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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation!

Die Ostpreußische Zeitung nennt in ihrer Nummer 198 vom 21. Juli d. I.
den "Hang zum möglichst mühelosem Sichbereichern" als einen der wesentlichsten
Gründe sür die sogenannte Landflucht. Dieser "Hang" ist nicht nur der Land¬
arbeiterschaft eigen. Er hat alle Kreise und zwar nicht etwa nur die sogenannten
gewerblichen erfaßt. Es ist der Zug des aufgeklärten Zeitalters, wenn wir
danach streben, unter Aufwand möglichst geringer Kräfte möglichst große
Leistungen zu erzielen, und daß der Wertmesser für diese Leistungen das Geld
geworden ist, liegt nicht an einzelnen Klassen der Bevölkerung oder an einzelnen
Personen- Ich glaube. Schmoller ist es, der dieses Prinzip als den gesundesten
Grundsatz des Wirtschaftens bezeichnet, und ich meine, daß gerade die am besten
geleiteten Landgüter diesem Grundsatz in erster Linie ihren Aufschwung ver¬
danken. Auch auf dem Lande denkt man heute in erster Linie an pekuniäre
Beengtheit, wenn man von jemanden sagt, er sei nicht recht vorangekommen.
So wird man denn auch mit einem solchen Argument gegen die Stadtsucht
nicht viel ausrichten und infolgedessen auch nicht mit allen den Vorschlägen,
die Rückkehr zur Frömmigkeit, zum Gottesglauben, zur Kirche und zur
Unterwürfigkeit gegen die Obrigkeit verlangen, um auf diesem Wege den Wert
der schweren Arbeit wieder zu Ehren zu bringen. Die Nation ist von ihrem
äußersten sozialistischen bis zu ihrem äußersten konservativen Flügel über diese
Anschauungsweise hinaus. Ob zu ihrem Heile oder nicht, ist eine Frage für
sich. Religiosität und Wirtschaftlichkeit schließen einander zwar nicht aus, aber
jedes von ihnen ist vom anderen unabhängig. Wirtschaften heißt, mit den
geringsten Mitteln die größten Leistungen vollbringen, und zwar nicht nur für
den einzelnen, sondern auch für die Gesamtheit, für den Staat. Zu den
Mitteln, die wir in die Wirtschaft einsetzen, gehören ebenso die Sehnen und
Muskeln des menschlichen Körpers und der menschliche Geist, wie die Verkehrs¬
mittel, und unter ihnen das Geld.

Haben wir somit zugegeben, daß die Industrialisierung die wichtigste Ursache
für die Stadtsucht ist, so geben wir weiter im Sinne der agrarischen Blätter
und auch im Sinne des Herrn Treichel zu Goslar, der sich in Nummer 355
der Deutschen Tageszeitung äußert, zu, daß es die Großstädte sind, von denen
aus der Ruin unseres Volkes zu befürchten ist. Die Ostpreußische Zeitung und
mit ihr die preußischen Konservativen mögen aus diesem Zugeständnis ersehen,
daß wir durchaus nicht gewillt sind, irgendeiner Partei zuliebe unsere Ansichten
einzurichten, sondern daß es uns lediglich darauf ankommt, das große nationale
Problem zur Erörterung zu bringen und an seiner Lösung mitzuarbeiten.




Daß die Großstädte, wenigstens so wie sie heute sind, die Nation ruinieren,
wird in den Städten selbst am meisten empfunden. Die unparteiische Bewegung
der Bodenreformer ist das beste Zeichen dafür, daß man sich in den Städten
nicht mehr wohl fühlt, und ein ernstes Symptom dafür, daß die Stadt-


Innere Kolonisation!

Die Ostpreußische Zeitung nennt in ihrer Nummer 198 vom 21. Juli d. I.
den „Hang zum möglichst mühelosem Sichbereichern" als einen der wesentlichsten
Gründe sür die sogenannte Landflucht. Dieser „Hang" ist nicht nur der Land¬
arbeiterschaft eigen. Er hat alle Kreise und zwar nicht etwa nur die sogenannten
gewerblichen erfaßt. Es ist der Zug des aufgeklärten Zeitalters, wenn wir
danach streben, unter Aufwand möglichst geringer Kräfte möglichst große
Leistungen zu erzielen, und daß der Wertmesser für diese Leistungen das Geld
geworden ist, liegt nicht an einzelnen Klassen der Bevölkerung oder an einzelnen
Personen- Ich glaube. Schmoller ist es, der dieses Prinzip als den gesundesten
Grundsatz des Wirtschaftens bezeichnet, und ich meine, daß gerade die am besten
geleiteten Landgüter diesem Grundsatz in erster Linie ihren Aufschwung ver¬
danken. Auch auf dem Lande denkt man heute in erster Linie an pekuniäre
Beengtheit, wenn man von jemanden sagt, er sei nicht recht vorangekommen.
So wird man denn auch mit einem solchen Argument gegen die Stadtsucht
nicht viel ausrichten und infolgedessen auch nicht mit allen den Vorschlägen,
die Rückkehr zur Frömmigkeit, zum Gottesglauben, zur Kirche und zur
Unterwürfigkeit gegen die Obrigkeit verlangen, um auf diesem Wege den Wert
der schweren Arbeit wieder zu Ehren zu bringen. Die Nation ist von ihrem
äußersten sozialistischen bis zu ihrem äußersten konservativen Flügel über diese
Anschauungsweise hinaus. Ob zu ihrem Heile oder nicht, ist eine Frage für
sich. Religiosität und Wirtschaftlichkeit schließen einander zwar nicht aus, aber
jedes von ihnen ist vom anderen unabhängig. Wirtschaften heißt, mit den
geringsten Mitteln die größten Leistungen vollbringen, und zwar nicht nur für
den einzelnen, sondern auch für die Gesamtheit, für den Staat. Zu den
Mitteln, die wir in die Wirtschaft einsetzen, gehören ebenso die Sehnen und
Muskeln des menschlichen Körpers und der menschliche Geist, wie die Verkehrs¬
mittel, und unter ihnen das Geld.

Haben wir somit zugegeben, daß die Industrialisierung die wichtigste Ursache
für die Stadtsucht ist, so geben wir weiter im Sinne der agrarischen Blätter
und auch im Sinne des Herrn Treichel zu Goslar, der sich in Nummer 355
der Deutschen Tageszeitung äußert, zu, daß es die Großstädte sind, von denen
aus der Ruin unseres Volkes zu befürchten ist. Die Ostpreußische Zeitung und
mit ihr die preußischen Konservativen mögen aus diesem Zugeständnis ersehen,
daß wir durchaus nicht gewillt sind, irgendeiner Partei zuliebe unsere Ansichten
einzurichten, sondern daß es uns lediglich darauf ankommt, das große nationale
Problem zur Erörterung zu bringen und an seiner Lösung mitzuarbeiten.




Daß die Großstädte, wenigstens so wie sie heute sind, die Nation ruinieren,
wird in den Städten selbst am meisten empfunden. Die unparteiische Bewegung
der Bodenreformer ist das beste Zeichen dafür, daß man sich in den Städten
nicht mehr wohl fühlt, und ein ernstes Symptom dafür, daß die Stadt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/356>, abgerufen am 22.07.2024.