Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie? anderen Geldquellen wohl kaum gerechtfertigt erscheinen, und von einer finanziellen Wenig glücklich ist auch der Versuch des Handwerks und seiner Freunde, Das Fortbildungs- und Fachschulwesen ist, wie in der mehrerwähnten Von seiten des Handwerks und seiner Vertreter ist nun der Vorschlag Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie? anderen Geldquellen wohl kaum gerechtfertigt erscheinen, und von einer finanziellen Wenig glücklich ist auch der Versuch des Handwerks und seiner Freunde, Das Fortbildungs- und Fachschulwesen ist, wie in der mehrerwähnten Von seiten des Handwerks und seiner Vertreter ist nun der Vorschlag <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321315"/> <fw type="header" place="top"> Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?</fw><lb/> <p xml:id="ID_916" prev="#ID_915"> anderen Geldquellen wohl kaum gerechtfertigt erscheinen, und von einer finanziellen<lb/> Überbürdung der Handwerkerorganisationen kann um so weniger die Rede sein,<lb/> als die Innungen von 71,4 Prozent ihrer Mitglieder Jahresbeiträge nur in<lb/> der Höhe von 1 bis 3 Mark erheben, während die Handwerkskammern ihre<lb/> Mitglieder im ganzen Reiche mit nicht mehr als 1,2 Millionen Mark Beiträgen<lb/> belasten. Das ist gewiß keine übermäßig hohe Summe, zumal wenn man<lb/> berücksichtigt, daß außerdem in Preußen die dritte und vierte Gewerbesteuerklasse<lb/> um die Summe entlastet wird, welche die Warenhaussteuer einbringt, und daß<lb/> eine ganze Anzahl von Bundesstaaten, wie Bayern, Hessen, die Hansestädte,<lb/> keine Beiträge zur Handwerkskammer erheben.</p><lb/> <p xml:id="ID_917"> Wenig glücklich ist auch der Versuch des Handwerks und seiner Freunde,<lb/> die Forderung der generellen Heranziehung der Industrie zu den Unterhaltungs¬<lb/> kosten der Handwerkerorganisationen mit dem Hinweis auf die Einrichtungen<lb/> in Österreich zu begründen, da hierbei von gänzlich falschen Voraussetzungen<lb/> ausgegangen wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_918"> Das Fortbildungs- und Fachschulwesen ist, wie in der mehrerwähnten<lb/> Denkschrift der Düsseldorfer Handelskammer im einzelnen dargelegt ist, bis jetzt<lb/> nur in Niederösterreich gesetzlich geregelt. Das bezügliche Gesetz trifft indessen<lb/> nicht nur — es ist dieses eine durchaus irrige Behauptung die Industrie,<lb/> sondern verpflichtet das gesamte Gewerbe ohne Unterschied zu Sonderbeiträgen.<lb/> Es entlastet also das Handwerk nicht, sondern belastet dasselbe vielmehr sehr<lb/> empfindlich. In Österreich muß der Handwerker zunächst eine Gewerbesteuer in<lb/> einer Höhe bezahlen, die in Deutschland unbekannt ist, und er hat außerdem noch<lb/> besondere Beiträge zum Gewerbeschulfonds zu leisten. Ferner ist er belastet<lb/> durch die Beiträge, die die Handels- und Gewerbekammer zum Gewerbeschul-<lb/> sonds zahlt. Der Umstand, daß Industrie. Handel und Verkehr diese Beiträge<lb/> auch leisten müssen, wird daher nur ein sehr geringer Trost für den Hand¬<lb/> werker sein. Eine Sonderbelastung der Industrie zu den Einrichtungen der<lb/> Handwerkerausbildung gibt es jedenfalls in Österreich überhaupt nicht, vor<lb/> allem nicht in dem Sinne und mit der Begründung, wie sie die Vertreter des<lb/> Handwerks in Deutschland vorzubringen pflegen. Wenn man daher bei uns<lb/> dazu übergehen wollte, einseitig die Industrie allein zu ähnlichen Leistungen heran¬<lb/> zuziehen, wie das in Österreich mit dem ganzen Gewerbe geschieht, so würde sich<lb/> dieses nach den treffenden Auslassungen der Düsseldorfer Handelskammer, gerade<lb/> an den österreichischen Verhältnissen gemessen, direkt als ein Gewaltakt darstellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_919"> Von seiten des Handwerks und seiner Vertreter ist nun der Vorschlag<lb/> gemacht worden, die Heranziehung der industriellen Betriebe zu den Kosten<lb/> der Handwerkerausbildung derart zu gestalten, daß von der Gesamtheit der<lb/> ersteren entweder für jeden Handelskammerbezirk ein Pauschale - von einer Seite<lb/> ist der runde Betrag von 50000 Mark vorgeschlagen worden — aufgebracht<lb/> oder daß jede Fabrik nach der Kopfzahl der von ihr beschäftigten, im Hand¬<lb/> werke ausgebildeten Arbeiter besteuert werde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0232]
Förderung des Handwerks auf Kosten der Industrie?
