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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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"Bestimmungen" vom Jahre 1908, S, 23 f.)
befriedigt. Die Anstalt, die in eingehender
Weise mit der Kindesnatur bekannt macht,
aus dieser Kenntnis die Folgerungen und
Forderungen für die Praxis des Erzieher¬
berufs nicht nur zieht, sondern auch tu den
Ubungsschulen ausüben läßt, ist das Lehre-
rinnensemincir. Daß diese Beschäftigungen den
Schülerinnen eine hohe Befriedigung geben,
die die Studieucmftält -- Ausnahmen immer
zugegeben -- nicht zu geben vermag, ist dem
vorurteilsloser Beobachter nicht zweifelhaft,
ebenso daß diese Vorbereitung für den hoch¬
wichtigen Beruf eine viel geeignetere ist, als
die rein wissenschaftliche Beschäftigung in den
Studienanstalten.

Es ist erfreulich, daß (s. Korrespondenz für
Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik,
Berlin, den 3. Juli 1912) in Preußen die
Lehrerinneuseminnre (Oberlyzeen) mit 7490
Schülerinnen den Studienanstalten mit 3292
Schülerinnen trotz einer gewissen Hochflut weit
voraus sind; es ist zu hoffen, daß diese Hochflut
bei dem gesunden Empfinden des deutschen
Volkes in seiner überwiegenden Mehrheit bald
auf ihr gebotenes Maß -- die Studienanstalt
muß in der Ausnahme bleiben -- zurückgeht.

Nun Wird geflissentlich der Irrtum ver¬
breitet, daß seit Neugestaltung des höheren
Mädchenschulwesens im Jahre 1908 die Schü¬
lerinnen des höheren Lehrerinnenseminars
(Oberlyzeums) nicht mehr wie früher ge-
gende Aussicht auf passende Anstellung hätten.
Es ist darum nötig, einmal zusammenzustellen,
wo dies möglich ist.

Das Abgangszeugnis des höheren Lehre-
rinncnseminars berechtigt ausdrücklich zur An¬
stellung an höheren Mädchenschulen und zum
Unterricht sogar auf der Oberstufe. Allerdings
ist eine Beschränkung insofern eingetreten, als
die Hälfte der wissenschaftlichen Stunden auf
der Mittel- und Oberstufo der Lyzeen von
akademisch vorgebildeten Kräften gegeben
werden muß, aber die andere Hälfte der
Stunden steht ihnen offen; sie können sogar
für den methodischen Unterricht im Lehre¬
rinnenseminar herangezogen werden. Ferner
können sie angestellt werden an gehobenen
Mädchenschulen, an Mittelschulen, selbstver¬
ständlich an Volksschulen, weiter an Bolks-
schullehrerinnenseminaren, an Präparanden-

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und Übungsschulen und als Erzieherinnen.
Allein um der Stellen an gehobenen Schulen
willen und um die Nachfrage nach Erziehe¬
rinnen zu decken, ist das höhere Lehrerinnon¬
seminar, das auch in den fremden Sprachen
ausbildet, unumgänglich nötig.

Ferner wird geflissentlich der Irrtum ver¬
breitet, als ob das höhere Lehrerinnenseminnr
denen keine genügende Vorbildung gebe, die
auf die Universität gehen und die Oberlehre¬
rinnenprüfung ablegen wollten. Schon äußer¬
lich betrachtet ergibt sich dieUnhältbarkeit dieser
Ansicht. Die entsprechenden Klassen der
höheren Mädchenschule und die drei wissen¬
schaftlichen Klassen des höheren Lehrerinnen-
semincirS haben ebensoviel Jahrgänge wie die
Stildienanstalt, das Seminar reicht aber um
ein Jahr, das Praktische Jahr, über sie hinaus.
Für die wissenschaftlichen Stunden sind in der
höheren Mädchenschule und dein Seminar
161 Stunden angesetzt, in den Oberrealschul¬
kursen der Studienanstält 163,' den Real¬
gymnasialkursen 166, den Gymnasialkursen
170. Nimmt man zu den Stunden des
Seminars die sechs Stunden hinzu, die auf
Methodik, auf Einführung in die Literatur
jedes Faches und ans Anleitung zum Experi¬
mentieren in der Naturkunde verwendet
werden, so kann Mädchenschule und Seminar
mit 167 Stunden den Vergleich mit allen
Teilen der Studienanstalt auch hier durchweg
aushalten. Dasselbe gilt, wenn man die
Eigentümlichkeit jeder Anstalt erwägt. DaS
Gymnasium hat seinen Schwerpunkt in den
alten, das Realgymnasium in den neueren
Sprachen, die Oberrealschule in Mathematik
und Naturwissenschaften, das höhere Lehre¬
rinnenseminar in den Historisch-Philosophischen
Fächern. ES wird Wohl kaum behauptet
werden können, daß die letztere Vorbereitung
weniger für das Universitätsstudium geeignet
sei als die der anderen Anstalten. Höchstens
könnte man sagen, daß zum erfolgreichen
Besuch der Universität Kenntnis des Lateini¬
schen unerläßlich sei. Obgleich die Oberreal¬
schule ihren Zöglingen ebenfalls kein Latein
zur Universität mitgibt, so ist diese Meinung
doch nicht abzuweisen, und in der Tat bestehen
an manchen Seminnren schon Lateinkurse für
diejenigen, die zur Universität gehen wollen,
-- ein Ausweg, der um so unbedenklicher ist,

