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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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grüßten. Nun kommt Ruhla hier mit dem
Nachweis, daß Ostwald, der große deutsche Ge¬
lehrte von Weltruf, mit den Quellen für sein
Buch "Große Männer" in der skrupellosesten
Weise umgegangen ist. Aus dem Leben einiger
großer Männer will Ostwald nachweisen,
daß viel mehr Genies aufwachsen könnten,
wenn sie nicht durch Hemmungen, meistens in
der Schule, in ihrer freien Entwicklung ge¬
hindert würden. Mag man dem Resultate,
daß die Schule eine Geniemörderin sei, zu¬
stimmen oder nicht, mag man die Auswahl der
großen Männer, einige Naturforscher des Jn-
und Auslandes, für glücklich halten oder nicht,
wie konnte ein deutscher Wissenschaftler sich zu
dieser tendenziösen Verarbeitung seiner Quellen
hergeben? Den Nachweis führt Ruhla so straff,
daß kein Zweifel an der Tatsache bleibt, und
es ist nur ein Rätsel und ein beschämendes,
daß mit Ostwalds Resultaten zwei Jahre lang
gegen die Höheren Schulen gearbeitet worden
ist. Angesichts der großen Verdienste Ostwalds
ist es tief zu bedauern, daß er sich um den
Ruf der Unbefangenheit gebracht hat. Aber
der Wahrheit gebührt die Ehre und Ruskn
der volle Dank, daß er in mühevoller Arbeit
den Sachverhalt klargelegt hat .

Wilhelm Victor bringt Positive Vorschläge
für Reformen', die er in richtiger Würdigung
der Neformanstalten in der konsequenten Ver¬
folgung von deren Zielen sieht. Der Unterbau
"uiß zu einer bis Untersekunda reichenden Ein¬
heitsschule erweitert werden. Fremdsprachen
beginnen mit Englisch in Quarta, Französisch
folgt in Obertertia, Latein in Obersekunda,
Griechisch, sofern es nicht ganz verschwinden soll,
fakultativ in Unterprima. Vietors Plan, bei dem
nebenbei eine Verminderung der Stundenzahl
um durchschnittlich fünf auf jeder Stufe, her-
"usspringt, wird hoffentlich eingehend diskutiert
werden. Die Broschüre ist frisch und über¬
zeugend geschrieben: Fortschritt im Einver¬
ständnis mit den Zeichen der Zeit. In dem
Sinne darf also die Schulresorm niemals auf¬
hören: Schulreform und kein Endet

Die Zukunftsschule des Goethelmndes.
Die acht Vorträge der Schulversammlung
des Berliner Goethevnndes liegen nun gedruckt
°"r, und man kann sich in Ruhe überlegen,

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was von diesen leidenschaftlichen Ergüssen
bleibenden Wert hat. Im ganzen gewinnt
man nach Lektüre des Bündchens ("Die
Schule der Zukunft", Berlin - Schöneberg
Hilfe, 1 M) den Eindruck, daß die gereizte
Stimmung, die die Auszüge in einem großen
Teil unserer Oberlehrerpresse erregten, nicht
ganz gerechtfertigt war. Ostwalds Über¬
treibungen und seine Unkenntnis der jetzigen
Schulverhültnisse dürfen uns doch nicht ver¬
hindern, seine zwar kraß ausgedrückten, aber
oft nur allzuwahren Vorwürfe gegen einzelne
Mißstände anzuerkennen. Den schwächsten
Eindruck machen Wilhelm Bölsches redselige
Ausführungen, ziemlich breitgetretene Gemein¬
plätze, bei denen man sich der boshaften Be¬
merkung nicht erwehren kann, ob der Professor,
der Bölsche einst sagte: "Du wirst am Schreiben
zugrunde gehn", doch vielleicht recht gehabt
hat. Trotzdem haben wir nicht das Recht,
die Anregungen, die von außen kommen,
rigoros abzuweisen, weil sie oft in einer für
uns persönlich beleidigenden Form erscheinen;
das ist Schwäche. Wir sollten darüber lachen
und das Gute begierig aufnehmen, wo es zu
finden ist, und hier ist viel Gutes zu finden,
z. B. Alfred Klnnrs Schlußworte: "Wir alle
stimmen in dein Wunsche überein, daß der
neue freie Geist, der schon lange um unsre
Schulen wirbt, mit Hilfe aller vorwärts
strebenden Kräfte sich ihrer bemächtige, daß
in unsren Schulen das Lebendige an Stelle
des Mechanischen, das geistige Können an
Stelle des toten Wissens, daß Liebe und
Vertrauen um Stelle von Furcht und Pein
trete, und daß die Bildung zu freier tüchtiger
Menschlichkeit an die Stelle der Ablichtung
gesetzt werde."

