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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

"Bleib meinetwegen," sagte er in eben der Weise, wie er gelacht hatte. "Kannst
mich nicht in meinem Hans verunruhigen. Kümmerst mich so wenig, daß ich
nicht einmal spüre, ob du da bist oder nicht."

"Ich nehme zum Oktoberersten einen Dienst an," antwortete sie.

"Meinst, wenn die junge Frau hier in das Haus kommt, dann müssest
weg sein?"

Er wollte sie jetzt ansehen, mit Augen, die so spöttisch wie Gesicht und
Lachen waren, aber sie gab ihre bejahende Antwort so klar und stand so groß
da, daß er sich nicht dagegen aufzuheben vermochte, sich abkehrte und von ihr
weg ging, indem er die Hände eingepfropft ließ, die Tür mit dem Fuß auf
und wieder zu stieß und draußen seine Arbeit aufnahm.

In den Tagen danach trat Wieschen bei Jelde ein und sagte ihr, was zu
sagen war. Wie zu einer traurigen, in ihrem Ende ergreifenden, schmerzlich-
glücklichen Erzählung leuchtete ihr Gesicht. Sie sprach langsam, daß Jelde auf
einmal nicht zuviel bekam, wie man Garn sinnig von der Hand läßt und
wartet, bis es der andere genommen und gewickelt hat, immer mit der Obacht,
daß es sich nicht verwickelt und in Knoten geht. Alles, was je gewesen war,
erzählte sie, selbst das Verschwiegene zeigte sie offen. Sie schonte den Burschen
nicht und noch weniger sich selbst.

"Er ist so, der Florin," sagte sie verlegen. "Er kann einem kein Opfer
bringen. Er nimmt alle Liebe hin wie den Sonnenschein, für den man nicht
groß dankt, wenn man darin steht, weil man meint, es müsse so sein. Darum
liebt er einen aber nicht weniger als andere lieben, der Florin. Und ich --
ganz verkommen bin ich in mir selbst, bis zu dem Augenblick..."

Wieschen faßte sich an die Stirn, lächelte und sprach das Ende ihrer Rede:
"Weißt, Jelde, wenn mau eine Blumenknospe hat und schwört: Ich kenn' ihre
Blüte, sie wird rot werden -- und wenn sie dann ausbricht, so wird sie doch
weiß, wenn es in ihr gesessen hat."

Jelde hatte während dieser Erzählung ihre Augen weit und wieder klein
werden lassen, sie rüusperte sich, als wolle sie ausspucken, warf dann aber ein
paar Worte des Lobes hin, wie sie dem Mädchen zukamen. Erst mit den Tagen
kehrte sie ihre eigentliche Meinung aus, sie sah den äußeren Wert nicht mehr
an dem Mädchen, und Wieschen wurde wieder das Spiel ihrer Laune. Sie
quälte sie mit Vorwürfen, wie sie sich und anderen das ganze Leben verderbe.
So machte sie sie da gering, wo Wieschen meinte die Krone zu bekommen.

Wieschen mußte zu Jettes verkehrten Wort noch das Gespött der Leute
auf sich nehmen. Regime ging als die Braut des Kiep, ging so, als hätte sie
allen Sieg gewonnen, nicht, als wäre er ihr nur gelassen worden. "Sich ver¬
sprochen haben ist noch kein Verheiratetsein," erklärte sie den Bruch des ersten
Verlöbnisses des Kien. Und als ein Dreister sie mahnte, sie möge nur sorgen,
daß das Wort nicht am Ende auch auf sie anzuwenden sei, lachte sie un¬
bekümmert und zwinkerte heimlich mit den Augen. Und als ein anderer sie


Die Blumen des Florentin Uley

„Bleib meinetwegen," sagte er in eben der Weise, wie er gelacht hatte. „Kannst
mich nicht in meinem Hans verunruhigen. Kümmerst mich so wenig, daß ich
nicht einmal spüre, ob du da bist oder nicht."

„Ich nehme zum Oktoberersten einen Dienst an," antwortete sie.

„Meinst, wenn die junge Frau hier in das Haus kommt, dann müssest
weg sein?"

Er wollte sie jetzt ansehen, mit Augen, die so spöttisch wie Gesicht und
Lachen waren, aber sie gab ihre bejahende Antwort so klar und stand so groß
da, daß er sich nicht dagegen aufzuheben vermochte, sich abkehrte und von ihr
weg ging, indem er die Hände eingepfropft ließ, die Tür mit dem Fuß auf
und wieder zu stieß und draußen seine Arbeit aufnahm.

In den Tagen danach trat Wieschen bei Jelde ein und sagte ihr, was zu
sagen war. Wie zu einer traurigen, in ihrem Ende ergreifenden, schmerzlich-
glücklichen Erzählung leuchtete ihr Gesicht. Sie sprach langsam, daß Jelde auf
einmal nicht zuviel bekam, wie man Garn sinnig von der Hand läßt und
wartet, bis es der andere genommen und gewickelt hat, immer mit der Obacht,
daß es sich nicht verwickelt und in Knoten geht. Alles, was je gewesen war,
erzählte sie, selbst das Verschwiegene zeigte sie offen. Sie schonte den Burschen
nicht und noch weniger sich selbst.

„Er ist so, der Florin," sagte sie verlegen. „Er kann einem kein Opfer
bringen. Er nimmt alle Liebe hin wie den Sonnenschein, für den man nicht
groß dankt, wenn man darin steht, weil man meint, es müsse so sein. Darum
liebt er einen aber nicht weniger als andere lieben, der Florin. Und ich —
ganz verkommen bin ich in mir selbst, bis zu dem Augenblick..."