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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„Bestimmungen" vom Jahre 1908, S, 23 f.)
befriedigt. Die Anstalt, die in eingehender
Weise mit der Kindesnatur bekannt macht,
aus dieser Kenntnis die Folgerungen und
Forderungen für die Praxis des Erzieher¬
berufs nicht nur zieht, sondern auch tu den
Ubungsschulen ausüben läßt, ist das Lehre-
rinnensemincir. Daß diese Beschäftigungen den
Schülerinnen eine hohe Befriedigung geben,
die die Studieucmftält — Ausnahmen immer
zugegeben — nicht zu geben vermag, ist dem
vorurteilsloser Beobachter nicht zweifelhaft,
ebenso daß diese Vorbereitung für den hoch¬
wichtigen Beruf eine viel geeignetere ist, als
die rein wissenschaftliche Beschäftigung in den
Studienanstalten.

Es ist erfreulich, daß (s. Korrespondenz für
Kommunalwirtschaft und Kommunalpolitik,
Berlin, den 3. Juli 1912) in Preußen die
Lehrerinneuseminnre (Oberlyzeen) mit 7490
Schülerinnen den Studienanstalten mit 3292
Schülerinnen trotz einer gewissen Hochflut weit
voraus sind; es ist zu hoffen, daß diese Hochflut
bei dem gesunden Empfinden des deutschen
Volkes in seiner überwiegenden Mehrheit bald
auf ihr gebotenes Maß — die Studienanstalt
muß in der Ausnahme bleiben — zurückgeht.

Nun Wird geflissentlich der Irrtum ver¬
breitet, daß seit Neugestaltung des höheren
Mädchenschulwesens im Jahre 1908 die Schü¬
lerinnen des höheren Lehrerinnenseminars
(Oberlyzeums) nicht mehr wie früher ge-
gende Aussicht auf passende Anstellung hätten.
Es ist darum nötig, einmal zusammenzustellen,
wo dies möglich ist.

Das Abgangszeugnis des höheren Lehre-
rinncnseminars berechtigt ausdrücklich zur An¬
stellung an höheren Mädchenschulen und zum
Unterricht sogar auf der Oberstufe. Allerdings
ist eine Beschränkung insofern eingetreten, als
die Hälfte der wissenschaftlichen Stunden auf
der Mittel- und Oberstufo der Lyzeen von
akademisch vorgebildeten Kräften gegeben
werden muß, aber die andere Hälfte der
Stunden steht ihnen offen; sie können sogar
für den methodischen Unterricht im Lehre¬
rinnenseminar herangezogen werden. Ferner
können sie angestellt werden an gehobenen
Mädchenschulen, an Mittelschulen, selbstver¬
ständlich an Volksschulen, weiter an Bolks-
schullehrerinnenseminaren, an Präparanden-

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und Übungsschulen und als Erzieherinnen.
Allein um der Stellen an gehobenen Schulen
willen und um die Nachfrage nach Erziehe¬
rinnen zu decken, ist das höhere Lehrerinnon¬
seminar, das auch in den fremden Sprachen
ausbildet, unumgänglich nötig.

Ferner wird geflissentlich der Irrtum ver¬
breitet, als ob das höhere Lehrerinnenseminnr
denen keine genügende Vorbildung gebe, die
auf die Universität gehen und die Oberlehre¬
rinnenprüfung ablegen wollten. Schon äußer¬
lich betrachtet ergibt sich dieUnhältbarkeit dieser
Ansicht. Die entsprechenden Klassen der
höheren Mädchenschule und die drei wissen¬
schaftlichen Klassen des höheren Lehrerinnen-
semincirS haben ebensoviel Jahrgänge wie die
Stildienanstalt, das Seminar reicht aber um
ein Jahr, das Praktische Jahr, über sie hinaus.
Für die wissenschaftlichen Stunden sind in der
höheren Mädchenschule und dein Seminar
161 Stunden angesetzt, in den Oberrealschul¬
kursen der Studienanstält 163,' den Real¬
gymnasialkursen 166, den Gymnasialkursen
170. Nimmt man zu den Stunden des
Seminars die sechs Stunden hinzu, die auf
Methodik, auf Einführung in die Literatur
jedes Faches und ans Anleitung zum Experi¬
mentieren in der Naturkunde verwendet
werden, so kann Mädchenschule und Seminar
mit 167 Stunden den Vergleich mit allen
Teilen der Studienanstalt auch hier durchweg
aushalten. Dasselbe gilt, wenn man die
Eigentümlichkeit jeder Anstalt erwägt. DaS
Gymnasium hat seinen Schwerpunkt in den
alten, das Realgymnasium in den neueren
Sprachen, die Oberrealschule in Mathematik
und Naturwissenschaften, das höhere Lehre¬
rinnenseminar in den Historisch-Philosophischen
Fächern. ES wird Wohl kaum behauptet
werden können, daß die letztere Vorbereitung
weniger für das Universitätsstudium geeignet
sei als die der anderen Anstalten. Höchstens
könnte man sagen, daß zum erfolgreichen
Besuch der Universität Kenntnis des Lateini¬
schen unerläßlich sei. Obgleich die Oberreal¬
schule ihren Zöglingen ebenfalls kein Latein
zur Universität mitgibt, so ist diese Meinung
doch nicht abzuweisen, und in der Tat bestehen
an manchen Seminnren schon Lateinkurse für
diejenigen, die zur Universität gehen wollen,
— ein Ausweg, der um so unbedenklicher ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/440>, abgerufen am 03.07.2024.