anderen Geldquellen wohl kaum gerechtfertigt erscheinen, und von einer finanziellen
Überbürdung der Handwerkerorganisationen kann um so weniger die Rede sein,
als die Innungen von 71,4 Prozent ihrer Mitglieder Jahresbeiträge nur in
der Höhe von 1 bis 3 Mark erheben, während die Handwerkskammern ihre
Mitglieder im ganzen Reiche mit nicht mehr als 1,2 Millionen Mark Beiträgen
belasten. Das ist gewiß keine übermäßig hohe Summe, zumal wenn man
berücksichtigt, daß außerdem in Preußen die dritte und vierte Gewerbesteuerklasse
um die Summe entlastet wird, welche die Warenhaussteuer einbringt, und daß
eine ganze Anzahl von Bundesstaaten, wie Bayern, Hessen, die Hansestädte,
keine Beiträge zur Handwerkskammer erheben.
Wenig glücklich ist auch der Versuch des Handwerks und seiner Freunde,
die Forderung der generellen Heranziehung der Industrie zu den Unterhaltungs¬
kosten der Handwerkerorganisationen mit dem Hinweis auf die Einrichtungen
in Österreich zu begründen, da hierbei von gänzlich falschen Voraussetzungen
ausgegangen wird.
Das Fortbildungs- und Fachschulwesen ist, wie in der mehrerwähnten
Denkschrift der Düsseldorfer Handelskammer im einzelnen dargelegt ist, bis jetzt
nur in Niederösterreich gesetzlich geregelt. Das bezügliche Gesetz trifft indessen
nicht nur — es ist dieses eine durchaus irrige Behauptung die Industrie,
sondern verpflichtet das gesamte Gewerbe ohne Unterschied zu Sonderbeiträgen.
Es entlastet also das Handwerk nicht, sondern belastet dasselbe vielmehr sehr
empfindlich. In Österreich muß der Handwerker zunächst eine Gewerbesteuer in
einer Höhe bezahlen, die in Deutschland unbekannt ist, und er hat außerdem noch
besondere Beiträge zum Gewerbeschulfonds zu leisten. Ferner ist er belastet
durch die Beiträge, die die Handels- und Gewerbekammer zum Gewerbeschul-
sonds zahlt. Der Umstand, daß Industrie. Handel und Verkehr diese Beiträge
auch leisten müssen, wird daher nur ein sehr geringer Trost für den Hand¬
werker sein. Eine Sonderbelastung der Industrie zu den Einrichtungen der
Handwerkerausbildung gibt es jedenfalls in Österreich überhaupt nicht, vor
allem nicht in dem Sinne und mit der Begründung, wie sie die Vertreter des
Handwerks in Deutschland vorzubringen pflegen. Wenn man daher bei uns
dazu übergehen wollte, einseitig die Industrie allein zu ähnlichen Leistungen heran¬
zuziehen, wie das in Österreich mit dem ganzen Gewerbe geschieht, so würde sich
dieses nach den treffenden Auslassungen der Düsseldorfer Handelskammer, gerade
an den österreichischen Verhältnissen gemessen, direkt als ein Gewaltakt darstellen.
Von seiten des Handwerks und seiner Vertreter ist nun der Vorschlag
gemacht worden, die Heranziehung der industriellen Betriebe zu den Kosten
der Handwerkerausbildung derart zu gestalten, daß von der Gesamtheit der
ersteren entweder für jeden Handelskammerbezirk ein Pauschale - von einer Seite
ist der runde Betrag von 50000 Mark vorgeschlagen worden — aufgebracht
oder daß jede Fabrik nach der Kopfzahl der von ihr beschäftigten, im Hand¬
werke ausgebildeten Arbeiter besteuert werde.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |