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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Von der Gesamtzahl der Auswanderer entfallen etwa 55 Prozent auf
Russen, Österreicher und Ungarn, über 25 Prozent auf Italiener, und mir der
Nest von 20 Prozent auf alle anderen Nationen. Die italienischen Aus¬
wanderer sind meistens sogenannte "Sachsengänger", die im Frühjahre nach
Amerika hinüberfahren und nach der Ernte von da zurückkehren. Für die Aus¬
wanderung über Deutschland kommen hauptsächlich die Auswanderer aus den
östlichen Nachbarstaaten in Betracht. Trotzdem diese aber ganz Deutschland
durchqueren müssen, bedienen sich nicht alle von ihnen deutscher Linien. Ein
großer Prozentsatz wandert über englische Häfen ab, eine weitere große Zahl
über Rotterdam, Antwerpen und Havre.

Wenn es gelingt, davon einen Teil nach Emden zu ziehen, so bleiben die
Transportkosten und der dabei erzielte Gewinn den deutschen Interessenten
erhalten. Die neue Gesellschaft beabsichtigt auch keineswegs eine Unterbietung
der bisherigen Preise herbeizuführen, weil dadurch das eigene Geschäft geschädigt
würde. Es ist vielmehr als sicher anzunehmen, daß die Beförderung der Aus¬
wanderer auf derselben Grundlage erfolgen würde, die bisher bei den anderen
Gesellschaften maßgebend gewesen ist. Eine Verständigung über die Fahrpreise
würde sich auch mit einer neuen Gesellschaft erzielen lassen, in derselben Weise,
wie sie zwischen der Hapag und dem Llond schon stattgefunden hat.

Wird die beantragte Konzession abgelehnt, so wird für die großen Schiffahrts¬
linien in den Hansestädten tatsächlich eine Monopolstellung geschaffen und jede
andere Konkurrenz auf lange Zeit hinaus ausgeschaltet. Die Gefahren und
Nachteile, die mit einem Monopol und Trust verbunden sind, sind zu bekannt,
als daß sie hier nochmals ausführlich geschildert und dargelegt werden müßten.
Überall wird dagegen angekämpft. Entstehen diese Trusts von selbst durch
Zusammenschluß der Interessenten, so wird sich nichts dagegen machen lassen.
Für den Staat liegt aber keine Notwendigkeit vor, diese Bildungen zu unter¬
stützen und durch gesetzliche Maßnahmen einzelnen Gesellschaften ein Monopol
zu verschaffen. Mit der Angabe, daß die Gesellschaft keinen Wettbewerb im
Inlande und keine Verkleinerung ihres Jnteressentengebietes vertrüge, um erfolg¬
reich in der Weltkonkurrenz bestehen zu können, kann schließlich auch jede andere
große Gesellschaft irgend einer anderen Branche auftreten. Im Gegenteil, das
öffentliche Interesse verlangt die Beseitigung aller Vorrechte; nur im freien
Wettbewerb können sich alle vorhandenen Kräfte entfalten und entwickeln.

Es dürfen auch die Gefahren nicht verkannt werden, die in der Vereinigung
so großer Machtmittel in einer Hand liegen. Es wird dadurch eine Gewalt
geschaffen, die selbst für den Staat unbequem werden kann. Schon jetzt machen
sich deren Einflüsse auf vielen Gebieten des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens
bemerkbar. Wenn eine kluge und gewandte Geschäftsführung es bisher erfolg¬
reich verstanden hat, dies wenig in die Erscheinung treten zu lassen und einen
Zusammenstoß mit staatlichen und allgemeinen Interessen klugerweise vermied.er
hat, so ist doch keine Gewähr vorhanden, daß dies für alle Zukunft der Fall


Linden

Von der Gesamtzahl der Auswanderer entfallen etwa 55 Prozent auf
Russen, Österreicher und Ungarn, über 25 Prozent auf Italiener, und mir der
Nest von 20 Prozent auf alle anderen Nationen. Die italienischen Aus¬
wanderer sind meistens sogenannte „Sachsengänger", die im Frühjahre nach
Amerika hinüberfahren und nach der Ernte von da zurückkehren. Für die Aus¬
wanderung über Deutschland kommen hauptsächlich die Auswanderer aus den
östlichen Nachbarstaaten in Betracht. Trotzdem diese aber ganz Deutschland
durchqueren müssen, bedienen sich nicht alle von ihnen deutscher Linien. Ein
großer Prozentsatz wandert über englische Häfen ab, eine weitere große Zahl
über Rotterdam, Antwerpen und Havre.

Wenn es gelingt, davon einen Teil nach Emden zu ziehen, so bleiben die
Transportkosten und der dabei erzielte Gewinn den deutschen Interessenten
erhalten. Die neue Gesellschaft beabsichtigt auch keineswegs eine Unterbietung
der bisherigen Preise herbeizuführen, weil dadurch das eigene Geschäft geschädigt
würde. Es ist vielmehr als sicher anzunehmen, daß die Beförderung der Aus¬
wanderer auf derselben Grundlage erfolgen würde, die bisher bei den anderen
Gesellschaften maßgebend gewesen ist. Eine Verständigung über die Fahrpreise
würde sich auch mit einer neuen Gesellschaft erzielen lassen, in derselben Weise,
wie sie zwischen der Hapag und dem Llond schon stattgefunden hat.

