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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Der ZVicsenzcrun

Indessen aber floh der Blinde, als das Asylrecht der Brüder Augustiner
abgelaufen war, in einer stürmisch dunklen Nacht zu den Karthäusermönchen,
die ihm nicht minder gastlichen Schutz gewährten. Dort sang der Jörg den
Vätern zum Dank gar manches geistliche Reuelied und wohl auch hin und wider
ein Sprüchlein voll lieblich prickelnder Wirklichkeit, so daß sich die würdige
Brüderschaft beim hohen Rat für ihn verwandte, der ihn wahrhaftig für ein
volles Jahr von aller Verfolgung lossprach.

So ward ihm reichlich Lohn für seine Kunst und genügend Verzeihung für
seine wilde Menschlichkeit.--

Es war am Tage als ihm die Botschaft seiner Sicherung überbracht wurde,
da ließ sich Jörg in aller Eile aus dem Kloster führen und hastete den Sehn¬
suchtsweg zu seinem Kind Felicitas.

Er wußte wohl, was mit Felicitas seit jener Unglücksnacht sich zugetragen,
denn sie hatte ihm Boten ins Kloster gesandt, die ihm alles berichteten.

Felicitas war in jener Nacht, nachdem sie den Vater ins Kloster gerettet
hatte, in Eile nach Hause zurückgekehrt, in bitterer Angst vor dem Weib des
Unfug und seinen Leuten.

Doch eh' sie noch zum Tor gekommen, vertrat ihr einer im Dunkel den
Weg und sagte, demütig bittend: "Ihr dürft nun nit nach Haus, Felicitas.
Man ist Euch dort nit gut gesinnt."

Da erkannte die Erschrockene den jungen Scherlin, der ihr hastig erzählte,
er habe sie hier erwartet und wolle sie nun zu seiner Mutter führen, die sie
schützen und pflegen werde wie ihr eigen Kind.

Felicitas schwieg eine Weile betroffen still. Wie gut und hilfreich sprach
dieser Mensch zu ihr, an den sie nie ein freundliches Wort verschwendet hatte.
Inmitten ihrer Not und Schmerzensmüdigkeit erfüllte sie die Hilfsbereitschaft des
guten Jungen mit wunderlicher Rührung.

"So will ich mit Euch geh'n, denn Ihr meint es gut," sagte sie dann
und ließ sich von ihm führen. Sie war unsäglich müde und wäre jedermann
gefolgt, der ihr ein Stündchen Ruhe verheißen hätte.

So kam Felicitas in das Haus der Witwe Scherlin, die wohl wußte, wie
es ums Herz ihres Jungen stand. Sie nahm daher die schöne, seltsamfeine
Jungfrau mit zärtlich scheuer Sorgfalt bei sich auf, als wäre sie ein flüchtiges
Prinzeßlein und nicht eines argverfemten Bänkelsängers Kind.

Felicitas aber lag bereits am nächsten Morgen in argen Fieberträumen
darnieder, und es ward von Tag zu Tag immer schlimmer mit ihr.

Der Scherlin saß an ihrem Lager und streichelte ihr die heißen Hände und
wollte mit dem Schicksal ringen um sein Glück.

Im Fieber sprach Felicitas von wunderlichen Dingen. Sie meinte, sie sei
die Jungfrau Maria auf himmlischem Thron und gebot den Engeln zur Rechten
und jenen zur Linken und hieß sie Körbe mit köstlichen Früchten und paradiesisch


Der ZVicsenzcrun

Indessen aber floh der Blinde, als das Asylrecht der Brüder Augustiner
abgelaufen war, in einer stürmisch dunklen Nacht zu den Karthäusermönchen,
die ihm nicht minder gastlichen Schutz gewährten. Dort sang der Jörg den
Vätern zum Dank gar manches geistliche Reuelied und wohl auch hin und wider
ein Sprüchlein voll lieblich prickelnder Wirklichkeit, so daß sich die würdige
Brüderschaft beim hohen Rat für ihn verwandte, der ihn wahrhaftig für ein
volles Jahr von aller Verfolgung lossprach.

So ward ihm reichlich Lohn für seine Kunst und genügend Verzeihung für
seine wilde Menschlichkeit.--

Es war am Tage als ihm die Botschaft seiner Sicherung überbracht wurde,
da ließ sich Jörg in aller Eile aus dem Kloster führen und hastete den Sehn¬
suchtsweg zu seinem Kind Felicitas.

Er wußte wohl, was mit Felicitas seit jener Unglücksnacht sich zugetragen,
denn sie hatte ihm Boten ins Kloster gesandt, die ihm alles berichteten.

Felicitas war in jener Nacht, nachdem sie den Vater ins Kloster gerettet
hatte, in Eile nach Hause zurückgekehrt, in bitterer Angst vor dem Weib des
Unfug und seinen Leuten.

Doch eh' sie noch zum Tor gekommen, vertrat ihr einer im Dunkel den
Weg und sagte, demütig bittend: „Ihr dürft nun nit nach Haus, Felicitas.
Man ist Euch dort nit gut gesinnt."

