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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Zur Dardanellenfrage

zur Folge, daß dieser aus einem türkischen Binnensee und mare clausum zu
einem Teil des Weltmeeres und zu einem mare liberum wurde. Damit wurde
dem Handel der damaligen Zeit, so beschränkt er auch im Verhältnis zu dem
heutigen sein mochte, ein Gebiet erschlossen, das Schätze barg und dessen Reichtum,
namentlich an Naturalien, auf seine zukünftige große wirtschaftliche Bedeutung
schließen ließ. Die Voraussetzung für einen umfangreichen Handelsverkehr von
und nach dem Schwarzen Meere war jedoch die freie Durchfahrt durch die
Dardanellen und den Bosporus, zu denen die Türkei die Schlüssel verwahrte.
Mit Recht berief sich Nußland auf das seit den Tagen Hugo Groots anerkannte
Prinzip der Freiheit des Meeres und forderte für seine Schiffahrt ungehinderten
Verkehr durch die einzige zum Pontus führende Seestraße. Es ist verständlich,
wenn die Türkei nur widerstrebend und ungern zunächst Rußland (1774), in
der Folge dann auch Österreich, Frankreich, England usw. die freie Schiffahrt
durch die Dardanellen zugestand. Es blieb ihr jedoch wohl oder übel nichts
anderes übrig; sie machte jedoch von vornherein zum Schutze ihrer vitalsten
Interessen und ihrer Hauptstadt den Vorbehalt, daß allen nicht türkischen Kriegs¬
schiffen (mit Einschluß der russischen) die Einfahrt in die Dardanellen und der
Aufenthalt in ihnen verwehrt sein solle. Mit diesem Vorbehalt drang die Türkei
zunächst Rußland, in der Folge aber auch den übrigen Mächten gegenüber durch.
Allerdings hat England diesen Grundsatz nicht ohne weiteres akzeptiert, sondern
ließ in dem russisch-türkischen Kriege von 1807 seine Flotte unter Thomas
Duckworth in die Dardanellen einlaufen, um mit der Drohung, es. werde
Konstantinopel beschießen, die Türken einem Friedensschluß mit den Russen
geneigt zu machen. Die Furcht, im Marmarameer eingeschlossen zu werden,
veranlaßte Duckworth jedoch nach kurzer Zeit, sich und seine Flotte durch einen
schleunigen Rückzug in Sicherheit zu bringen. Allein zwei Jahre später, in dem
türkisch-englischen Vertrage von 1809, erkannte auch England das Recht der
Türkei an, den Bosporus und die Dardanellen allen nichttürkischen Kriegsschiffen
zu verschließen.

Die Vorgänge der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts führten dann
zur ersten internationalen Regelung der Dardanellenfrage. Mehemed Ali,
türkischer Vizekönig in Ägypten, erhob sich 1831 gegen den Sultan, besetzte in
kurzer Zeit Syrien und drohte, sich Kleinasien zu unterwerfen. Von ihren Freunden
verlassen, sah die Türkei aus ihrer Notlage keinen anderen Weg, als sich in die
Arme ihres alten Erbfeindes zu werfen. Nußland zögerte nicht, der Türkei seinen
diplomatischen Schutz zu leihen und ließ außerdem am 20. Februar 1833 trotz
des Protestes des französischen Gesandten in Konstantinopel seine Flotte in den
Bosporus einlaufen. Die Vorgänge führten zu dem russisch-türkischen Schutz-
und Trutzbündnis von Hunkiar-Skalessi (26. Mai / 8. Juli 1833), in dem
Rußland gegen die Pflicht der Hilfeleistung das Recht eintauschte, mit seiner
Flotte in den Bosporus und die Dardanellen einzulaufen. In einem geheimen
Zusatz verzichtete Rußland seinerseits auf etwaige Hilfeleistung durch die Türkei,


Zur Dardanellenfrage

zur Folge, daß dieser aus einem türkischen Binnensee und mare clausum zu
einem Teil des Weltmeeres und zu einem mare liberum wurde. Damit wurde
dem Handel der damaligen Zeit, so beschränkt er auch im Verhältnis zu dem
heutigen sein mochte, ein Gebiet erschlossen, das Schätze barg und dessen Reichtum,
namentlich an Naturalien, auf seine zukünftige große wirtschaftliche Bedeutung
schließen ließ. Die Voraussetzung für einen umfangreichen Handelsverkehr von
und nach dem Schwarzen Meere war jedoch die freie Durchfahrt durch die
Dardanellen und den Bosporus, zu denen die Türkei die Schlüssel verwahrte.
Mit Recht berief sich Nußland auf das seit den Tagen Hugo Groots anerkannte
Prinzip der Freiheit des Meeres und forderte für seine Schiffahrt ungehinderten
Verkehr durch die einzige zum Pontus führende Seestraße. Es ist verständlich,
wenn die Türkei nur widerstrebend und ungern zunächst Rußland (1774), in
der Folge dann auch Österreich, Frankreich, England usw. die freie Schiffahrt
durch die Dardanellen zugestand. Es blieb ihr jedoch wohl oder übel nichts
anderes übrig; sie machte jedoch von vornherein zum Schutze ihrer vitalsten
Interessen und ihrer Hauptstadt den Vorbehalt, daß allen nicht türkischen Kriegs¬
schiffen (mit Einschluß der russischen) die Einfahrt in die Dardanellen und der
Aufenthalt in ihnen verwehrt sein solle. Mit diesem Vorbehalt drang die Türkei
zunächst Rußland, in der Folge aber auch den übrigen Mächten gegenüber durch.
Allerdings hat England diesen Grundsatz nicht ohne weiteres akzeptiert, sondern
ließ in dem russisch-türkischen Kriege von 1807 seine Flotte unter Thomas
Duckworth in die Dardanellen einlaufen, um mit der Drohung, es. werde
Konstantinopel beschießen, die Türken einem Friedensschluß mit den Russen
geneigt zu machen. Die Furcht, im Marmarameer eingeschlossen zu werden,
veranlaßte Duckworth jedoch nach kurzer Zeit, sich und seine Flotte durch einen
schleunigen Rückzug in Sicherheit zu bringen. Allein zwei Jahre später, in dem
türkisch-englischen Vertrage von 1809, erkannte auch England das Recht der
Türkei an, den Bosporus und die Dardanellen allen nichttürkischen Kriegsschiffen
zu verschließen.

