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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

rucks damit Berührten lenken soll. Klatsch ist
stets für das Objekt nachteilig, und die Be¬
zeichnung "Klätscher" eben deshalb ehren¬
rührig. Aber gibt es ein Recht auf Klatsch?
Allerdings. Nichts wäre überflüssiger, weil
nutzloser, als ein Kampf gegen die Klatsch¬
sucht bei Leuten, die das Erziehbarkeitsalter
hinter sich haben. Wir haben Städte und
Städtlein in Fülle, die für vornehm denkende
Menschen auf die Dauer unbewohnbar sind.
Klatsch ist das Kriterium geistiger Enge und
intellektueller Blödsichtigkeit; er gedeiht in
jeder Gesellschaft, die ihren geringen Gesamt¬
wert dumpf empfindet und daher auf der
Wacht steht gegen alle Elemente, die ihr Ni¬
veau zu sprengen fähig und mithin verdächtig
sind. Was Hinz dem Kunz anhängt, bleibt
meist in der Freundschaft, aber der neue
Bürgermeister oder der Assessor aus Berlin
können nur durch berechnete Passivität und
ähnliche Finessen vermeiden, daß der Klatsch
gegen sie mobil macht. Ein besonderes Ka¬
pitel gebührte dem Gelehrtenklatsch, der in
manchen "Fächern" sogar international ar¬
beitet; auch Parlaments-, Diplomaten- und
Kolonialklatsch, letzterer durch den Buschklatsch
noch besonders nuanciert, verdienten besondere
Beachtung. Mangel an Urteil über die Wich¬
tigkeit der Einzelerscheinung, verbunden mit
sozialer Unreife, gewähren entschieden das
Recht auf Klatsch, so lange man den min¬
deren Mitbrüdern nicht Silentium auferlegen
kann, was nur in ernsten Zeiten schon mit
Erfolg geschehen ist. Wer aber, sei es ein
Individuum, ein Kreis, eine Schicht oder eine
Bevölkerung, das schöne Recht nicht missen
mag, bleibt im Massentypus kleben, und es
hat den Anschein, als bahne sich, der Hinder¬
nisse ungeachtet, eine Entwicklung daraufhin
an. Denn gerade der Klatschberechtigte ist
im Grunde eine suchende Seele ohne Flügel,
die etwas zum Bewundern haben möchte und
sich für alles blind begeistert, was Distanz
hält. Zeppelin und die Aeroplane z. B. ver¬
danken dieser immer markanten Eigenschaft
den wahren Erfolg, darüber brauchte man
sich nicht zu täuschen. Findet ein Großer auch
auf ebener Erde einmal die rechte Distanz
wieder, so wird sich der Klatsch ihm bereit¬
willig beugen. In dem Augenblicke, wo der

Klatsch selbst zu regieren aufhört und viel¬
mehr regiert wird, wandelt er sich in die
Legende um, -- eine Luftverbesserung die
,
<L. N. nachgerade ihren Wert hätte.


Literatur

Von Verdeutschungen der Manzonischen
Ode auf den Tod Napoleons des Ersten

"II cinque ^sM<z" (1821) lagen vereint
bisher acht vor (man vgl. C. A. Meschias
"Ventisette traäu?ioni in paris ImZue" . . .,
Foligno, 1883). Zu diesen Übersetzungen des
von Goethe gegen Eckermann hoch gepriesenen
Gedichtes verweise ich auf noch fünf weitere:
die von König Johann von Sachsen (u. a. i. d.
W.-B. Ur. 33 der Leipziger Zeitung, 1879 ")),
Peter Moser (u. a. i. d. "Progr. der Ober¬
realschule zu Innsbruck", 1906/7, i. Verb, mit
"Euphorion", XIV., 1907, 784 ff.), Giacomo
Mühlberg (Zeitschr. f. österr. Gymnas.",XXX.,
1879, 871 ff.), Wilhelm Ribbeck (Mitternacht¬
blatt, 1829, Ur. 62) und einem Unbekannten
(Mildensche Übersetzung der "Verlobten"
Manzonis). Zu einer Sammlung sämtlicher
Übertragungen habe ich in der Vossischen
Zeitung, 1910, Ur. 235 zwar geraten, bin
aber, seitdem ich erfahren, daß das "Kartell
lyrischer Autoren" für eine bestimmte übrigens
bei C. M. Sauer("Manzonistudie", 1871 u. fg.)
zuerst nachgedruckte Verdeutschung, fünfzig
und vier Mark forderte, anderer Ansicht ge¬
worden. Meine fünf Nachträge sind, mit
knappsten Lehmstaken der Übersetzer, der
Heimat des Dichters, der Ambrosianischen
Bibliothek zu Mailand, überwiesen worden.