Da erkannte die Erschrockene den jungen Scherlin, der ihr hastig erzählte,
er habe sie hier erwartet und wolle sie nun zu seiner Mutter führen, die sie
schützen und pflegen werde wie ihr eigen Kind.

Felicitas schwieg eine Weile betroffen still. Wie gut und hilfreich sprach
dieser Mensch zu ihr, an den sie nie ein freundliches Wort verschwendet hatte.
Inmitten ihrer Not und Schmerzensmüdigkeit erfüllte sie die Hilfsbereitschaft des
guten Jungen mit wunderlicher Rührung.

„So will ich mit Euch geh'n, denn Ihr meint es gut," sagte sie dann
und ließ sich von ihm führen. Sie war unsäglich müde und wäre jedermann
gefolgt, der ihr ein Stündchen Ruhe verheißen hätte.

So kam Felicitas in das Haus der Witwe Scherlin, die wohl wußte, wie
es ums Herz ihres Jungen stand. Sie nahm daher die schöne, seltsamfeine
Jungfrau mit zärtlich scheuer Sorgfalt bei sich auf, als wäre sie ein flüchtiges
Prinzeßlein und nicht eines argverfemten Bänkelsängers Kind.

Felicitas aber lag bereits am nächsten Morgen in argen Fieberträumen
darnieder, und es ward von Tag zu Tag immer schlimmer mit ihr.

Der Scherlin saß an ihrem Lager und streichelte ihr die heißen Hände und
wollte mit dem Schicksal ringen um sein Glück.

Im Fieber sprach Felicitas von wunderlichen Dingen. Sie meinte, sie sei
die Jungfrau Maria auf himmlischem Thron und gebot den Engeln zur Rechten
und jenen zur Linken und hieß sie Körbe mit köstlichen Früchten und paradiesisch


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[0399] Der ZVicsenzcrun Indessen aber floh der Blinde, als das Asylrecht der Brüder Augustiner abgelaufen war, in einer stürmisch dunklen Nacht zu den Karthäusermönchen, die ihm nicht minder gastlichen Schutz gewährten. Dort sang der Jörg den Vätern zum Dank gar manches geistliche Reuelied und wohl auch hin und wider ein Sprüchlein voll lieblich prickelnder Wirklichkeit, so daß sich die würdige Brüderschaft beim hohen Rat für ihn verwandte, der ihn wahrhaftig für ein volles Jahr von aller Verfolgung lossprach. So ward ihm reichlich Lohn für seine Kunst und genügend Verzeihung für seine wilde Menschlichkeit.-- Es war am Tage als ihm die Botschaft seiner Sicherung überbracht wurde, da ließ sich Jörg in aller Eile aus dem Kloster führen und hastete den Sehn¬ suchtsweg zu seinem Kind Felicitas. Er wußte wohl, was mit Felicitas seit jener Unglücksnacht sich zugetragen, denn sie hatte ihm Boten ins Kloster gesandt, die ihm alles berichteten. Felicitas war in jener Nacht, nachdem sie den Vater ins Kloster gerettet hatte, in Eile nach Hause zurückgekehrt, in bitterer Angst vor dem Weib des Unfug und seinen Leuten. Doch eh' sie noch zum Tor gekommen, vertrat ihr einer im Dunkel den Weg und sagte, demütig bittend: „Ihr dürft nun nit nach Haus, Felicitas. Man ist Euch dort nit gut gesinnt." Da erkannte die Erschrockene den jungen Scherlin, der ihr hastig erzählte, er habe sie hier erwartet und wolle sie nun zu seiner Mutter führen, die sie schützen und pflegen werde wie ihr eigen Kind. Felicitas schwieg eine Weile betroffen still. Wie gut und hilfreich sprach dieser Mensch zu ihr, an den sie nie ein freundliches Wort verschwendet hatte. Inmitten ihrer Not und Schmerzensmüdigkeit erfüllte sie die Hilfsbereitschaft des guten Jungen mit wunderlicher Rührung. „So will ich mit Euch geh'n, denn Ihr meint es gut," sagte sie dann und ließ sich von ihm führen. Sie war unsäglich müde und wäre jedermann gefolgt, der ihr ein Stündchen Ruhe verheißen hätte. So kam Felicitas in das Haus der Witwe Scherlin, die wohl wußte, wie es ums Herz ihres Jungen stand. Sie nahm daher die schöne, seltsamfeine Jungfrau mit zärtlich scheuer Sorgfalt bei sich auf, als wäre sie ein flüchtiges Prinzeßlein und nicht eines argverfemten Bänkelsängers Kind. Felicitas aber lag bereits am nächsten Morgen in argen Fieberträumen darnieder, und es ward von Tag zu Tag immer schlimmer mit ihr. Der Scherlin saß an ihrem Lager und streichelte ihr die heißen Hände und wollte mit dem Schicksal ringen um sein Glück. Im Fieber sprach Felicitas von wunderlichen Dingen. Sie meinte, sie sei die Jungfrau Maria auf himmlischem Thron und gebot den Engeln zur Rechten und jenen zur Linken und hieß sie Körbe mit köstlichen Früchten und paradiesisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/399>, abgerufen am 26.06.2024.