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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Schleiermacher in politischer Verfolgung

jedoch kamen neue Verdachtsmomente hinzu. Er hatte an seinen Schwager Arndt
einige Briefe geschickt, die beschlagnahmt wurden, als bei dem gleichfalls wegen
seiner patriotischen Schriften ("Zeichen der Zeit", Teil 4) verdächtigen Arndt in
Bonn Haussuchung gehalten wurde. Schleiermacher hatte am 27. Januar 1819
an Arndt über seine eigene politische Untersuchung vom Jahre 1813 geschrieben:
"Es gibt wohl keine ärgere Erbärmlichkeit für einen König, als solche Schnippchen
in der Tasche zu schlagen, und darum kann man sie ihm ja wohl gönnen."
Dann erzählt Schleiermacher weiter vom letzten Krönungsfest am 18. Januar:
"Der gute Mann (der König) hat sich wieder vor einigen Tagen sehr prostituiert.
Da hat am Krönungsfest der Eylert ein erbärmliches Geschwätze in der Dom¬
kirche von der Kanzel gemacht über den schrecklichen Zeitgeist, wie alle Kräfte
über die Ufer getreten wären, wie überall Freiheit und Gleichheit gefordert
würde, aller Respekt vor den höheren Ständen geschwunden wäre. Da ist der
gute Mann hernach auf der Cour herumgegangen und hat ausgerufen: .Schöne
Rede gehört, sehr zweckmäßig, kann sich mancher ins Gewissen greifen!' --
Doch was soll man über den albernen Schnack noch ein Wort verlieren!" --
In einem Brief vom 14. März 1818 schrieb Schleiermacher über die wichtigste
Frage, die Einführung einer konstitutionellen Verfassung, an Arndt: "Seine
(des Königs) Persönlichkeit wird immer ein ungeheures Hindernis sein, die
allgemeine Angelegenheit vorwärts zu bringen, nie wird sich der Mann in ein
frei öffentliches Wesen finden lernen, und wie ihm schon die Universität hier
zu viel ist, wie sollte er je eine frei redende Versammlung in seiner Nahe dulden!
Ich glaube, muß es endlich einmal so weit kommen, so begibt er sich während
der Sitzungen an einen seiner Lieblingsörter, Paris oder Petersburg." Diese
nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Briefe bildeten das schwerste Anklage¬
material. "Verbrecherische Äußerungen und Trotz gegen des Königs geheiligte
Majestät" formulierte Schuckmann seine Anklage.

Ferner sprach gegen Schleiermacher, daß er gern an studentischen Festlich¬
keiten teilnahm. Nun war ein in fideler Laune geschriebener Brief eines
Studenten beschlagnahmt, in dem dieser ein am 2. Mai 1819 in Pichelsberg
gefeiertes Fest der Burschenschaft beschreibt. Hundertfünfundsiebzig Flaschen
Rheinwein seien dabei ausgetrunken. Die allgemeine Fröhlichkeit habe auch die
anwesenden Professoren ergriffen. "Lieber Bruder Schleiermacher," sagte Hermes,
"du bist ein zu herrlicher Kerl; laß uns Schmollis saufen!" Die Studenten
aber dachten: Wie wirst du und wir mit dir morgen um K Uhr in die Vor¬
lesung finden! "Du liesest morgen nicht!" riefen manche Doktoren und Studenten
aus. Aus diesem launigen Brief schmiedete die Untersuchungskommission neues
Anklagematerial. "Der unanständige lind sittenverderblichc Verkehr hiesiger
Universitätslehrer mit den Studenten auf öffentlichen Trinkgelagen" dürfe nicht
geduldet werden.

Ein Brief Schleiermachers vom Dezember 1806 hatte von der Notwendigkeit
einer allgemeinen Volkserhebung gesprochen. Da kein Datum auf dem Brief


Schleiermacher in politischer Verfolgung

jedoch kamen neue Verdachtsmomente hinzu. Er hatte an seinen Schwager Arndt
einige Briefe geschickt, die beschlagnahmt wurden, als bei dem gleichfalls wegen
seiner patriotischen Schriften („Zeichen der Zeit", Teil 4) verdächtigen Arndt in
Bonn Haussuchung gehalten wurde. Schleiermacher hatte am 27. Januar 1819
an Arndt über seine eigene politische Untersuchung vom Jahre 1813 geschrieben:
„Es gibt wohl keine ärgere Erbärmlichkeit für einen König, als solche Schnippchen
in der Tasche zu schlagen, und darum kann man sie ihm ja wohl gönnen."
Dann erzählt Schleiermacher weiter vom letzten Krönungsfest am 18. Januar:
„Der gute Mann (der König) hat sich wieder vor einigen Tagen sehr prostituiert.
Da hat am Krönungsfest der Eylert ein erbärmliches Geschwätze in der Dom¬
kirche von der Kanzel gemacht über den schrecklichen Zeitgeist, wie alle Kräfte
über die Ufer getreten wären, wie überall Freiheit und Gleichheit gefordert
würde, aller Respekt vor den höheren Ständen geschwunden wäre. Da ist der
gute Mann hernach auf der Cour herumgegangen und hat ausgerufen: .Schöne
Rede gehört, sehr zweckmäßig, kann sich mancher ins Gewissen greifen!' —
Doch was soll man über den albernen Schnack noch ein Wort verlieren!" —
In einem Brief vom 14. März 1818 schrieb Schleiermacher über die wichtigste
Frage, die Einführung einer konstitutionellen Verfassung, an Arndt: „Seine
(des Königs) Persönlichkeit wird immer ein ungeheures Hindernis sein, die
allgemeine Angelegenheit vorwärts zu bringen, nie wird sich der Mann in ein
frei öffentliches Wesen finden lernen, und wie ihm schon die Universität hier
zu viel ist, wie sollte er je eine frei redende Versammlung in seiner Nahe dulden!
Ich glaube, muß es endlich einmal so weit kommen, so begibt er sich während
der Sitzungen an einen seiner Lieblingsörter, Paris oder Petersburg." Diese
nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Briefe bildeten das schwerste Anklage¬
material. „Verbrecherische Äußerungen und Trotz gegen des Königs geheiligte
Majestät" formulierte Schuckmann seine Anklage.