Ganz neu sind die Gedanken nicht;
Rousseau, der vor zweihundert Jahren geboren
Wurde, hat etwa dasselbe gesagt, ähnliches
kann man jeden Ostern in Reden und Erlassen
von Direktoren lesen, aber es ist für die Praxis
durchaus notwendig, daß die allgemeinen
großen Wahrheiten nicht in Vergessenheit ge¬
raten vor dem Kleinkram der täglichen Arbeit,
darum dem Goethebunde herzlichen Dank für
sein Interesse an der Mitarbeit für die Zukunft
Fritz Tychow der Schule.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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grüßten. Nun kommt Ruhla hier mit dem
Nachweis, daß Ostwald, der große deutsche Ge¬
lehrte von Weltruf, mit den Quellen für sein
Buch „Große Männer" in der skrupellosesten
Weise umgegangen ist. Aus dem Leben einiger
großer Männer will Ostwald nachweisen,
daß viel mehr Genies aufwachsen könnten,
wenn sie nicht durch Hemmungen, meistens in
der Schule, in ihrer freien Entwicklung ge¬
hindert würden. Mag man dem Resultate,
daß die Schule eine Geniemörderin sei, zu¬
stimmen oder nicht, mag man die Auswahl der
großen Männer, einige Naturforscher des Jn-
und Auslandes, für glücklich halten oder nicht,
wie konnte ein deutscher Wissenschaftler sich zu
dieser tendenziösen Verarbeitung seiner Quellen
hergeben? Den Nachweis führt Ruhla so straff,
daß kein Zweifel an der Tatsache bleibt, und
es ist nur ein Rätsel und ein beschämendes,
daß mit Ostwalds Resultaten zwei Jahre lang
gegen die Höheren Schulen gearbeitet worden
ist. Angesichts der großen Verdienste Ostwalds
ist es tief zu bedauern, daß er sich um den
Ruf der Unbefangenheit gebracht hat. Aber
der Wahrheit gebührt die Ehre und Ruskn
der volle Dank, daß er in mühevoller Arbeit
den Sachverhalt klargelegt hat .

Wilhelm Victor bringt Positive Vorschläge
für Reformen', die er in richtiger Würdigung
der Neformanstalten in der konsequenten Ver¬
folgung von deren Zielen sieht. Der Unterbau
"uiß zu einer bis Untersekunda reichenden Ein¬
heitsschule erweitert werden. Fremdsprachen
beginnen mit Englisch in Quarta, Französisch
folgt in Obertertia, Latein in Obersekunda,
Griechisch, sofern es nicht ganz verschwinden soll,
fakultativ in Unterprima. Vietors Plan, bei dem
nebenbei eine Verminderung der Stundenzahl
um durchschnittlich fünf auf jeder Stufe, her-
"usspringt, wird hoffentlich eingehend diskutiert
werden. Die Broschüre ist frisch und über¬
zeugend geschrieben: Fortschritt im Einver¬
ständnis mit den Zeichen der Zeit. In dem
Sinne darf also die Schulresorm niemals auf¬
hören: Schulreform und kein Endet

Die Zukunftsschule des Goethelmndes.
Die acht Vorträge der Schulversammlung
des Berliner Goethevnndes liegen nun gedruckt
°"r, und man kann sich in Ruhe überlegen,

