Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Versehen unterläuft! die Art, wie Kretzschmar In dem vorliegenden Werke tritt dies be¬ Der erste große Förderer des deutschen Deutschland gegen Ende des Dreißigjährigen Die Liedkomposition des achtzehnten Jahr¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] Versehen unterläuft! die Art, wie Kretzschmar In dem vorliegenden Werke tritt dies be¬ Der erste große Förderer des deutschen Deutschland gegen Ende des Dreißigjährigen Die Liedkomposition des achtzehnten Jahr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0648" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321733"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_2706" prev="#ID_2705"> Versehen unterläuft! die Art, wie Kretzschmar<lb/> seineThemata behandelt, sichert seinen Schriften<lb/> schon allein eine hohe und bleibende Be¬<lb/> deutung.</p> <p xml:id="ID_2707"> In dem vorliegenden Werke tritt dies be¬<lb/> sonders zutage. Eine Geschichte des neuen<lb/> deutschen Liedes scheint zunächst auf allgemeines<lb/> Interesse wenig Anspruch zu haben, zumal wenn<lb/> wie hier die Notenbeispiele bis aufs äußerste<lb/> beschränkt sind. DaS Lied, könnte man meinen,<lb/> nimmt wegen seiner, im Verhältnis zu den<lb/> anderen musikalischen Gattungen sehr kleinen<lb/> und beschränkten Form, in der Musikgeschichte<lb/> eine ziemlich untergeordnete Stellung ein, da<lb/> bei ihm von historischer Entwicklung sowie<lb/> prägnanten Stilperioden Wohl nur in beschei¬<lb/> densten! Maße die Rede sein kann. Kretzschmar<lb/> weist nun sehr anschaulich nach, daß dem keines¬<lb/> wegs so ist. Wie er schon bei früherer Ge¬<lb/> legenheit immer wieder betont hat, daß das<lb/> Lied als die ursprünglichste und volkstüm¬<lb/> lichste musikalische Form eine ganz besondere<lb/> praktische und auch wissenschaftliche Pflege er¬<lb/> fordere, so nennt er es auch zu Anfang dieses<lb/> Buches „den Hauptkanal, durch den höhere<lb/> Kunst ins Volk fließt" und macht „eine Ge¬<lb/> neration, die in hochmütiger Beschränktheit<lb/> drauf und dran ist, Musik mit .Konzert zu<lb/> identifizieren," an einer späteren Stelle ein¬<lb/> dringlich auf die Meisterschaft aufmerksam, die<lb/> auch das einfachste Lied enthalten kann.</p> <p xml:id="ID_2708" next="#ID_2709"> Der erste große Förderer des deutschen<lb/> begleiteten Svloliedes findet sich in Heinrich<lb/> Schütz, der auch der Schöpfer des deutschen<lb/> geistlichen Konzertes und der deutschen Oper<lb/> ist. Dessen Neffen Heinrich Albert verdankt<lb/> das Lied seine feste Stellung, die es nun schon<lb/> fast dreihundert Jahre in der deutschen Kunst<lb/> behauptet. Bei etlichen Liedern Alberts zeigt<lb/> sich ein deutlicher Einfluß der polnischen Tanz¬<lb/> weise, die auch später neben dem französischen<lb/> Tanzlied wiederholt auf das deutsche Lied<lb/> einwirkte. Die verschiedenen Lösungsversuche<lb/> der Frage, ob dieses unbedingt volkstümlich<lb/> bleiben oder ob es mit der Entwicklung der<lb/> höheren Kunst Schritt halten solle, geben der<lb/> Liedkomposition des siebzehnten Jahrhunderts<lb/> ein bewegtes Aussehen. Daß die in Text und<lb/> Musik nach möglichster Einfachheit strebenden<lb/> Liedersammlungen Johann Rists große Ver¬<lb/> breitung fanden, ist „für das Kulturbild, das</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_2709" prev="#ID_2708"> Deutschland gegen Ende des Dreißigjährigen<lb/> Krieges bot, wichtig und günstig". Diese<lb/> Lieder enthalten vielfach getreue Schilderungen<lb/> des damaligen Volkslebens, so daß, „wer nach<lb/> älteren Beiträgen zur Dorfgeschichte sucht, fortan<lb/> die Hamburger Liedersammlungen nicht bei¬<lb/> seite lassen darf." In