Wieschen faßte sich an die Stirn, lächelte und sprach das Ende ihrer Rede:
„Weißt, Jelde, wenn mau eine Blumenknospe hat und schwört: Ich kenn' ihre
Blüte, sie wird rot werden — und wenn sie dann ausbricht, so wird sie doch
weiß, wenn es in ihr gesessen hat."

Jelde hatte während dieser Erzählung ihre Augen weit und wieder klein
werden lassen, sie rüusperte sich, als wolle sie ausspucken, warf dann aber ein
paar Worte des Lobes hin, wie sie dem Mädchen zukamen. Erst mit den Tagen
kehrte sie ihre eigentliche Meinung aus, sie sah den äußeren Wert nicht mehr
an dem Mädchen, und Wieschen wurde wieder das Spiel ihrer Laune. Sie
quälte sie mit Vorwürfen, wie sie sich und anderen das ganze Leben verderbe.
So machte sie sie da gering, wo Wieschen meinte die Krone zu bekommen.

Wieschen mußte zu Jettes verkehrten Wort noch das Gespött der Leute
auf sich nehmen. Regime ging als die Braut des Kiep, ging so, als hätte sie
allen Sieg gewonnen, nicht, als wäre er ihr nur gelassen worden. „Sich ver¬
sprochen haben ist noch kein Verheiratetsein," erklärte sie den Bruch des ersten
Verlöbnisses des Kien. Und als ein Dreister sie mahnte, sie möge nur sorgen,
daß das Wort nicht am Ende auch auf sie anzuwenden sei, lachte sie un¬
bekümmert und zwinkerte heimlich mit den Augen. Und als ein anderer sie


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[0331] Die Blumen des Florentin Uley „Bleib meinetwegen," sagte er in eben der Weise, wie er gelacht hatte. „Kannst mich nicht in meinem Hans verunruhigen. Kümmerst mich so wenig, daß ich nicht einmal spüre, ob du da bist oder nicht." „Ich nehme zum Oktoberersten einen Dienst an," antwortete sie. „Meinst, wenn die junge Frau hier in das Haus kommt, dann müssest weg sein?" Er wollte sie jetzt ansehen, mit Augen, die so spöttisch wie Gesicht und Lachen waren, aber sie gab ihre bejahende Antwort so klar und stand so groß da, daß er sich nicht dagegen aufzuheben vermochte, sich abkehrte und von ihr weg ging, indem er die Hände eingepfropft ließ, die Tür mit dem Fuß auf und wieder zu stieß und draußen seine Arbeit aufnahm. In den Tagen danach trat Wieschen bei Jelde ein und sagte ihr, was zu sagen war. Wie zu einer traurigen, in ihrem Ende ergreifenden, schmerzlich- glücklichen Erzählung leuchtete ihr Gesicht. Sie sprach langsam, daß Jelde auf einmal nicht zuviel bekam, wie man Garn sinnig von der Hand läßt und wartet, bis es der andere genommen und gewickelt hat, immer mit der Obacht, daß es sich nicht verwickelt und in Knoten geht. Alles, was je gewesen war, erzählte sie, selbst das Verschwiegene zeigte sie offen. Sie schonte den Burschen nicht und noch weniger sich selbst. „Er ist so, der Florin," sagte sie verlegen. „Er kann einem kein Opfer bringen. Er nimmt alle Liebe hin wie den Sonnenschein, für den man nicht groß dankt, wenn man darin steht, weil man meint, es müsse so sein. Darum liebt er einen aber nicht weniger als andere lieben, der Florin. Und ich — ganz verkommen bin ich in mir selbst, bis zu dem Augenblick..." Wieschen faßte sich an die Stirn, lächelte und sprach das Ende ihrer Rede: „Weißt, Jelde, wenn mau eine Blumenknospe hat und schwört: Ich kenn' ihre Blüte, sie wird rot werden — und wenn sie dann ausbricht, so wird sie doch weiß, wenn es in ihr gesessen hat." Jelde hatte während dieser Erzählung ihre Augen weit und wieder klein werden lassen, sie rüusperte sich, als wolle sie ausspucken, warf dann aber ein paar Worte des Lobes hin, wie sie dem Mädchen zukamen. Erst mit den Tagen kehrte sie ihre eigentliche Meinung aus, sie sah den äußeren Wert nicht mehr an dem Mädchen, und Wieschen wurde wieder das Spiel ihrer Laune. Sie quälte sie mit Vorwürfen, wie sie sich und anderen das ganze Leben verderbe. So machte sie sie da gering, wo Wieschen meinte die Krone zu bekommen. Wieschen mußte zu Jettes verkehrten Wort noch das Gespött der Leute auf sich nehmen. Regime ging als die Braut des Kiep, ging so, als hätte sie allen Sieg gewonnen, nicht, als wäre er ihr nur gelassen worden. „Sich ver¬ sprochen haben ist noch kein Verheiratetsein," erklärte sie den Bruch des ersten Verlöbnisses des Kien. Und als ein Dreister sie mahnte, sie möge nur sorgen, daß das Wort nicht am Ende auch auf sie anzuwenden sei, lachte sie un¬ bekümmert und zwinkerte heimlich mit den Augen. Und als ein anderer sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/331>, abgerufen am 22.07.2024.