Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] angelangt. Er meint: Menschen vertragen hochsituierten Aphorismendenker den Wahr¬ Ein Mustersatz. "Die psychologische Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] angelangt. Er meint: Menschen vertragen hochsituierten Aphorismendenker den Wahr¬ Ein Mustersatz. „Die psychologische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0651" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321736"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_2721" prev="#ID_2720" next="#ID_2722"> angelangt. Er meint: Menschen vertragen<lb/> gute Behandlung oft weniger als Tiere;<lb/> jedenfalls sind Tiere weniger undankbar.<lb/> Denn, fügen wir hinzu, man kann alle Tage<lb/> auf den Hund, aber nur selten auf den Löwen<lb/> kommen. Volle Sympathie gebührt dem<lb/> „Aphorismus": Gerechten Vorwürfen, die<lb/> von berufener Seite kommen, mit Grobheiten<lb/> zu begegnen, ist roh. Armer Taps, hier<lb/> hättest du Wohl einmal lieber dem Schmeichler<lb/> das Ohr geliehen! Weiter: Unwillkürliches<lb/> Singen und Pfeifen, sobald man allein, be¬<lb/> kundet wahre Heiterkeit, die ein Lohn eines guten<lb/> Gewissens ist. Schon näher an des Lebens Un¬<lb/> verstand dringt die sinnige Betrachtung: Füllt<lb/> jemand die ihm durch Fügung anvertraute<lb/> Stellung nicht aus, so fehlt es ihm entweder<lb/> an Begabung oder an Pflichtgefühl. In ersterem<lb/> Falle ist er entschuldbar, im letzteren ist er eS<lb/> nicht. Demgegenüber bleibt es unbegreiflich,<lb/> wie so viele weit lieber ihren Charakter als<lb/> ihre Fähigkeit angezweifelt sehen. Allerdings,<lb/> allerdings. Wer wenn Hans Taps mich böse<lb/> schilt, schadet es eher ihm als mir; nicht so<lb/> jedoch, wenn er meine Fähigkeiten scheinbar<lb/> mit Grund anzweifelt. Er notiert ferner:<lb/> Die Urteile „Er ist auf idealem wie realem<lb/> Gebiete gleich tüchtig" und: „Seine Leistungen<lb/> entsprechen ganz seinein sittlichen und geistigen<lb/> Werte" sind zweideutig wie ein Delphisches<lb/> Orakel. — Meide die Leute, Hans, die sich<lb/> so ausdrücken l Dafür ist wiederum in einem<lb/> besonders dickvergoldeten Bande neben Gleich¬<lb/> wertigem zu lesen: Wer etwas leisten will und<lb/> an Ideen arm ist, muß diesen Mangel durch<lb/> Fleiß ersetzen. Ebenda: Der Glaube ist der<lb/> vornehmste Grundpfeiler der Wohlfahrt unseres<lb/> Volkes, denn er steht höher als alle Ver¬<lb/> nunft. Die Gesinnung in Ehren, aber ist das<lb/> für einen Grundpfeiler nicht eine allzuhohe<lb/> Stellung? Endlich schulden wir einem ziemlich</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_2722" prev="#ID_2721"> hochsituierten Aphorismendenker den Wahr¬<lb/> spruch: „Möchten doch hohle Schwätzer ihre<lb/> Gedanken ausschließlich auf dem Papier zum<lb/> Ausdruck bringen, da könnte man sich doch<lb/> vor ihnen retten." Es verstärkt nur die Ein¬<lb/> dringlichkeit, daß dieses Axiom das vierhundert-<lb/> siebenzigste unter rund sechshundert ist.</p> <note type="byline"> L. N.</note> </div> <div n="3"> <head> Ein Mustersatz.</head> <p xml:id="ID_2723"> „Die psychologische<lb/> Grundlage, auf der meines Erachtens die<lb/> Abgrenzung von .VorbereitungS'- und .Aus¬<lb/> führung^ - Handlungen ruht, besteht also<lb/> darin, daß wir gezwungen, alle menschlichen<lb/> Tätigkeiten zu ihrer Würdigung unter den<lb/> Gesichtswinkel eines Erfolgs zu rücken, nicht<lb/> vermögen, die in Hinblick auf einen solchen<lb/> hier speziell mit verbrecherischen Charakter<lb/> entwickelten Tätigkeiten in ihrer Beziehung<lb/> auf diesen gleichmäßig mit solcher Unzwei¬<lb/> deutigst zu erkennen, daß wir einen Schluß<lb/> auf seine gerade verbrecherische Qualität und<lb/> damit auf ein ihm zugrunde liegendes ver¬<lb/> brecherisches Motiv wagen dürfen und deshalb<lb/> genötigt, von vornherein zwischen für uns in<lb/> ihrer Beziehung zum Erfolg und damit zu<lb/> einem Motiv unzweideutigen und zweideutigen<lb/> Tätigkeiten zu scheiden, zur Feststellung dieser<lb/> Beziehung den erfahrungsmäßig gewonnenen<lb/> Wert des aus der Tätigkeit selbst erzeugten<lb/> Eindrucks entscheiden lassen." Diese hundert¬<lb/> einundzwanzig vom Verfasser gesperrt ge¬<lb/> druckten Worte findet man in einen Satzband¬<lb/> wurm zusammengedrängt bei Amtsrichter Dr.<lb/> zur. Max Rudolf Senf in seinem neuesten Werke:<lb/> „Das Verbrechen als strafrechtlich - psycho-<lb/> logisches Problem." Hannover, Helwingsche<lb/> Verlagsbuchhandlung. Preis 4,50 M. 1912.<lb/> Seite 100. Wer schreibt einen grammatischen<lb/> Kommentar zu dieser juristischen Psychologie?</p> <note type="byline"> Heinrich Reuß</note> <cb type="end"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0651]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
angelangt. Er meint: Menschen vertragen
gute Behandlung oft weniger als Tiere;
jedenfalls sind Tiere weniger undankbar.
