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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Deutschlands Handelsschiffahrt >n Kriegszeiten

Man kann also ohne Übertreibung damit rechnen, daß der deutsche Übersee¬
handel, soweit er im Export und Import des Deutschen Reiches selbst besteht,
mit Beginn eines deutsch-englischen Krieges erdrosselt werden wird. Anders
verhält es sich mit einem anderen Gebiet der Überseeinteressen. Zahlreiche
deutsche Firmen befinden sich im Auslande und befassen sich in hohem Maße
mit dem Vertrieb fremder Landesprodukte. Dieser Handel bietet nun ebensogute
Erwerbsmöglichkeiten wie der auf heimischen Boden und heimische Be¬
dürfnisse gestützte. Er kann aber unter keinem Vorwand durch die krieg¬
führenden Mächte angegriffen werden, solange er sich in streng neutralen
Bahnen bewegt. Er bietet zwar der deutschen Industrie keinen Vorteil,
wohl aber den Handelshäusern eine, wenn auch nicht allzukräftige Stütze.
Der Ausbau dieses Handelszweiges erscheint daher im nationalen Interesse
durchaus wünschenswert.

Schließlich ist noch der Küstenschiffahrt zu gedenken. Wenn sie auch stets
gefährdet sein wird, ist es doch nicht wahrscheinlich, daß der Gegner sie lahm¬
legen kann, solange er sich nicht zum Herrn unserer Küstenplätze gemacht hat.
Und zwar dürfte in das Gebiet dieses Schiffahrtszweiges die ganze Ostsee ein¬
geschlossen werden. Es ist kaum anzunehmen, daß feindliche Streitkräfte allzu¬
häufig in diesen engen Gewässern auftreten werden, da sie zu hohen Gefahren
seitens der deutscheu Torpedowaffe ausgesetzt sind.

Die weitere Gefahr des Seekrieges liegt in dem Kaperrecht der feindlichen
Kriegsschiffe. Im großen und ganzen genommen ist mit Ausbruch des Krieges
das Schiff einer kriegführenden Macht sowie seine Ladung, soweit sie der gleichen
Nation gehört, der Wegnahme durch den Gegner ausgesetzt. Während nun
die Waren durch neutrale Flagge gedeckt werden können, d. h. auf Schiffen
neutraler Flagge vor Beschlagnahme gesichert sind, soweit sie nicht als Konter¬
bande betrachtet werden können, oder das Schiff beim Versuch des Blockade¬
bruchs angehalten wird, ist dieses bei dem Schiff selbst nur in beschränkter
Weise der Fall. Es ist nicht, wie häufig angenommen wird, möglich, dem
Schiff bei Kriegsausbruch durch Verkauf an eine Firma neutraler Nation den
Schutz der neutralen Flagge ohne weiteres zu sichern. In der Londoner See¬
kriegsrechtskonferenz sind in Artikel 55 und 56 der Deklaration verschiedene
Regeln aufgestellt, die dem Flaggenwechsel Rechtsgültigkeit geben, sofern er
bona uäh geschehen ist, d. h. wenn er nicht in der Absicht vor sich gegangen
ist, das Schiff den Kriegsgefahren zu entziehen. Die Voraussetzungen für die
Zulässigkeit des Flaggenwechsels sind entsprechend dem Zeitpunkt seiner Aus¬
führung verschieden. Diese im einzelnen zu erörtern, würde zu weit führen.
Es genügt, festzustellen, daß dieses Mittel nur eine sehr beschränkte Rechts¬
gültigkeit hat, die bei strenger Handhabung der Regeln seitens der Krieg¬
führenden nur in den seltensten Fällen eintreten wird. Also die Handelsschiffe
deutscher Flagge können in See nicht durch gesetzliche Bestimmungen gegen
feindliche Kreuzer geschützt werden.


Deutschlands Handelsschiffahrt >n Kriegszeiten

Man kann also ohne Übertreibung damit rechnen, daß der deutsche Übersee¬
handel, soweit er im Export und Import des Deutschen Reiches selbst besteht,
mit Beginn eines deutsch-englischen Krieges erdrosselt werden wird. Anders
verhält es sich mit einem anderen Gebiet der Überseeinteressen. Zahlreiche
deutsche Firmen befinden sich im Auslande und befassen sich in hohem Maße
mit dem Vertrieb fremder Landesprodukte. Dieser Handel bietet nun ebensogute
Erwerbsmöglichkeiten wie der auf heimischen Boden und heimische Be¬
dürfnisse gestützte. Er kann aber unter keinem Vorwand durch die krieg¬
führenden Mächte angegriffen werden, solange er sich in streng neutralen
Bahnen bewegt. Er bietet zwar der deutschen Industrie keinen Vorteil,
wohl aber den Handelshäusern eine, wenn auch nicht allzukräftige Stütze.
Der Ausbau dieses Handelszweiges erscheint daher im nationalen Interesse
durchaus wünschenswert.

Schließlich ist noch der Küstenschiffahrt zu gedenken. Wenn sie auch stets
gefährdet sein wird, ist es doch nicht wahrscheinlich, daß der Gegner sie lahm¬
legen kann, solange er sich nicht zum Herrn unserer Küstenplätze gemacht hat.
Und zwar dürfte in das Gebiet dieses Schiffahrtszweiges die ganze Ostsee ein¬
geschlossen werden. Es ist kaum anzunehmen, daß feindliche Streitkräfte allzu¬
häufig in diesen engen Gewässern auftreten werden, da sie zu hohen Gefahren
seitens der deutscheu Torpedowaffe ausgesetzt sind.

