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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Frühlingsflnten

"In der Saltykowschen Einöde", erwiderte Stepan, und much seine Stimme
klang fremd. Man hörte, wie irgendwo in der Nähe der Uns; traurig und schwer
aufseufzte. Zeitweise vernahm man leises Krachen, wahrscheinlich spaltete sich das
schwache Frühlingseis und versank ins Wasser.

Am Himmel ging Seltsames vor. Silberne, feuchte Schleier, die an den
Sternen zu hängen schienen, breiteten sich weit aus, und weiße Riesenflügel
spannten sich über die Erde.

Die Pferde waren unruhig, sie liefen nicht gleichmäßig, wie am hellen Tage,
sondern drängten sich eng aneinander.

Jetzt dachte Sonja Kaürina nicht mehr an ihren Vater, den sie heimlich
verlassen hatte, und eines nicht an ihren Bräutigam, der sie erwartete. Es
kam ihr vor, als würde diese angstvolle, geheimnisvolle Nacht kein Ende nehmen,
als würde sie ewig in der Trona durch den silbernen Nebel fahren, wie in
einem Märchen -- und ewig würde in ihrem Herzen die Ahnung eines Unheils
erzittern. --

"Hier ist die .Grüne Herberge"^ sagte Stepan. Auf dem Abhang stand eine
große rauchige Hütte, aus der heiseres Hundegebell ertönte. Sonja stieg aus dem
Fuhrwerk und klopfte an die Flurtür.

"Die Tür ist offen. Wen schickt uns der Himmel?"

Sonja öffnete die Tür und trat in die Stiche. "Ich brauche Pferde", sagte
sie, und wieder klang ihre Stimme fremd, als hätte die Nacht alles in ihr
verändert, und als dürfe sie nicht mehr so reden wie früher.

"Pferde sind nicht zu haben. Sie müssen sich gedulden", erwiderte der
Wirt, ein großer Mann mit krausem Haar und listigen Angen.

Am Tisch saßen außer dem Wirt noch zwei Personen, ein würdiger Greis
und ein Mann in einem blauen .Kittel von unbestimmtem Alter und Aussehn.

Der Wirt schien den Alten wenig zu kennen, den andern dagegen nannte
er freundschaftlich Waßja.

"Wollen wir noch ein Gläschen trinken, Waßja?"

Als Sonja Kaürina ins Zimmer trat, stand der Manu, den der Wirt
Waßja nannte, auf und machte ihr eine Verbeugung.

"Ich brauche Pferde", wiederholte Sonja, sich ängstlich Hinsehend.

Der Wirt schien nicht gehört zu haben und rief laut:

"Olympiada! Den Samowar."

Auf der Schwelle zeigte sich eine dunkeläugige Schöne in einem Samfan
mit hochgegürtetem Mieder.

"Sie kommen von den Goldbergwerken?" fragte der Alte mit leiser Stimme.

Sonja bejahte zögernd. Dann setzte sie sich aus die Bank und sah bekümmert
auf deu Wirt.

"Ich rate dir," sagte dieser, sich an Waßja wendend, "Schmiede das Eisen,
solange es warm ist."

"Von deinen Lippen fließt Milch und Honig."

"Olympiada, habe ich nicht recht? Einem solchen Prachtkerl stehen alle
Wege offen."

Von dem ihr unverständlichen Gespräch und von der Hitze wurde es Sonja
schwindlig, und sie sank unwillkürlich mit dein Kopf gegen die Bank.


Frühlingsflnten

„In der Saltykowschen Einöde", erwiderte Stepan, und much seine Stimme
klang fremd. Man hörte, wie irgendwo in der Nähe der Uns; traurig und schwer
aufseufzte. Zeitweise vernahm man leises Krachen, wahrscheinlich spaltete sich das
schwache Frühlingseis und versank ins Wasser.

Am Himmel ging Seltsames vor. Silberne, feuchte Schleier, die an den
Sternen zu hängen schienen, breiteten sich weit aus, und weiße Riesenflügel
spannten sich über die Erde.

Die Pferde waren unruhig, sie liefen nicht gleichmäßig, wie am hellen Tage,
sondern drängten sich eng aneinander.

Jetzt dachte Sonja Kaürina nicht mehr an ihren Vater, den sie heimlich
verlassen hatte, und eines nicht an ihren Bräutigam, der sie erwartete. Es
kam ihr vor, als würde diese angstvolle, geheimnisvolle Nacht kein Ende nehmen,
als würde sie ewig in der Trona durch den silbernen Nebel fahren, wie in
einem Märchen — und ewig würde in ihrem Herzen die Ahnung eines Unheils
erzittern. —

„Hier ist die .Grüne Herberge"^ sagte Stepan. Auf dem Abhang stand eine
große rauchige Hütte, aus der heiseres Hundegebell ertönte. Sonja stieg aus dem
Fuhrwerk und klopfte an die Flurtür.

„Die Tür ist offen. Wen schickt uns der Himmel?"

Sonja öffnete die Tür und trat in die Stiche. „Ich brauche Pferde", sagte
sie, und wieder klang ihre Stimme fremd, als hätte die Nacht alles in ihr
verändert, und als dürfe sie nicht mehr so reden wie früher.