Theodor Diste



") Hierzu vgl. man Johann Georgs,
Herzogs zu Sachsen "Briefwechsel zwischen
König Johann von Sachsen und den Königen
Friedrich Wilhelm dem Vierten und Wilhelm
dem Ersten von Preußen", 1911, Ur. 6, wo
es in der Note Is jedoch statt "1323", 1821,
bzw. 1822, zu heißen hat. Der ebendort
(Note 14) erwähnte Streckfuß sollte sich auch
an der, zu Berlin 1828 erschienenen Samm¬
lung (mit fünf Verdeutschungen) beteiligen,
lohnte aber -- "aus zu großer Bescheidenheit"
-- seine Betätigung ab.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

rucks damit Berührten lenken soll. Klatsch ist
stets für das Objekt nachteilig, und die Be¬
zeichnung „Klätscher" eben deshalb ehren¬
rührig. Aber gibt es ein Recht auf Klatsch?
Allerdings. Nichts wäre überflüssiger, weil
nutzloser, als ein Kampf gegen die Klatsch¬
sucht bei Leuten, die das Erziehbarkeitsalter
hinter sich haben. Wir haben Städte und
Städtlein in Fülle, die für vornehm denkende
Menschen auf die Dauer unbewohnbar sind.
Klatsch ist das Kriterium geistiger Enge und
intellektueller Blödsichtigkeit; er gedeiht in
jeder Gesellschaft, die ihren geringen Gesamt¬
wert dumpf empfindet und daher auf der
Wacht steht gegen alle Elemente, die ihr Ni¬
veau zu sprengen fähig und mithin verdächtig
sind. Was Hinz dem Kunz anhängt, bleibt
meist in der Freundschaft, aber der neue
Bürgermeister oder der Assessor aus Berlin
können nur durch berechnete Passivität und
ähnliche Finessen vermeiden, daß der Klatsch
gegen sie mobil macht. Ein besonderes Ka¬
pitel gebührte dem Gelehrtenklatsch, der in
manchen „Fächern" sogar international ar¬
beitet; auch Parlaments-, Diplomaten- und
Kolonialklatsch, letzterer durch den Buschklatsch
noch besonders nuanciert, verdienten besondere
Beachtung. Mangel an Urteil über die Wich¬
tigkeit der Einzelerscheinung, verbunden mit
sozialer Unreife, gewähren entschieden das
Recht auf Klatsch, so lange man den min¬
deren Mitbrüdern nicht Silentium auferlegen
kann, was nur in ernsten Zeiten schon mit
Erfolg geschehen ist. Wer aber, sei es ein
Individuum, ein Kreis, eine Schicht oder eine
Bevölkerung, das schöne Recht nicht missen
mag, bleibt im Massentypus kleben, und es
hat den Anschein, als bahne sich, der Hinder¬
nisse ungeachtet, eine Entwicklung daraufhin
an. Denn gerade der Klatschberechtigte ist
im Grunde eine suchende Seele ohne Flügel,
die etwas zum Bewundern haben möchte und
sich für alles blind begeistert, was Distanz
hält. Zeppelin und die Aeroplane z. B. ver¬
danken dieser immer markanten Eigenschaft
den wahren Erfolg, darüber brauchte man
sich nicht zu täuschen. Findet ein Großer auch
auf ebener Erde einmal die rechte Distanz
wieder, so wird sich der Klatsch ihm bereit¬
willig beugen. In dem Augenblicke, wo der

Klatsch selbst zu regieren aufhört und viel¬
mehr regiert wird, wandelt er sich in die
Legende um, — eine Luftverbesserung die
,
<L. N. nachgerade ihren Wert hätte.


Literatur

Von Verdeutschungen der Manzonischen
Ode auf den Tod Napoleons des Ersten

„II cinque ^sM<z" (1821) lagen vereint
bisher acht vor (man vgl. C. A. Meschias
„Ventisette traäu?ioni in paris ImZue" . . .,
Foligno, 1883). Zu diesen Übersetzungen des
von Goethe gegen Eckermann hoch gepriesenen
Gedichtes verweise ich auf noch fünf weitere:
die von König Johann von Sachsen (u. a. i. d.
W.-B. Ur. 33 der Leipziger Zeitung, 1879 ")),
Peter Moser (u. a. i. d. „Progr. der Ober¬
realschule zu Innsbruck", 1906/7, i. Verb, mit
„Euphorion", XIV., 1907, 784 ff.), Giacomo
Mühlberg (Zeitschr. f. österr. Gymnas.",XXX.,
1879, 871 ff.), Wilhelm Ribbeck (Mitternacht¬
blatt, 1829, Ur. 62) und einem Unbekannten
(Mildensche Übersetzung der „Verlobten"
Manzonis). Zu einer Sammlung sämtlicher
Übertragungen habe ich in der Vossischen
Zeitung, 1910, Ur. 235 zwar geraten, bin
aber, seitdem ich erfahren, daß das „Kartell
lyrischer Autoren" für eine bestimmte übrigens
bei C. M. Sauer(„Manzonistudie", 1871 u. fg.)
zuerst nachgedruckte Verdeutschung, fünfzig
und vier Mark forderte, anderer Ansicht ge¬
worden. Meine fünf Nachträge sind, mit
knappsten Lehmstaken der Übersetzer, der
Heimat des Dichters, der Ambrosianischen
Bibliothek zu Mailand, überwiesen worden.


Theodor Diste



") Hierzu vgl. man Johann Georgs,
Herzogs zu Sachsen „Briefwechsel zwischen
König Johann von Sachsen und den Königen
Friedrich Wilhelm dem Vierten und Wilhelm
dem Ersten von Preußen", 1911, Ur. 6, wo
es in der Note Is jedoch statt „1323", 1821,
bzw. 1822, zu heißen hat. Der ebendort
(Note 14) erwähnte Streckfuß sollte sich auch
an der, zu Berlin 1828 erschienenen Samm¬
lung (mit fünf Verdeutschungen) beteiligen,
lohnte aber — „aus zu großer Bescheidenheit"
— seine Betätigung ab.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/152>, abgerufen am 01.07.2024.