Denn, fügen wir hinzu, man kann alle Tage
auf den Hund, aber nur selten auf den Löwen
kommen. Volle Sympathie gebührt dem
„Aphorismus": Gerechten Vorwürfen, die
von berufener Seite kommen, mit Grobheiten
zu begegnen, ist roh. Armer Taps, hier
hättest du Wohl einmal lieber dem Schmeichler
das Ohr geliehen! Weiter: Unwillkürliches
Singen und Pfeifen, sobald man allein, be¬
kundet wahre Heiterkeit, die ein Lohn eines guten
Gewissens ist. Schon näher an des Lebens Un¬
verstand dringt die sinnige Betrachtung: Füllt
jemand die ihm durch Fügung anvertraute
Stellung nicht aus, so fehlt es ihm entweder
an Begabung oder an Pflichtgefühl. In ersterem
Falle ist er entschuldbar, im letzteren ist er eS
nicht. Demgegenüber bleibt es unbegreiflich,
wie so viele weit lieber ihren Charakter als
ihre Fähigkeit angezweifelt sehen. Allerdings,
allerdings. Wer wenn Hans Taps mich böse
schilt, schadet es eher ihm als mir; nicht so
jedoch, wenn er meine Fähigkeiten scheinbar
mit Grund anzweifelt. Er notiert ferner:
Die Urteile „Er ist auf idealem wie realem
Gebiete gleich tüchtig" und: „Seine Leistungen
entsprechen ganz seinein sittlichen und geistigen
Werte" sind zweideutig wie ein Delphisches
Orakel. — Meide die Leute, Hans, die sich
so ausdrücken l Dafür ist wiederum in einem
besonders dickvergoldeten Bande neben Gleich¬
wertigem zu lesen: Wer etwas leisten will und
an Ideen arm ist, muß diesen Mangel durch
Fleiß ersetzen. Ebenda: Der Glaube ist der
vornehmste Grundpfeiler der Wohlfahrt unseres
Volkes, denn er steht höher als alle Ver¬
nunft. Die Gesinnung in Ehren, aber ist das
für einen Grundpfeiler nicht eine allzuhohe
Stellung? Endlich schulden wir einem ziemlich
hochsituierten Aphorismendenker den Wahr¬
spruch: „Möchten doch hohle Schwätzer ihre
Gedanken ausschließlich auf dem Papier zum
Ausdruck bringen, da könnte man sich doch
vor ihnen retten." Es verstärkt nur die Ein¬
dringlichkeit, daß dieses Axiom das vierhundert-
siebenzigste unter rund sechshundert ist.
L. N. Ein Mustersatz. „Die psychologische
Grundlage, auf der meines Erachtens die
Abgrenzung von .VorbereitungS'- und .Aus¬
führung^ - Handlungen ruht, besteht also
darin, daß wir gezwungen, alle menschlichen
Tätigkeiten zu ihrer Würdigung unter den
Gesichtswinkel eines Erfolgs zu rücken, nicht
vermögen, die in Hinblick auf einen solchen
hier speziell mit verbrecherischen Charakter
entwickelten Tätigkeiten in ihrer Beziehung
auf diesen gleichmäßig mit solcher Unzwei¬
deutigst zu erkennen, daß wir einen Schluß
auf seine gerade verbrecherische Qualität und
damit auf ein ihm zugrunde liegendes ver¬
brecherisches Motiv wagen dürfen und deshalb
genötigt, von vornherein zwischen für uns in
ihrer Beziehung zum Erfolg und damit zu
einem Motiv unzweideutigen und zweideutigen
Tätigkeiten zu scheiden, zur Feststellung dieser
Beziehung den erfahrungsmäßig gewonnenen
Wert des aus der Tätigkeit selbst erzeugten
Eindrucks entscheiden lassen." Diese hundert¬
einundzwanzig vom Verfasser gesperrt ge¬
druckten Worte findet man in einen Satzband¬
wurm zusammengedrängt bei Amtsrichter Dr.
zur. Max Rudolf Senf in seinem neuesten Werke:
„Das Verbrechen als strafrechtlich - psycho-
logisches Problem." Hannover, Helwingsche
Verlagsbuchhandlung. Preis 4,50 M. 1912.
Seite 100. Wer schreibt einen grammatischen
Kommentar zu dieser juristischen Psychologie?
Heinrich Reuß
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