„Pferde sind nicht zu haben. Sie müssen sich gedulden", erwiderte der
Wirt, ein großer Mann mit krausem Haar und listigen Angen.

Am Tisch saßen außer dem Wirt noch zwei Personen, ein würdiger Greis
und ein Mann in einem blauen .Kittel von unbestimmtem Alter und Aussehn.

Der Wirt schien den Alten wenig zu kennen, den andern dagegen nannte
er freundschaftlich Waßja.

„Wollen wir noch ein Gläschen trinken, Waßja?"

Als Sonja Kaürina ins Zimmer trat, stand der Manu, den der Wirt
Waßja nannte, auf und machte ihr eine Verbeugung.

„Ich brauche Pferde", wiederholte Sonja, sich ängstlich Hinsehend.

Der Wirt schien nicht gehört zu haben und rief laut:

„Olympiada! Den Samowar."

Auf der Schwelle zeigte sich eine dunkeläugige Schöne in einem Samfan
mit hochgegürtetem Mieder.

„Sie kommen von den Goldbergwerken?" fragte der Alte mit leiser Stimme.

Sonja bejahte zögernd. Dann setzte sie sich aus die Bank und sah bekümmert
auf deu Wirt.

„Ich rate dir," sagte dieser, sich an Waßja wendend, „Schmiede das Eisen,
solange es warm ist."

„Von deinen Lippen fließt Milch und Honig."

„Olympiada, habe ich nicht recht? Einem solchen Prachtkerl stehen alle
Wege offen."

Von dem ihr unverständlichen Gespräch und von der Hitze wurde es Sonja
schwindlig, und sie sank unwillkürlich mit dein Kopf gegen die Bank.


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[0089] Frühlingsflnten „In der Saltykowschen Einöde", erwiderte Stepan, und much seine Stimme klang fremd. Man hörte, wie irgendwo in der Nähe der Uns; traurig und schwer aufseufzte. Zeitweise vernahm man leises Krachen, wahrscheinlich spaltete sich das schwache Frühlingseis und versank ins Wasser. Am Himmel ging Seltsames vor. Silberne, feuchte Schleier, die an den Sternen zu hängen schienen, breiteten sich weit aus, und weiße Riesenflügel spannten sich über die Erde. Die Pferde waren unruhig, sie liefen nicht gleichmäßig, wie am hellen Tage, sondern drängten sich eng aneinander. Jetzt dachte Sonja Kaürina nicht mehr an ihren Vater, den sie heimlich verlassen hatte, und eines nicht an ihren Bräutigam, der sie erwartete. Es kam ihr vor, als würde diese angstvolle, geheimnisvolle Nacht kein Ende nehmen, als würde sie ewig in der Trona durch den silbernen Nebel fahren, wie in einem Märchen — und ewig würde in ihrem Herzen die Ahnung eines Unheils erzittern. — „Hier ist die .Grüne Herberge"^ sagte Stepan. Auf dem Abhang stand eine große rauchige Hütte, aus der heiseres Hundegebell ertönte. Sonja stieg aus dem Fuhrwerk und klopfte an die Flurtür. „Die Tür ist offen. Wen schickt uns der Himmel?" Sonja öffnete die Tür und trat in die Stiche. „Ich brauche Pferde", sagte sie, und wieder klang ihre Stimme fremd, als hätte die Nacht alles in ihr verändert, und als dürfe sie nicht mehr so reden wie früher. „Pferde sind nicht zu haben. Sie müssen sich gedulden", erwiderte der Wirt, ein großer Mann mit krausem Haar und listigen Angen. Am Tisch saßen außer dem Wirt noch zwei Personen, ein würdiger Greis und ein Mann in einem blauen .Kittel von unbestimmtem Alter und Aussehn. Der Wirt schien den Alten wenig zu kennen, den andern dagegen nannte er freundschaftlich Waßja. „Wollen wir noch ein Gläschen trinken, Waßja?" Als Sonja Kaürina ins Zimmer trat, stand der Manu, den der Wirt Waßja nannte, auf und machte ihr eine Verbeugung. „Ich brauche Pferde", wiederholte Sonja, sich ängstlich Hinsehend. Der Wirt schien nicht gehört zu haben und rief laut: „Olympiada! Den Samowar." Auf der Schwelle zeigte sich eine dunkeläugige Schöne in einem Samfan mit hochgegürtetem Mieder. „Sie kommen von den Goldbergwerken?" fragte der Alte mit leiser Stimme. Sonja bejahte zögernd. Dann setzte sie sich aus die Bank und sah bekümmert auf deu Wirt. „Ich rate dir," sagte dieser, sich an Waßja wendend, „Schmiede das Eisen, solange es warm ist." „Von deinen Lippen fließt Milch und Honig." „Olympiada, habe ich nicht recht? Einem solchen Prachtkerl stehen alle Wege offen." Von dem ihr unverständlichen Gespräch und von der Hitze wurde es Sonja schwindlig, und sie sank unwillkürlich mit dein Kopf gegen die Bank.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/89>, abgerufen am 25.08.2024.