Die Vorgänge der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts führten dann
zur ersten internationalen Regelung der Dardanellenfrage. Mehemed Ali,
türkischer Vizekönig in Ägypten, erhob sich 1831 gegen den Sultan, besetzte in
kurzer Zeit Syrien und drohte, sich Kleinasien zu unterwerfen. Von ihren Freunden
verlassen, sah die Türkei aus ihrer Notlage keinen anderen Weg, als sich in die
Arme ihres alten Erbfeindes zu werfen. Nußland zögerte nicht, der Türkei seinen
diplomatischen Schutz zu leihen und ließ außerdem am 20. Februar 1833 trotz
des Protestes des französischen Gesandten in Konstantinopel seine Flotte in den
Bosporus einlaufen. Die Vorgänge führten zu dem russisch-türkischen Schutz-
und Trutzbündnis von Hunkiar-Skalessi (26. Mai / 8. Juli 1833), in dem
Rußland gegen die Pflicht der Hilfeleistung das Recht eintauschte, mit seiner
Flotte in den Bosporus und die Dardanellen einzulaufen. In einem geheimen
Zusatz verzichtete Rußland seinerseits auf etwaige Hilfeleistung durch die Türkei,


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[0426] Zur Dardanellenfrage zur Folge, daß dieser aus einem türkischen Binnensee und mare clausum zu einem Teil des Weltmeeres und zu einem mare liberum wurde. Damit wurde dem Handel der damaligen Zeit, so beschränkt er auch im Verhältnis zu dem heutigen sein mochte, ein Gebiet erschlossen, das Schätze barg und dessen Reichtum, namentlich an Naturalien, auf seine zukünftige große wirtschaftliche Bedeutung schließen ließ. Die Voraussetzung für einen umfangreichen Handelsverkehr von und nach dem Schwarzen Meere war jedoch die freie Durchfahrt durch die Dardanellen und den Bosporus, zu denen die Türkei die Schlüssel verwahrte. Mit Recht berief sich Nußland auf das seit den Tagen Hugo Groots anerkannte Prinzip der Freiheit des Meeres und forderte für seine Schiffahrt ungehinderten Verkehr durch die einzige zum Pontus führende Seestraße. Es ist verständlich, wenn die Türkei nur widerstrebend und ungern zunächst Rußland (1774), in der Folge dann auch Österreich, Frankreich, England usw. die freie Schiffahrt durch die Dardanellen zugestand. Es blieb ihr jedoch wohl oder übel nichts anderes übrig; sie machte jedoch von vornherein zum Schutze ihrer vitalsten Interessen und ihrer Hauptstadt den Vorbehalt, daß allen nicht türkischen Kriegs¬ schiffen (mit Einschluß der russischen) die Einfahrt in die Dardanellen und der Aufenthalt in ihnen verwehrt sein solle. Mit diesem Vorbehalt drang die Türkei zunächst Rußland, in der Folge aber auch den übrigen Mächten gegenüber durch. Allerdings hat England diesen Grundsatz nicht ohne weiteres akzeptiert, sondern ließ in dem russisch-türkischen Kriege von 1807 seine Flotte unter Thomas Duckworth in die Dardanellen einlaufen, um mit der Drohung, es. werde Konstantinopel beschießen, die Türken einem Friedensschluß mit den Russen geneigt zu machen. Die Furcht, im Marmarameer eingeschlossen zu werden, veranlaßte Duckworth jedoch nach kurzer Zeit, sich und seine Flotte durch einen schleunigen Rückzug in Sicherheit zu bringen. Allein zwei Jahre später, in dem türkisch-englischen Vertrage von 1809, erkannte auch England das Recht der Türkei an, den Bosporus und die Dardanellen allen nichttürkischen Kriegsschiffen zu verschließen. Die Vorgänge der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts führten dann zur ersten internationalen Regelung der Dardanellenfrage. Mehemed Ali, türkischer Vizekönig in Ägypten, erhob sich 1831 gegen den Sultan, besetzte in kurzer Zeit Syrien und drohte, sich Kleinasien zu unterwerfen. Von ihren Freunden verlassen, sah die Türkei aus ihrer Notlage keinen anderen Weg, als sich in die Arme ihres alten Erbfeindes zu werfen. Nußland zögerte nicht, der Türkei seinen diplomatischen Schutz zu leihen und ließ außerdem am 20. Februar 1833 trotz des Protestes des französischen Gesandten in Konstantinopel seine Flotte in den Bosporus einlaufen. Die Vorgänge führten zu dem russisch-türkischen Schutz- und Trutzbündnis von Hunkiar-Skalessi (26. Mai / 8. Juli 1833), in dem Rußland gegen die Pflicht der Hilfeleistung das Recht eintauschte, mit seiner Flotte in den Bosporus und die Dardanellen einzulaufen. In einem geheimen Zusatz verzichtete Rußland seinerseits auf etwaige Hilfeleistung durch die Türkei,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/426>, abgerufen am 22.07.2024.