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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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August Strindberg

fühlt sehr wohl, wie dem Dichter beim Schaffen dieser Phantasiegestalt leichter
ums Herz war, als bei den anderen handelnden Personen. Ihr Wesen über¬
mittelt dem Deutschen eine gewaltige Fülle von Ouellenmaterial, dem der Aus¬
länder auch bei seinem außerordentlichen Fleiß kaum gewachsen war; im Faust
des Lutherdramas hingegen schuf Strindberg den Genius des Volkes, das er
liebte und liebend zu verstehen suchte.

Die Deutung der Weltgeschichte in diesen "Historien" ergänzt ein Überblick
der Richtlinien in den religiösen Geschicken der Erde: er ordnet das Christentum
ein als eine Offenbarungsreligion unter den übrigen, die sich in ihren Dogmen
vom höchsten Wesen und der Unsterblichkeit als gleichfalls göttlichen Ursprungs
erweisen. Vieles in den "Historischen Miniaturen" ist von größter dramatischer
Gewalt, anderes nur leicht angedeutet -- gleich den Skizzen der alternden Großen
in der bildenden Kunst, die in flüchtigen Zügen ihren Gedanken wiedergaben
und die Ausführung, zu denen der sieche Leib die Kraft nicht mehr hergab,
dem nachschaffenden Geiste des verständnisvollen Beschauers überließen.

Zuzeiten aber wird es wieder dunkler um den Dichter. Die vor den
"Historischen Miniaturen" erschienenen "Schwarzen Fahnen" bringen wiederum
eine unerquickliche Abrechnung mit einstigen Freunden und Anhängern. Strind¬
berg sagt darüber: "Was ich nicht begreife, ist dies: ob man das Elend ver¬
bergen und den Menschen schmeicheln soll. Ich will heiter und schön schreiben,
darf aber nicht, kann nicht. Fasse es als eine schreckliche Pflicht auf, wahr zu
fein, und das Leben ist unbeschreiblich häßlich." Theosophische Betrachtungen
lösen gegen das Ende dieses Romans die persönlichen Bitterkeiten, die in
Stockholm wiederum das peinlichste Aufsehen erregten. Aber allerlei Spuk¬
gestalten bedrängen ihn auch in seinem dramatischen Schaffen und verkörpern
sich in einigen Gestalten der "Kammerspiele", die schon deutliche Spuren des-
Alterns tragen. Seine letzten Ansichten über Welt und Leben hat Strindberg
in den "Blaubüchern" gegeben. Sie sind Swedenborg gewidmet, "ein Kranz
aufs Grab bei der Heimkehr nach hundertjähriger Ruhe in fremder Erde,"
und der Verfasser nennt sie die "Synthese seines Lebens". Diese letzte Lese
aber zeigt, wie sich auch in Strindbergs Leben das unbewußte Fühlen der
frühen Jugend mit der Erkenntnis des Alters begegnen. Es ist der inbrünstige
Erlösungsglaube des Knaben, der dem Alternden die Kraft gibt, sich wunschlos
an fremdem Glücke zu freuen. Auch die Erleichterung, manches Schwere als
Sühne für vergessene Schuld hinzunehmen, fließt aus dieser Quelle -- ein
Mystischer Strom, so stark und warm und tief, daß im Vergleich mit ihm eitel
erscheint, was dem ringenden Verstände in vergangenen Lebensjahren als köstlich
Gut von Menschenwitz und -fleiß entgegentrat. Die letzte Seite des zweiten
Blaubuches zieht das Fazit: Ein Prophet müßte geboren werden, der dem
Menschen den einfachen Sinn des Lebens in wenig Worten sagt, der doch
schon so gut gesagt ist: "Fürchte Gott und halte seine Gebote," oder: "Bete
und arbeite!"




August Strindberg

fühlt sehr wohl, wie dem Dichter beim Schaffen dieser Phantasiegestalt leichter
ums Herz war, als bei den anderen handelnden Personen. Ihr Wesen über¬
mittelt dem Deutschen eine gewaltige Fülle von Ouellenmaterial, dem der Aus¬
länder auch bei seinem außerordentlichen Fleiß kaum gewachsen war; im Faust
des Lutherdramas hingegen schuf Strindberg den Genius des Volkes, das er
liebte und liebend zu verstehen suchte.

Die Deutung der Weltgeschichte in diesen „Historien" ergänzt ein Überblick
der Richtlinien in den religiösen Geschicken der Erde: er ordnet das Christentum
ein als eine Offenbarungsreligion unter den übrigen, die sich in ihren Dogmen
vom höchsten Wesen und der Unsterblichkeit als gleichfalls göttlichen Ursprungs
erweisen. Vieles in den „Historischen Miniaturen" ist von größter dramatischer
Gewalt, anderes nur leicht angedeutet — gleich den Skizzen der alternden Großen
in der bildenden Kunst, die in flüchtigen Zügen ihren Gedanken wiedergaben
und die Ausführung, zu denen der sieche Leib die Kraft nicht mehr hergab,
dem nachschaffenden Geiste des verständnisvollen Beschauers überließen.