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was von diesen leidenschaftlichen Ergüssen
bleibenden Wert hat. Im ganzen gewinnt
man nach Lektüre des Bündchens („Die
Schule der Zukunft", Berlin - Schöneberg
Hilfe, 1 M) den Eindruck, daß die gereizte
Stimmung, die die Auszüge in einem großen
Teil unserer Oberlehrerpresse erregten, nicht
ganz gerechtfertigt war. Ostwalds Über¬
treibungen und seine Unkenntnis der jetzigen
Schulverhültnisse dürfen uns doch nicht ver¬
hindern, seine zwar kraß ausgedrückten, aber
oft nur allzuwahren Vorwürfe gegen einzelne
Mißstände anzuerkennen. Den schwächsten
Eindruck machen Wilhelm Bölsches redselige
Ausführungen, ziemlich breitgetretene Gemein¬
plätze, bei denen man sich der boshaften Be¬
merkung nicht erwehren kann, ob der Professor,
der Bölsche einst sagte: „Du wirst am Schreiben
zugrunde gehn", doch vielleicht recht gehabt
hat. Trotzdem haben wir nicht das Recht,
die Anregungen, die von außen kommen,
rigoros abzuweisen, weil sie oft in einer für
uns persönlich beleidigenden Form erscheinen;
das ist Schwäche. Wir sollten darüber lachen
und das Gute begierig aufnehmen, wo es zu
finden ist, und hier ist viel Gutes zu finden,
z. B. Alfred Klnnrs Schlußworte: „Wir alle
stimmen in dein Wunsche überein, daß der
neue freie Geist, der schon lange um unsre
Schulen wirbt, mit Hilfe aller vorwärts
strebenden Kräfte sich ihrer bemächtige, daß
in unsren Schulen das Lebendige an Stelle
des Mechanischen, das geistige Können an
Stelle des toten Wissens, daß Liebe und
Vertrauen um Stelle von Furcht und Pein
trete, und daß die Bildung zu freier tüchtiger
Menschlichkeit an die Stelle der Ablichtung
gesetzt werde."

Ganz neu sind die Gedanken nicht;
Rousseau, der vor zweihundert Jahren geboren
Wurde, hat etwa dasselbe gesagt, ähnliches
kann man jeden Ostern in Reden und Erlassen
von Direktoren lesen, aber es ist für die Praxis
durchaus notwendig, daß die allgemeinen
großen Wahrheiten nicht in Vergessenheit ge¬
raten vor dem Kleinkram der täglichen Arbeit,
darum dem Goethebunde herzlichen Dank für
sein Interesse an der Mitarbeit für die Zukunft
Fritz Tychow der Schule.

