitteln greifen muß, um sich erhalten zu können,
wertlos. So wird denn auch der Kampf gegen den Latifundienbesitz ganz all¬
gemein von politischen Gesichtspunkten aus betrieben ohne Rücksicht auf örtliche


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[0549] Der Reichskanzler und die Parteien Der Adel, wirtschaftlich unter sich differenziert, bildet längst nicht mehr eine sozial geschlossene Phalanx; auf dem Buckel der Enterbten in ihm klettert ein neues Unternehmertum zur Höhe politischen Einflusses. Die einzige verbindende Materie zwischen allen diesen Widersprüchen wäre vielleicht eine äußere Gesahr, ein Krieg. Aber auch hiergegen werden starke Bedenken laut, denn an einem Kriege hätte tatsächlich nur die Armee ein Interesse, sonst niemand vielleicht außer den Armeelieferanten, und auch diese nur sehr bedingungsweise, denn Handel und Wandel können nur in Zeiten des Friedens sicher gedeihen. Fast genau so steht es bei den Liberalen aus. Die Nationalliberalen sind aus den Städten vielfach durch den Freisinn und die Sozialdemokraten verdrängt und suchen nun durch Vorstöße auf das platte Land des Ostens und durch Organisation nationaler Arbeitermassen ihre Reihen zu füllen. So¬ lange in der Ostmarkenpolitik das nationalistische Moment über das wirt¬ schaftliche gestellt wurde, hatte die Partei auch äußere Erfolge, für die Partei selbst freilich Pyrrhussiege. Denn daß sie dazu führen mußten, den inneren Zusammenhang der Partei noch mehr zu zerrütten, wie es schon der Fall war, erhellt aus dem Umstände, daß es bei der heutigen Zuspitzung des wirtschaftlichen Kampfes schier unmöglich erscheint, zugleich für die Industrie einzutreten, die billiges Fleisch braucht, uni niedrige Löhne zahlen zu können, und für die Bauern, die ihre Produkte teuer verkaufen müssen, wenn sie sich halten wollen; man kann in einer von wirtschaftlichen Kämpfen um die Macht erfüllten Zeit nicht für die Interessen der Landwirtschaft streiten wollen, wenn man gleichzeitig die Arbeiterfrage vornehmlich nach industriellen Gesichtspunkten bearbeitet und man kann nicht für Angestellte und Industriearbeiter in den Städten gesetzgeberisch in deren Sinne wirken wollen, wenn man die berech¬ tigten Ansprüche dieser reinen Konsumenten hinter die der Produzenten stellt. Die Führer der Nationalliberaleu wollen zuviele Volkskreise für sich gewinnen, ohne eine Idee zu besitzen, die wenigstens zweien gemeinsam wäre. Eine Idee, die nicht zugleich auch von den konservativen Parteien aufgegriffen werden könnte, vermag ich nicht zu erkennen, und böte sie sich, so müßten die Liberalen genau wie bisher sich jeden Fußbreit Einfluß im Lande im Kampfe gegen jene erringen. Das gilt vor allen Dingen vom Problem der inneren Kolonisation; auch dieser Frage hat sich die nationalliberale Partei angenommen; ihre Stellung in der Ostmarken- srage ist bekannt; außerdem hat sie anstandslos Geld für Moorkulturen bewilligt und auch den Kampf gegen die Ausbreitung des Latifundienbesitzes aufgenommen. Beides aber kann ihr als Partei nur wenig nutzen und so dürfte sie auch kaum als Trägerin Bethmannscher Ideen in dieser Richtung in Frage kommen. Parolen ohne Massensuggestion, Parolen, die nicht wegen ihres Radikalismus auch von den demokratischen Parteien aufgenommen werden können, sind für eine Partei, die nach demokratischen Mitteln greifen muß, um sich erhalten zu können, wertlos. So wird denn auch der Kampf gegen den Latifundienbesitz ganz all¬ gemein von politischen Gesichtspunkten aus betrieben ohne Rücksicht auf örtliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/549>, abgerufen am 24.08.2024.