Zuzeiten aber wird es wieder dunkler um den Dichter. Die vor den
„Historischen Miniaturen" erschienenen „Schwarzen Fahnen" bringen wiederum
eine unerquickliche Abrechnung mit einstigen Freunden und Anhängern. Strind¬
berg sagt darüber: „Was ich nicht begreife, ist dies: ob man das Elend ver¬
bergen und den Menschen schmeicheln soll. Ich will heiter und schön schreiben,
darf aber nicht, kann nicht. Fasse es als eine schreckliche Pflicht auf, wahr zu
fein, und das Leben ist unbeschreiblich häßlich." Theosophische Betrachtungen
lösen gegen das Ende dieses Romans die persönlichen Bitterkeiten, die in
Stockholm wiederum das peinlichste Aufsehen erregten. Aber allerlei Spuk¬
gestalten bedrängen ihn auch in seinem dramatischen Schaffen und verkörpern
sich in einigen Gestalten der „Kammerspiele", die schon deutliche Spuren des-
Alterns tragen. Seine letzten Ansichten über Welt und Leben hat Strindberg
in den „Blaubüchern" gegeben. Sie sind Swedenborg gewidmet, „ein Kranz
aufs Grab bei der Heimkehr nach hundertjähriger Ruhe in fremder Erde,"
und der Verfasser nennt sie die „Synthese seines Lebens". Diese letzte Lese
aber zeigt, wie sich auch in Strindbergs Leben das unbewußte Fühlen der
frühen Jugend mit der Erkenntnis des Alters begegnen. Es ist der inbrünstige
Erlösungsglaube des Knaben, der dem Alternden die Kraft gibt, sich wunschlos
an fremdem Glücke zu freuen. Auch die Erleichterung, manches Schwere als
Sühne für vergessene Schuld hinzunehmen, fließt aus dieser Quelle — ein
Mystischer Strom, so stark und warm und tief, daß im Vergleich mit ihm eitel
erscheint, was dem ringenden Verstände in vergangenen Lebensjahren als köstlich
Gut von Menschenwitz und -fleiß entgegentrat. Die letzte Seite des zweiten
Blaubuches zieht das Fazit: Ein Prophet müßte geboren werden, der dem
Menschen den einfachen Sinn des Lebens in wenig Worten sagt, der doch
schon so gut gesagt ist: „Fürchte Gott und halte seine Gebote," oder: „Bete
und arbeite!"




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[0397] August Strindberg fühlt sehr wohl, wie dem Dichter beim Schaffen dieser Phantasiegestalt leichter ums Herz war, als bei den anderen handelnden Personen. Ihr Wesen über¬ mittelt dem Deutschen eine gewaltige Fülle von Ouellenmaterial, dem der Aus¬ länder auch bei seinem außerordentlichen Fleiß kaum gewachsen war; im Faust des Lutherdramas hingegen schuf Strindberg den Genius des Volkes, das er liebte und liebend zu verstehen suchte. Die Deutung der Weltgeschichte in diesen „Historien" ergänzt ein Überblick der Richtlinien in den religiösen Geschicken der Erde: er ordnet das Christentum ein als eine Offenbarungsreligion unter den übrigen, die sich in ihren Dogmen vom höchsten Wesen und der Unsterblichkeit als gleichfalls göttlichen Ursprungs erweisen. Vieles in den „Historischen Miniaturen" ist von größter dramatischer Gewalt, anderes nur leicht angedeutet — gleich den Skizzen der alternden Großen in der bildenden Kunst, die in flüchtigen Zügen ihren Gedanken wiedergaben und die Ausführung, zu denen der sieche Leib die Kraft nicht mehr hergab, dem nachschaffenden Geiste des verständnisvollen Beschauers überließen. Zuzeiten aber wird es wieder dunkler um den Dichter. Die vor den „Historischen Miniaturen" erschienenen „Schwarzen Fahnen" bringen wiederum eine unerquickliche Abrechnung mit einstigen Freunden und Anhängern. Strind¬ berg sagt darüber: „Was ich nicht begreife, ist dies: ob man das Elend ver¬ bergen und den Menschen schmeicheln soll. Ich will heiter und schön schreiben, darf aber nicht, kann nicht. Fasse es als eine schreckliche Pflicht auf, wahr zu fein, und das Leben ist unbeschreiblich häßlich." Theosophische Betrachtungen lösen gegen das Ende dieses Romans die persönlichen Bitterkeiten, die in Stockholm wiederum das peinlichste Aufsehen erregten. Aber allerlei Spuk¬ gestalten bedrängen ihn auch in seinem dramatischen Schaffen und verkörpern sich in einigen Gestalten der „Kammerspiele", die schon deutliche Spuren des- Alterns tragen. Seine letzten Ansichten über Welt und Leben hat Strindberg in den „Blaubüchern" gegeben. Sie sind Swedenborg gewidmet, „ein Kranz aufs Grab bei der Heimkehr nach hundertjähriger Ruhe in fremder Erde," und der Verfasser nennt sie die „Synthese seines Lebens". Diese letzte Lese aber zeigt, wie sich auch in Strindbergs Leben das unbewußte Fühlen der frühen Jugend mit der Erkenntnis des Alters begegnen. Es ist der inbrünstige Erlösungsglaube des Knaben, der dem Alternden die Kraft gibt, sich wunschlos an fremdem Glücke zu freuen. Auch die Erleichterung, manches Schwere als Sühne für vergessene Schuld hinzunehmen, fließt aus dieser Quelle — ein Mystischer Strom, so stark und warm und tief, daß im Vergleich mit ihm eitel erscheint, was dem ringenden Verstände in vergangenen Lebensjahren als köstlich Gut von Menschenwitz und -fleiß entgegentrat. Die letzte Seite des zweiten Blaubuches zieht das Fazit: Ein Prophet müßte geboren werden, der dem Menschen den einfachen Sinn des Lebens in wenig Worten sagt, der doch schon so gut gesagt ist: „Fürchte Gott und halte seine Gebote," oder: „Bete und arbeite!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/397>, abgerufen am 01.07.2024.