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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Schleiermacher in politischer Verfolgung

von seiner Gewandtheit das, was er jetzt äußert und treibt, wirklich das Werk
geänderter Gesinnungen und eigener Überzeugung sei, so daß mithin auf ihn
unter veränderten Umständen und Verhältnissen mit voller Sicherheit gerechnet
werden könnte. Ew. Königlichen Majestät unterwerfen wir hiernach ehrfurcht-
vollest, ob Allerhöchstdieselben den O. Schleiermacher ohne weiteres vorher¬
gehendes Verfahren seines Amtes als Geistlicher der Dreifaltigkeitskirche und
als Professor der hiesigen Universität zu entlassen geruhen wollen." Dieser
Antrag enthielt doch auch für das damalige Ministerium allzu starke Zumutungen.
Schuckmann war von Altenstein über ein Jahr lang an der Nase herumgeführt
worden. Preußen aber blieb die Schmach erspart, seinen größten Theologen
ausgestoßen zu haben.

Schleiermacher wußte wohl, was gegen ihn geplant war. Er ließ sich so
wenig einschüchtern, daß er in dem Agendenstreit mit der Feder gegen den
König selbst auftrat. Dieser hielt in redlichem Eifer für die Kirche Uniformität
der Liturgie für die wichtigste kirchliche Reform. Schleiermacher vertrat die
liturgische Freiheit und hielt die Einführung einer Sunodalverfassung für das
wichtigste Erfordernis der Gegenwart. Ohne eine solche Verfassung könne man
überhaupt nicht über eine neue Liturgie beraten. Nach einem längeren Schriften¬
wechsel schloß endlich Schleiermacher 1.829 in diesem Streit den Frieden, als
die Agende verbessert und ihm persönlich liturgische Freiheit zugesichert war.

Eine besondere Genugtuung für ihn war es, als er, der bis dahin ganz
Übergängen worden war, am 18. Januar 1831 den Noten Adlerorden dritter
Klasse erhielt. In seinem Dankschreiben an den König konnte er nicht unterlassen
zu sagen, "daß die Gesinnungen der ehrfurchtsvollsten Treue und Hingebung
gegen Ew. Majestät und der reinsten Liebe gegen das teure Vaterland durch
nichts Erfreuliches oder Ehrenvolles, das mir persönlich widerfährt, erhöht werden
können." Der Beweis des königlichen Wohlwollens aber rühre ihn auf das
Innigste, denn er leuchtet "wie ein freundlicher Stern in mein herannahendes
Alter, der manches Trübe und Dunkle in der Vergangenheit mit einem milden
Glanz überdeckt."

Schleiermacher ließ sich durch alle bösen Erfahrungen nicht in eine ver¬
bitterte Stimmung hineintreiben. Er blieb patriotisch und königstreu, aber auch
ebenso freiheitlich gesinnt. Darum konnte er nicht, wie das "Junge Deutschland",
der Pariser Juli-Revolution zujubeln. Vor allem wünschte er keine Übertragung
der revolutionären Bewegung nach Deutschland. Wäre man 1817 dem Rate
Schleiermachers und vieler Patrioten gefolgt, so hätte eine Volksvertretung die
Wünsche der Massen vorbringen können, und die Revolution von 1848 wäre
uns erspart geblieben. So aber erzeugte die bleiche Revolutionsangst durch ihre
Abwehrmaßregeln gegen die gar nicht drohende Revolution innerhalb dreier
Jahrzehnte die Gewalttaten des Jahres 1848.




Schleiermacher in politischer Verfolgung

von seiner Gewandtheit das, was er jetzt äußert und treibt, wirklich das Werk
geänderter Gesinnungen und eigener Überzeugung sei, so daß mithin auf ihn
unter veränderten Umständen und Verhältnissen mit voller Sicherheit gerechnet
werden könnte. Ew. Königlichen Majestät unterwerfen wir hiernach ehrfurcht-
vollest, ob Allerhöchstdieselben den O. Schleiermacher ohne weiteres vorher¬
gehendes Verfahren seines Amtes als Geistlicher der Dreifaltigkeitskirche und
als Professor der hiesigen Universität zu entlassen geruhen wollen." Dieser
Antrag enthielt doch auch für das damalige Ministerium allzu starke Zumutungen.
Schuckmann war von Altenstein über ein Jahr lang an der Nase herumgeführt
worden. Preußen aber blieb die Schmach erspart, seinen größten Theologen
ausgestoßen zu haben.

Schleiermacher wußte wohl, was gegen ihn geplant war. Er ließ sich so
wenig einschüchtern, daß er in dem Agendenstreit mit der Feder gegen den
König selbst auftrat. Dieser hielt in redlichem Eifer für die Kirche Uniformität
der Liturgie für die wichtigste kirchliche Reform. Schleiermacher vertrat die
liturgische Freiheit und hielt die Einführung einer Sunodalverfassung für das
wichtigste Erfordernis der Gegenwart. Ohne eine solche Verfassung könne man
überhaupt nicht über eine neue Liturgie beraten. Nach einem längeren Schriften¬
wechsel schloß endlich Schleiermacher 1.829 in diesem Streit den Frieden, als
die Agende verbessert und ihm persönlich liturgische Freiheit zugesichert war.

Eine besondere Genugtuung für ihn war es, als er, der bis dahin ganz
Übergängen worden war, am 18. Januar 1831 den Noten Adlerorden dritter
Klasse erhielt. In seinem Dankschreiben an den König konnte er nicht unterlassen
zu sagen, „daß die Gesinnungen der ehrfurchtsvollsten Treue und Hingebung
gegen Ew. Majestät und der reinsten Liebe gegen das teure Vaterland durch
nichts Erfreuliches oder Ehrenvolles, das mir persönlich widerfährt, erhöht werden
können." Der Beweis des königlichen Wohlwollens aber rühre ihn auf das
Innigste, denn er leuchtet „wie ein freundlicher Stern in mein herannahendes
Alter, der manches Trübe und Dunkle in der Vergangenheit mit einem milden
Glanz überdeckt."

Schleiermacher ließ sich durch alle bösen Erfahrungen nicht in eine ver¬
bitterte Stimmung hineintreiben. Er blieb patriotisch und königstreu, aber auch
ebenso freiheitlich gesinnt. Darum konnte er nicht, wie das „Junge Deutschland",
der Pariser Juli-Revolution zujubeln. Vor allem wünschte er keine Übertragung
der revolutionären Bewegung nach Deutschland. Wäre man 1817 dem Rate
Schleiermachers und vieler Patrioten gefolgt, so hätte eine Volksvertretung die
Wünsche der Massen vorbringen können, und die Revolution von 1848 wäre
uns erspart geblieben. So aber erzeugte die bleiche Revolutionsangst durch ihre
Abwehrmaßregeln gegen die gar nicht drohende Revolution innerhalb dreier
Jahrzehnte die Gewalttaten des Jahres 1848.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/282>, abgerufen am 03.07.2024.