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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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koilkrirrierenden Schiffahrtsgesellschaften. Die Katastrophe brauchte den Umfang
nicht zu erreichen, wenn statt der vorhandenen Tennisplätze, Wintergarten und
breiten Promenaden die Zahl der Rettungsboote größer gewesen wäre. Die Aus¬
sagen der geretteten Mannschaft stimmen darin überein, daß die Zeitspanne
zwischen dem Auflaufen des Schiffes auf den Eisberg und seinem Sinken aus¬
gereicht Hütte, um alle Fahrgäste wenigstens von dem sinkenden Koloß ab¬
zubringen. Da die See ruhig und die Nacht klar war, wäre es theoretisch
möglich gewesen, alle Fahrgäste und die Besatzung zu retten, selbst wenn das
helfende Schiff, die Carpathia, erst Stunden nach dem Versinken der Titanic an
die Unglücke stelle gelangt wäre. Also die Opfer sind ungeheuer groß trotz der
günstigsten Nebenumstände, und deshalb muß auch die Schuld der White Star
Line besonders hervorgehoben werden.

Nun ist naturgemäß die Frage aufgetaucht, wie es denn mit den Sicher-
heitsvorrichtungen der deutschen Schiffahrtsgesellschaften stehe. Im
allgemeinen ist die Sicherheit auf den deutschen Schiffen größer als auf den
englischen, von den französischen gar nicht zu sprechen. Wer einmal auf einem
deutschen und auf einem englischen Dampfer denOzean durchquerte, kennt den augen¬
fälligen Unterschied zwischen dem Leben auf diesem und jenem. Auf deu deutscheu
Dampfern ist der Dienst straffer organisiert, das Personal viel sorgfältiger aus¬
gewählt und ausgebildet, und der Reisende hat viel mehr das Empfinden, daß
man um sein Wohlergehen ganz persönlich bemüht ist, als aus den englischen
Schiffen. So fühlt sich denn auch der Engländer im allgemeinen wohler auf
den: deutschen als aus dem englischen Schiffe. Mit den" Ausbau der Sicherheits¬
vorrichtungen scheint man indessen auch bei Lloyd und Hapag nicht auf allen
Schiffen gleichmäßig vorgegangen zu sein. Zwar sind die entsprechenden Vor¬
schriften für deutsche Schiffe bedeutend strenger als für die irgendeiner anderen
Nation, zwar ist die Zahl der Rettungsboote und Rettungsgürtel reichlicher auf
deutschen Schiffen bemessen als auf den anderer Handelsmarinen, aber es scheint
doch, als wenn auch von den Schiffen unserer Gesellschaften bei Verhältnissen, wie
sie beim Untergange der Titanic mitsprechen, nicht jeder Schiffsgast bis auf
den letzten Mann vom Schiff gebracht werden könnte, und zwar aus dem
gleichen Grunde wie bei der Titanic, weil die luxuriöse Einrichtung zu viel
Raum beansprucht. Das Mißgeschick der Titanic wird nun wahrscheinlich zu einer
Besserung der Verhältnisse führen, wenigstens bei uns und für die nächsten
Jahre. Aber unsere Zeit ist vergeßlich. Vielleicht schon nach wenigen Wochen
erinnert man sich nur noch dunkel der Tragödie, und der Atem raubende
Konkurrenzkampf der Schiffahrtsgesellschaft steuert zu neuen Katastrophen. Darum
muß mit aller Bestimmtheit zum Ausbau der Rechte der Aufsichtsorgaue
geschritten werden und zwar in erster Linie der internationalen. Hier ist eine
Aufgabe für die Vorkämpfer internationaler Verständigungen; denn die Materie,
um die es sich handelt, ist bereits international. Man braucht sich nur daran
zu erinnern, daß die Titanic rund sieben Millionen Briefsendungeu aus der alten


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koilkrirrierenden Schiffahrtsgesellschaften. Die Katastrophe brauchte den Umfang
nicht zu erreichen, wenn statt der vorhandenen Tennisplätze, Wintergarten und
breiten Promenaden die Zahl der Rettungsboote größer gewesen wäre. Die Aus¬
sagen der geretteten Mannschaft stimmen darin überein, daß die Zeitspanne
zwischen dem Auflaufen des Schiffes auf den Eisberg und seinem Sinken aus¬
gereicht Hütte, um alle Fahrgäste wenigstens von dem sinkenden Koloß ab¬
zubringen. Da die See ruhig und die Nacht klar war, wäre es theoretisch
möglich gewesen, alle Fahrgäste und die Besatzung zu retten, selbst wenn das
helfende Schiff, die Carpathia, erst Stunden nach dem Versinken der Titanic an
die Unglücke stelle gelangt wäre. Also die Opfer sind ungeheuer groß trotz der
günstigsten Nebenumstände, und deshalb muß auch die Schuld der White Star
Line besonders hervorgehoben werden.