Die weitere Gefahr des Seekrieges liegt in dem Kaperrecht der feindlichen
Kriegsschiffe. Im großen und ganzen genommen ist mit Ausbruch des Krieges
das Schiff einer kriegführenden Macht sowie seine Ladung, soweit sie der gleichen
Nation gehört, der Wegnahme durch den Gegner ausgesetzt. Während nun
die Waren durch neutrale Flagge gedeckt werden können, d. h. auf Schiffen
neutraler Flagge vor Beschlagnahme gesichert sind, soweit sie nicht als Konter¬
bande betrachtet werden können, oder das Schiff beim Versuch des Blockade¬
bruchs angehalten wird, ist dieses bei dem Schiff selbst nur in beschränkter
Weise der Fall. Es ist nicht, wie häufig angenommen wird, möglich, dem
Schiff bei Kriegsausbruch durch Verkauf an eine Firma neutraler Nation den
Schutz der neutralen Flagge ohne weiteres zu sichern. In der Londoner See¬
kriegsrechtskonferenz sind in Artikel 55 und 56 der Deklaration verschiedene
Regeln aufgestellt, die dem Flaggenwechsel Rechtsgültigkeit geben, sofern er
bona uäh geschehen ist, d. h. wenn er nicht in der Absicht vor sich gegangen
ist, das Schiff den Kriegsgefahren zu entziehen. Die Voraussetzungen für die
Zulässigkeit des Flaggenwechsels sind entsprechend dem Zeitpunkt seiner Aus¬
führung verschieden. Diese im einzelnen zu erörtern, würde zu weit führen.
Es genügt, festzustellen, daß dieses Mittel nur eine sehr beschränkte Rechts¬
gültigkeit hat, die bei strenger Handhabung der Regeln seitens der Krieg¬
führenden nur in den seltensten Fällen eintreten wird. Also die Handelsschiffe
deutscher Flagge können in See nicht durch gesetzliche Bestimmungen gegen
feindliche Kreuzer geschützt werden.


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[0373] Deutschlands Handelsschiffahrt >n Kriegszeiten Man kann also ohne Übertreibung damit rechnen, daß der deutsche Übersee¬ handel, soweit er im Export und Import des Deutschen Reiches selbst besteht, mit Beginn eines deutsch-englischen Krieges erdrosselt werden wird. Anders verhält es sich mit einem anderen Gebiet der Überseeinteressen. Zahlreiche deutsche Firmen befinden sich im Auslande und befassen sich in hohem Maße mit dem Vertrieb fremder Landesprodukte. Dieser Handel bietet nun ebensogute Erwerbsmöglichkeiten wie der auf heimischen Boden und heimische Be¬ dürfnisse gestützte. Er kann aber unter keinem Vorwand durch die krieg¬ führenden Mächte angegriffen werden, solange er sich in streng neutralen Bahnen bewegt. Er bietet zwar der deutschen Industrie keinen Vorteil, wohl aber den Handelshäusern eine, wenn auch nicht allzukräftige Stütze. Der Ausbau dieses Handelszweiges erscheint daher im nationalen Interesse durchaus wünschenswert. Schließlich ist noch der Küstenschiffahrt zu gedenken. Wenn sie auch stets gefährdet sein wird, ist es doch nicht wahrscheinlich, daß der Gegner sie lahm¬ legen kann, solange er sich nicht zum Herrn unserer Küstenplätze gemacht hat. Und zwar dürfte in das Gebiet dieses Schiffahrtszweiges die ganze Ostsee ein¬ geschlossen werden. Es ist kaum anzunehmen, daß feindliche Streitkräfte allzu¬ häufig in diesen engen Gewässern auftreten werden, da sie zu hohen Gefahren seitens der deutscheu Torpedowaffe ausgesetzt sind. Die weitere Gefahr des Seekrieges liegt in dem Kaperrecht der feindlichen Kriegsschiffe. Im großen und ganzen genommen ist mit Ausbruch des Krieges das Schiff einer kriegführenden Macht sowie seine Ladung, soweit sie der gleichen Nation gehört, der Wegnahme durch den Gegner ausgesetzt. Während nun die Waren durch neutrale Flagge gedeckt werden können, d. h. auf Schiffen neutraler Flagge vor Beschlagnahme gesichert sind, soweit sie nicht als Konter¬ bande betrachtet werden können, oder das Schiff beim Versuch des Blockade¬ bruchs angehalten wird, ist dieses bei dem Schiff selbst nur in beschränkter Weise der Fall. Es ist nicht, wie häufig angenommen wird, möglich, dem Schiff bei Kriegsausbruch durch Verkauf an eine Firma neutraler Nation den Schutz der neutralen Flagge ohne weiteres zu sichern. In der Londoner See¬ kriegsrechtskonferenz sind in Artikel 55 und 56 der Deklaration verschiedene Regeln aufgestellt, die dem Flaggenwechsel Rechtsgültigkeit geben, sofern er bona uäh geschehen ist, d. h. wenn er nicht in der Absicht vor sich gegangen ist, das Schiff den Kriegsgefahren zu entziehen. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Flaggenwechsels sind entsprechend dem Zeitpunkt seiner Aus¬ führung verschieden. Diese im einzelnen zu erörtern, würde zu weit führen. Es genügt, festzustellen, daß dieses Mittel nur eine sehr beschränkte Rechts¬ gültigkeit hat, die bei strenger Handhabung der Regeln seitens der Krieg¬ führenden nur in den seltensten Fällen eintreten wird. Also die Handelsschiffe deutscher Flagge können in See nicht durch gesetzliche Bestimmungen gegen feindliche Kreuzer geschützt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/373>, abgerufen am 22.07.2024.