einigen dieser Samm¬<lb/> lungen trifft man „denselben Geist, der die<lb/> Kirmesbilder derTenierS, Brouwer und Ostade<lb/> belebt". Gegenüber den Hamburgern strebt<lb/> die sächsische Liederschule eine höhere Kunst<lb/> im Liede an. Einer ihrer besten Vertreter,<lb/> Christian Dedekind, erinnert in der Stimmung<lb/> seiner Lieder an Brahms und an Schubert,<lb/> Für die Beliebtheit des Liedes in der zweiten<lb/> Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts spricht<lb/> der Umstand, daß es gern als Einlage in<lb/> Moderomanen verwendet wurde. Am Aus¬<lb/> gang des Jahrhunderts erlebte das deutsche<lb/> Lied einen jähen Niedergang, der es schlie߬<lb/> lich in Vergessenheit geraten ließ. „Auch dieser<lb/> Fall beweist wieder, daß Kunstgeschichte nicht<lb/> bloß ein Segen, sondern eine ccmclitio sine<lb/> ama non für die Künste ist." Anläßlich der<lb/> Besprechung der Kompositionen von Karl Zelter,<lb/> „dem Bater einer neuen, freien und großen<lb/> Liedkunst," führt Kretzschmar auch den Positiven<lb/> Beweis, daß die Praktische Verwertung der<lb/> Musikgeschichte der schaffenden Kunst schon zu<lb/> wirklichem Heile verholfen hat.</p> <p xml:id="ID_2710" next="#ID_2711"> Die Liedkomposition des achtzehnten Jahr¬<lb/> hunderts wird im allgemeinen mehr als die<lb/> des vorausgegangenen durch einzelne Dichter<lb/> beeinflußt; vor allem durch Günther, durch<lb/> Gottsched und durch Friedrich von Hagedorn.<lb/> Auf musikalischen Gebiete hat es neben Joh.<lb/> Ernst Bach, dem Vater der musikalischen<lb/> Ballade, Joh. Adam Hiller, dem Schöpfer<lb/> des deutschen Singspieles, und manchen an¬<lb/> deren Wohl das meiste Joh. Abraham Peter<lb/> Schulz zu verdanken. Er ist der Haupt-<lb/> repräsentant der Berliner Schule, der wich¬<lb/> tigsten dieses Jahrhunderts, deren Programm,<lb/> ähnlich dem der Hamburger, möglichsteKnapp-<lb/> heit und Gemeinverständlichkeit in der Melodie<lb/> verlangt. Schulz gesellte noch die Forderung<lb/> nach künstlerisch wertvollen Texten dazu. Neben<lb/> ihm steht Joh. Friedrich Reichardt, „der erste<lb/> große Goethekomponist und der geistig bedeut¬<lb/> samste Kopf in der Endzeit der Berliner Schule,<lb/> dessen Reformen der Ausgangspunkt für die</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0648]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Versehen unterläuft! die Art, wie Kretzschmar
seineThemata behandelt, sichert seinen Schriften
schon allein eine hohe und bleibende Be¬
deutung.
In dem vorliegenden Werke tritt dies be¬
sonders zutage. Eine Geschichte des neuen
deutschen Liedes scheint zunächst auf allgemeines
Interesse wenig Anspruch zu haben, zumal wenn
wie hier die Notenbeispiele bis aufs äußerste
beschränkt sind. DaS Lied, könnte man meinen,
nimmt wegen seiner, im Verhältnis zu den
anderen musikalischen Gattungen sehr kleinen
und beschränkten Form, in der Musikgeschichte
eine ziemlich untergeordnete Stellung ein, da
bei ihm von historischer Entwicklung sowie
prägnanten Stilperioden Wohl nur in beschei¬
densten! Maße die Rede sein kann. Kretzschmar
weist nun sehr anschaulich nach, daß dem keines¬
wegs so ist. Wie er schon bei früherer Ge¬
legenheit immer wieder betont hat, daß das
Lied als die ursprünglichste und volkstüm¬
lichste musikalische Form eine ganz besondere
praktische und auch wissenschaftliche Pflege er¬
fordere, so nennt er es auch zu Anfang dieses
Buches „den Hauptkanal, durch den höhere
Kunst ins Volk fließt" und macht „eine Ge¬
neration, die in hochmütiger Beschränktheit
drauf und dran ist, Musik mit .Konzert zu
identifizieren," an einer späteren Stelle ein¬
dringlich auf die Meisterschaft aufmerksam, die
auch das einfachste Lied enthalten kann.