Nun ist naturgemäß die Frage aufgetaucht, wie es denn mit den Sicher-
heitsvorrichtungen der deutschen Schiffahrtsgesellschaften stehe. Im
allgemeinen ist die Sicherheit auf den deutschen Schiffen größer als auf den
englischen, von den französischen gar nicht zu sprechen. Wer einmal auf einem
deutschen und auf einem englischen Dampfer denOzean durchquerte, kennt den augen¬
fälligen Unterschied zwischen dem Leben auf diesem und jenem. Auf deu deutscheu
Dampfern ist der Dienst straffer organisiert, das Personal viel sorgfältiger aus¬
gewählt und ausgebildet, und der Reisende hat viel mehr das Empfinden, daß
man um sein Wohlergehen ganz persönlich bemüht ist, als aus den englischen
Schiffen. So fühlt sich denn auch der Engländer im allgemeinen wohler auf
den: deutschen als aus dem englischen Schiffe. Mit den« Ausbau der Sicherheits¬
vorrichtungen scheint man indessen auch bei Lloyd und Hapag nicht auf allen
Schiffen gleichmäßig vorgegangen zu sein. Zwar sind die entsprechenden Vor¬
schriften für deutsche Schiffe bedeutend strenger als für die irgendeiner anderen
Nation, zwar ist die Zahl der Rettungsboote und Rettungsgürtel reichlicher auf
deutschen Schiffen bemessen als auf den anderer Handelsmarinen, aber es scheint
doch, als wenn auch von den Schiffen unserer Gesellschaften bei Verhältnissen, wie
sie beim Untergange der Titanic mitsprechen, nicht jeder Schiffsgast bis auf
den letzten Mann vom Schiff gebracht werden könnte, und zwar aus dem
gleichen Grunde wie bei der Titanic, weil die luxuriöse Einrichtung zu viel
Raum beansprucht. Das Mißgeschick der Titanic wird nun wahrscheinlich zu einer
Besserung der Verhältnisse führen, wenigstens bei uns und für die nächsten
Jahre. Aber unsere Zeit ist vergeßlich. Vielleicht schon nach wenigen Wochen
erinnert man sich nur noch dunkel der Tragödie, und der Atem raubende
Konkurrenzkampf der Schiffahrtsgesellschaft steuert zu neuen Katastrophen. Darum
muß mit aller Bestimmtheit zum Ausbau der Rechte der Aufsichtsorgaue
geschritten werden und zwar in erster Linie der internationalen. Hier ist eine
Aufgabe für die Vorkämpfer internationaler Verständigungen; denn die Materie,
um die es sich handelt, ist bereits international. Man braucht sich nur daran
zu erinnern, daß die Titanic rund sieben Millionen Briefsendungeu aus der alten


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[0208] Reichsspiegel koilkrirrierenden Schiffahrtsgesellschaften. Die Katastrophe brauchte den Umfang nicht zu erreichen, wenn statt der vorhandenen Tennisplätze, Wintergarten und breiten Promenaden die Zahl der Rettungsboote größer gewesen wäre. Die Aus¬ sagen der geretteten Mannschaft stimmen darin überein, daß die Zeitspanne zwischen dem Auflaufen des Schiffes auf den Eisberg und seinem Sinken aus¬ gereicht Hütte, um alle Fahrgäste wenigstens von dem sinkenden Koloß ab¬ zubringen. Da die See ruhig und die Nacht klar war, wäre es theoretisch möglich gewesen, alle Fahrgäste und die Besatzung zu retten, selbst wenn das helfende Schiff, die Carpathia, erst Stunden nach dem Versinken der Titanic an die Unglücke stelle gelangt wäre. Also die Opfer sind ungeheuer groß trotz der günstigsten Nebenumstände, und deshalb muß auch die Schuld der White Star Line besonders hervorgehoben werden. Nun ist naturgemäß die Frage aufgetaucht, wie es denn mit den Sicher- heitsvorrichtungen der deutschen Schiffahrtsgesellschaften stehe. Im allgemeinen ist die Sicherheit auf den deutschen Schiffen größer als auf den englischen, von den französischen gar nicht zu sprechen. Wer einmal auf einem deutschen und auf einem englischen Dampfer denOzean durchquerte, kennt den augen¬ fälligen Unterschied zwischen dem Leben auf diesem und jenem. Auf deu deutscheu Dampfern ist der Dienst straffer organisiert, das Personal viel sorgfältiger aus¬ gewählt und ausgebildet, und der Reisende hat viel mehr das Empfinden, daß man um sein Wohlergehen ganz persönlich bemüht ist, als aus den englischen Schiffen. So fühlt sich denn auch der Engländer im allgemeinen wohler auf den: deutschen als aus dem englischen Schiffe. Mit den« Ausbau der Sicherheits¬ vorrichtungen scheint man indessen auch bei Lloyd und Hapag nicht auf allen Schiffen gleichmäßig vorgegangen zu sein. Zwar sind die entsprechenden Vor¬ schriften für deutsche Schiffe bedeutend strenger als für die irgendeiner anderen Nation, zwar ist die Zahl der Rettungsboote und Rettungsgürtel reichlicher auf deutschen Schiffen bemessen als auf den anderer Handelsmarinen, aber es scheint doch, als wenn auch von den Schiffen unserer Gesellschaften bei Verhältnissen, wie sie beim Untergange der Titanic mitsprechen, nicht jeder Schiffsgast bis auf den letzten Mann vom Schiff gebracht werden könnte, und zwar aus dem gleichen Grunde wie bei der Titanic, weil die luxuriöse Einrichtung zu viel Raum beansprucht. Das Mißgeschick der Titanic wird nun wahrscheinlich zu einer Besserung der Verhältnisse führen, wenigstens bei uns und für die nächsten Jahre. Aber unsere Zeit ist vergeßlich. Vielleicht schon nach wenigen Wochen erinnert man sich nur noch dunkel der Tragödie, und der Atem raubende Konkurrenzkampf der Schiffahrtsgesellschaft steuert zu neuen Katastrophen. Darum muß mit aller Bestimmtheit zum Ausbau der Rechte der Aufsichtsorgaue geschritten werden und zwar in erster Linie der internationalen. Hier ist eine Aufgabe für die Vorkämpfer internationaler Verständigungen; denn die Materie, um die es sich handelt, ist bereits international. Man braucht sich nur daran zu erinnern, daß die Titanic rund sieben Millionen Briefsendungeu aus der alten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/208>, abgerufen am 01.07.2024.