Ferner sprach gegen Schleiermacher, daß er gern an studentischen Festlich¬
keiten teilnahm. Nun war ein in fideler Laune geschriebener Brief eines
Studenten beschlagnahmt, in dem dieser ein am 2. Mai 1819 in Pichelsberg
gefeiertes Fest der Burschenschaft beschreibt. Hundertfünfundsiebzig Flaschen
Rheinwein seien dabei ausgetrunken. Die allgemeine Fröhlichkeit habe auch die
anwesenden Professoren ergriffen. „Lieber Bruder Schleiermacher," sagte Hermes,
„du bist ein zu herrlicher Kerl; laß uns Schmollis saufen!" Die Studenten
aber dachten: Wie wirst du und wir mit dir morgen um K Uhr in die Vor¬
lesung finden! „Du liesest morgen nicht!" riefen manche Doktoren und Studenten
aus. Aus diesem launigen Brief schmiedete die Untersuchungskommission neues
Anklagematerial. „Der unanständige lind sittenverderblichc Verkehr hiesiger
Universitätslehrer mit den Studenten auf öffentlichen Trinkgelagen" dürfe nicht
geduldet werden.

Ein Brief Schleiermachers vom Dezember 1806 hatte von der Notwendigkeit
einer allgemeinen Volkserhebung gesprochen. Da kein Datum auf dem Brief


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[0279] Schleiermacher in politischer Verfolgung jedoch kamen neue Verdachtsmomente hinzu. Er hatte an seinen Schwager Arndt einige Briefe geschickt, die beschlagnahmt wurden, als bei dem gleichfalls wegen seiner patriotischen Schriften („Zeichen der Zeit", Teil 4) verdächtigen Arndt in Bonn Haussuchung gehalten wurde. Schleiermacher hatte am 27. Januar 1819 an Arndt über seine eigene politische Untersuchung vom Jahre 1813 geschrieben: „Es gibt wohl keine ärgere Erbärmlichkeit für einen König, als solche Schnippchen in der Tasche zu schlagen, und darum kann man sie ihm ja wohl gönnen." Dann erzählt Schleiermacher weiter vom letzten Krönungsfest am 18. Januar: „Der gute Mann (der König) hat sich wieder vor einigen Tagen sehr prostituiert. Da hat am Krönungsfest der Eylert ein erbärmliches Geschwätze in der Dom¬ kirche von der Kanzel gemacht über den schrecklichen Zeitgeist, wie alle Kräfte über die Ufer getreten wären, wie überall Freiheit und Gleichheit gefordert würde, aller Respekt vor den höheren Ständen geschwunden wäre. Da ist der gute Mann hernach auf der Cour herumgegangen und hat ausgerufen: .Schöne Rede gehört, sehr zweckmäßig, kann sich mancher ins Gewissen greifen!' — Doch was soll man über den albernen Schnack noch ein Wort verlieren!" — In einem Brief vom 14. März 1818 schrieb Schleiermacher über die wichtigste Frage, die Einführung einer konstitutionellen Verfassung, an Arndt: „Seine (des Königs) Persönlichkeit wird immer ein ungeheures Hindernis sein, die allgemeine Angelegenheit vorwärts zu bringen, nie wird sich der Mann in ein frei öffentliches Wesen finden lernen, und wie ihm schon die Universität hier zu viel ist, wie sollte er je eine frei redende Versammlung in seiner Nahe dulden! Ich glaube, muß es endlich einmal so weit kommen, so begibt er sich während der Sitzungen an einen seiner Lieblingsörter, Paris oder Petersburg." Diese nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Briefe bildeten das schwerste Anklage¬ material. „Verbrecherische Äußerungen und Trotz gegen des Königs geheiligte Majestät" formulierte Schuckmann seine Anklage. Ferner sprach gegen Schleiermacher, daß er gern an studentischen Festlich¬ keiten teilnahm. Nun war ein in fideler Laune geschriebener Brief eines Studenten beschlagnahmt, in dem dieser ein am 2. Mai 1819 in Pichelsberg gefeiertes Fest der Burschenschaft beschreibt. Hundertfünfundsiebzig Flaschen Rheinwein seien dabei ausgetrunken. Die allgemeine Fröhlichkeit habe auch die anwesenden Professoren ergriffen. „Lieber Bruder Schleiermacher," sagte Hermes, „du bist ein zu herrlicher Kerl; laß uns Schmollis saufen!" Die Studenten aber dachten: Wie wirst du und wir mit dir morgen um K Uhr in die Vor¬ lesung finden! „Du liesest morgen nicht!" riefen manche Doktoren und Studenten aus. Aus diesem launigen Brief schmiedete die Untersuchungskommission neues Anklagematerial. „Der unanständige lind sittenverderblichc Verkehr hiesiger Universitätslehrer mit den Studenten auf öffentlichen Trinkgelagen" dürfe nicht geduldet werden. Ein Brief Schleiermachers vom Dezember 1806 hatte von der Notwendigkeit einer allgemeinen Volkserhebung gesprochen. Da kein Datum auf dem Brief

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/279>, abgerufen am 23.07.2024.