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[0503] Maßgebliches und Unmaßgebliches grüßten. Nun kommt Ruhla hier mit dem Nachweis, daß Ostwald, der große deutsche Ge¬ lehrte von Weltruf, mit den Quellen für sein Buch „Große Männer" in der skrupellosesten Weise umgegangen ist. Aus dem Leben einiger großer Männer will Ostwald nachweisen, daß viel mehr Genies aufwachsen könnten, wenn sie nicht durch Hemmungen, meistens in der Schule, in ihrer freien Entwicklung ge¬ hindert würden. Mag man dem Resultate, daß die Schule eine Geniemörderin sei, zu¬ stimmen oder nicht, mag man die Auswahl der großen Männer, einige Naturforscher des Jn- und Auslandes, für glücklich halten oder nicht, wie konnte ein deutscher Wissenschaftler sich zu dieser tendenziösen Verarbeitung seiner Quellen hergeben? Den Nachweis führt Ruhla so straff, daß kein Zweifel an der Tatsache bleibt, und es ist nur ein Rätsel und ein beschämendes, daß mit Ostwalds Resultaten zwei Jahre lang gegen die Höheren Schulen gearbeitet worden ist. Angesichts der großen Verdienste Ostwalds ist es tief zu bedauern, daß er sich um den Ruf der Unbefangenheit gebracht hat. Aber der Wahrheit gebührt die Ehre und Ruskn der volle Dank, daß er in mühevoller Arbeit den Sachverhalt klargelegt hat . Wilhelm Victor bringt Positive Vorschläge für Reformen', die er in richtiger Würdigung der Neformanstalten in der konsequenten Ver¬ folgung von deren Zielen sieht. Der Unterbau "uiß zu einer bis Untersekunda reichenden Ein¬ heitsschule erweitert werden. Fremdsprachen beginnen mit Englisch in Quarta, Französisch folgt in Obertertia, Latein in Obersekunda, Griechisch, sofern es nicht ganz verschwinden soll, fakultativ in Unterprima. Vietors Plan, bei dem nebenbei eine Verminderung der Stundenzahl um durchschnittlich fünf auf jeder Stufe, her- "usspringt, wird hoffentlich eingehend diskutiert werden. Die Broschüre ist frisch und über¬ zeugend geschrieben: Fortschritt im Einver¬ ständnis mit den Zeichen der Zeit. In dem Sinne darf also die Schulresorm niemals auf¬ hören: Schulreform und kein Endet Die Zukunftsschule des Goethelmndes. Die acht Vorträge der Schulversammlung des Berliner Goethevnndes liegen nun gedruckt °"r, und man kann sich in Ruhe überlegen, was von diesen leidenschaftlichen Ergüssen bleibenden Wert hat. Im ganzen gewinnt man nach Lektüre des Bündchens („Die Schule der Zukunft", Berlin - Schöneberg Hilfe, 1 M) den Eindruck, daß die gereizte Stimmung, die die Auszüge in einem großen Teil unserer Oberlehrerpresse erregten, nicht ganz gerechtfertigt war. Ostwalds Über¬ treibungen und seine Unkenntnis der jetzigen Schulverhültnisse dürfen uns doch nicht ver¬ hindern, seine zwar kraß ausgedrückten, aber oft nur allzuwahren Vorwürfe gegen einzelne Mißstände anzuerkennen. Den schwächsten Eindruck machen Wilhelm Bölsches redselige Ausführungen, ziemlich breitgetretene Gemein¬ plätze, bei denen man sich der boshaften Be¬ merkung nicht erwehren kann, ob der Professor, der Bölsche einst sagte: „Du wirst am Schreiben zugrunde gehn", doch vielleicht recht gehabt hat. Trotzdem haben wir nicht das Recht, die Anregungen, die von außen kommen, rigoros abzuweisen, weil sie oft in einer für uns persönlich beleidigenden Form erscheinen; das ist Schwäche. Wir sollten darüber lachen und das Gute begierig aufnehmen, wo es zu finden ist, und hier ist viel Gutes zu finden, z. B. Alfred Klnnrs Schlußworte: „Wir alle stimmen in dein Wunsche überein, daß der neue freie Geist, der schon lange um unsre Schulen wirbt, mit Hilfe aller vorwärts strebenden Kräfte sich ihrer bemächtige, daß in unsren Schulen das Lebendige an Stelle des Mechanischen, das geistige Können an Stelle des toten Wissens, daß Liebe und Vertrauen um Stelle von Furcht und Pein trete, und daß die Bildung zu freier tüchtiger Menschlichkeit an die Stelle der Ablichtung gesetzt werde." Ganz neu sind die Gedanken nicht; Rousseau, der vor zweihundert Jahren geboren Wurde, hat etwa dasselbe gesagt, ähnliches kann man jeden Ostern in Reden und Erlassen von Direktoren lesen, aber es ist für die Praxis durchaus notwendig, daß die allgemeinen großen Wahrheiten nicht in Vergessenheit ge¬ raten vor dem Kleinkram der täglichen Arbeit, darum dem Goethebunde herzlichen Dank für sein Interesse an der Mitarbeit für die Zukunft Fritz Tychow der Schule.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/503>, abgerufen am 26.06.2024.