Der erste große Förderer des deutschen
begleiteten Svloliedes findet sich in Heinrich
Schütz, der auch der Schöpfer des deutschen
geistlichen Konzertes und der deutschen Oper
ist. Dessen Neffen Heinrich Albert verdankt
das Lied seine feste Stellung, die es nun schon
fast dreihundert Jahre in der deutschen Kunst
behauptet. Bei etlichen Liedern Alberts zeigt
sich ein deutlicher Einfluß der polnischen Tanz¬
weise, die auch später neben dem französischen
Tanzlied wiederholt auf das deutsche Lied
einwirkte. Die verschiedenen Lösungsversuche
der Frage, ob dieses unbedingt volkstümlich
bleiben oder ob es mit der Entwicklung der
höheren Kunst Schritt halten solle, geben der
Liedkomposition des siebzehnten Jahrhunderts
ein bewegtes Aussehen. Daß die in Text und
Musik nach möglichster Einfachheit strebenden
Liedersammlungen Johann Rists große Ver¬
breitung fanden, ist „für das Kulturbild, das
Deutschland gegen Ende des Dreißigjährigen
Krieges bot, wichtig und günstig". Diese
Lieder enthalten vielfach getreue Schilderungen
des damaligen Volkslebens, so daß, „wer nach
älteren Beiträgen zur Dorfgeschichte sucht, fortan
die Hamburger Liedersammlungen nicht bei¬
seite lassen darf." In einigen dieser Samm¬
lungen trifft man „denselben Geist, der die
Kirmesbilder derTenierS, Brouwer und Ostade
belebt". Gegenüber den Hamburgern strebt
die sächsische Liederschule eine höhere Kunst
im Liede an. Einer ihrer besten Vertreter,
Christian Dedekind, erinnert in der Stimmung
seiner Lieder an Brahms und an Schubert,
Für die Beliebtheit des Liedes in der zweiten
Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts spricht
der Umstand, daß es gern als Einlage in
Moderomanen verwendet wurde. Am Aus¬
gang des Jahrhunderts erlebte das deutsche
Lied einen jähen Niedergang, der es schlie߬
lich in Vergessenheit geraten ließ. „Auch dieser
Fall beweist wieder, daß Kunstgeschichte nicht
bloß ein Segen, sondern eine ccmclitio sine
ama non für die Künste ist." Anläßlich der
Besprechung der Kompositionen von Karl Zelter,
„dem Bater einer neuen, freien und großen
Liedkunst," führt Kretzschmar auch den Positiven
Beweis, daß die Praktische Verwertung der
Musikgeschichte der schaffenden Kunst schon zu
wirklichem Heile verholfen hat.
Die Liedkomposition des achtzehnten Jahr¬
hunderts wird im allgemeinen mehr als die
des vorausgegangenen durch einzelne Dichter
beeinflußt; vor allem durch Günther, durch
Gottsched und durch Friedrich von Hagedorn.
Auf musikalischen Gebiete hat es neben Joh.
Ernst Bach, dem Vater der musikalischen
Ballade, Joh. Adam Hiller, dem Schöpfer
des deutschen Singspieles, und manchen an¬
deren Wohl das meiste Joh. Abraham Peter
Schulz zu verdanken. Er ist der Haupt-
repräsentant der Berliner Schule, der wich¬
tigsten dieses Jahrhunderts, deren Programm,
ähnlich dem der Hamburger, möglichsteKnapp-
heit und Gemeinverständlichkeit in der Melodie
verlangt. Schulz gesellte noch die Forderung
nach künstlerisch wertvollen Texten dazu. Neben
ihm steht Joh. Friedrich Reichardt, „der erste
große Goethekomponist und der geistig bedeut¬
samste Kopf in der Endzeit der Berliner Schule,
dessen Reformen der Ausgangspunkt für die
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