Wird die beantragte Konzession abgelehnt, so wird für die großen Schiffahrts¬
linien in den Hansestädten tatsächlich eine Monopolstellung geschaffen und jede
andere Konkurrenz auf lange Zeit hinaus ausgeschaltet. Die Gefahren und
Nachteile, die mit einem Monopol und Trust verbunden sind, sind zu bekannt,
als daß sie hier nochmals ausführlich geschildert und dargelegt werden müßten.
Überall wird dagegen angekämpft. Entstehen diese Trusts von selbst durch
Zusammenschluß der Interessenten, so wird sich nichts dagegen machen lassen.
Für den Staat liegt aber keine Notwendigkeit vor, diese Bildungen zu unter¬
stützen und durch gesetzliche Maßnahmen einzelnen Gesellschaften ein Monopol
zu verschaffen. Mit der Angabe, daß die Gesellschaft keinen Wettbewerb im
Inlande und keine Verkleinerung ihres Jnteressentengebietes vertrüge, um erfolg¬
reich in der Weltkonkurrenz bestehen zu können, kann schließlich auch jede andere
große Gesellschaft irgend einer anderen Branche auftreten. Im Gegenteil, das
öffentliche Interesse verlangt die Beseitigung aller Vorrechte; nur im freien
Wettbewerb können sich alle vorhandenen Kräfte entfalten und entwickeln.

Es dürfen auch die Gefahren nicht verkannt werden, die in der Vereinigung
so großer Machtmittel in einer Hand liegen. Es wird dadurch eine Gewalt
geschaffen, die selbst für den Staat unbequem werden kann. Schon jetzt machen
sich deren Einflüsse auf vielen Gebieten des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens
bemerkbar. Wenn eine kluge und gewandte Geschäftsführung es bisher erfolg¬
reich verstanden hat, dies wenig in die Erscheinung treten zu lassen und einen
Zusammenstoß mit staatlichen und allgemeinen Interessen klugerweise vermied.er
hat, so ist doch keine Gewähr vorhanden, daß dies für alle Zukunft der Fall


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[0372] Linden Von der Gesamtzahl der Auswanderer entfallen etwa 55 Prozent auf Russen, Österreicher und Ungarn, über 25 Prozent auf Italiener, und mir der Nest von 20 Prozent auf alle anderen Nationen. Die italienischen Aus¬ wanderer sind meistens sogenannte „Sachsengänger", die im Frühjahre nach Amerika hinüberfahren und nach der Ernte von da zurückkehren. Für die Aus¬ wanderung über Deutschland kommen hauptsächlich die Auswanderer aus den östlichen Nachbarstaaten in Betracht. Trotzdem diese aber ganz Deutschland durchqueren müssen, bedienen sich nicht alle von ihnen deutscher Linien. Ein großer Prozentsatz wandert über englische Häfen ab, eine weitere große Zahl über Rotterdam, Antwerpen und Havre. Wenn es gelingt, davon einen Teil nach Emden zu ziehen, so bleiben die Transportkosten und der dabei erzielte Gewinn den deutschen Interessenten erhalten. Die neue Gesellschaft beabsichtigt auch keineswegs eine Unterbietung der bisherigen Preise herbeizuführen, weil dadurch das eigene Geschäft geschädigt würde. Es ist vielmehr als sicher anzunehmen, daß die Beförderung der Aus¬ wanderer auf derselben Grundlage erfolgen würde, die bisher bei den anderen Gesellschaften maßgebend gewesen ist. Eine Verständigung über die Fahrpreise würde sich auch mit einer neuen Gesellschaft erzielen lassen, in derselben Weise, wie sie zwischen der Hapag und dem Llond schon stattgefunden hat. Wird die beantragte Konzession abgelehnt, so wird für die großen Schiffahrts¬ linien in den Hansestädten tatsächlich eine Monopolstellung geschaffen und jede andere Konkurrenz auf lange Zeit hinaus ausgeschaltet. Die Gefahren und Nachteile, die mit einem Monopol und Trust verbunden sind, sind zu bekannt, als daß sie hier nochmals ausführlich geschildert und dargelegt werden müßten. Überall wird dagegen angekämpft. Entstehen diese Trusts von selbst durch Zusammenschluß der Interessenten, so wird sich nichts dagegen machen lassen. Für den Staat liegt aber keine Notwendigkeit vor, diese Bildungen zu unter¬ stützen und durch gesetzliche Maßnahmen einzelnen Gesellschaften ein Monopol zu verschaffen. Mit der Angabe, daß die Gesellschaft keinen Wettbewerb im Inlande und keine Verkleinerung ihres Jnteressentengebietes vertrüge, um erfolg¬ reich in der Weltkonkurrenz bestehen zu können, kann schließlich auch jede andere große Gesellschaft irgend einer anderen Branche auftreten. Im Gegenteil, das öffentliche Interesse verlangt die Beseitigung aller Vorrechte; nur im freien Wettbewerb können sich alle vorhandenen Kräfte entfalten und entwickeln. Es dürfen auch die Gefahren nicht verkannt werden, die in der Vereinigung so großer Machtmittel in einer Hand liegen. Es wird dadurch eine Gewalt geschaffen, die selbst für den Staat unbequem werden kann. Schon jetzt machen sich deren Einflüsse auf vielen Gebieten des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens bemerkbar. Wenn eine kluge und gewandte Geschäftsführung es bisher erfolg¬ reich verstanden hat, dies wenig in die Erscheinung treten zu lassen und einen Zusammenstoß mit staatlichen und allgemeinen Interessen klugerweise vermied.er hat, so ist doch keine Gewähr vorhanden, daß dies für alle Zukunft der Fall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/372>, abgerufen am 23.07.2024.