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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Förderung des Handwerks auf Allsten der Industrie?

gericht und Oberlandesgericht bzw. das Kammergericht und in Einzelfällen sogar
an das Reichsgericht gegeben. Für die Frage, ob jemand Handwerker ist, ist
die Tatsache, daß er außerdem Handel betreibt, bedeutungslos. Es fragt sich
nur, ob dieser Handel noch innerhalb der Grenzen des Handwerksbetriebs liegt,
oder ob er diese Grenzen überschreitet*). Eine solche Überschreitung wird z. B.
vom Reichsgericht angenommen, wenn der Gegenstand des Handelsbetriebes
nichts mit dem Handwerk zu tun hat, oder wenn die Art des Handelsbetriebes
und seine Einrichtung von dem Handwerksbetriebe auch räumlich getrennt ist;
endlich auch, wenn diese beiden Fälle zwar nicht vorliegen, aber der Handel
nicht neben dem Handwerke besteht, sondern die Rolle des Handels die wirt¬
schaftliche Haupttätigkeit spielt.

Die nach diesen Gesichtspunkten vom Richter zu treffende Entscheidung ist
von der größten Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmungen der partikularen
Handelskammergesetze. Das preußische Handelskammergesetz vom 19. August 1897
bestimmt in ß 3, daß zur Handelskammer diejenigen Kaufleute gehören, welche
in das Handelsregister eingetragen sind. Früher nahm man in Preußen auf
Grund dieser Bestimmung an, daß die Eintragung im Handelsregister allein
genüge, um die Mitgliedschaft zur Handelskammer nachzuweisen. Das Ober-
verwaltuugsgericht hat jedoch entschieden, daß die Zugehörigkeit zur Handels¬
kammer von dem ferneren Nachweise bedingt ist, daß der im Handelsregister
Eingetragene auch wirklich Kaufmann und nicht Handwerker ist. Es geht also
dabei von dem Grundsätze aus, daß auch Handwerker zufolge des ß 2 H. G. B.
registereintragungsfühig seien, ein Grundsatz, der mit Rücksicht auf § 4 H. G. B.
früher allgemein bestritten wurde. Auf Grund dieser Oberverwaltungsgerichts¬
entscheidung sind demnach gegenwärtig zur Entscheidung über die Frage, ob
ein Betrieb zum Handwerk zu rechnen ist oder nicht, auch die Handelskammer,
die Bezirksausschüsse und das Oberverwaltungsgericht zuständig.

Ähnliche Bestimmungen, wie das preußische Handelskammergesetz, enthalten
auch die entsprechenden Gesetze der meisten übrigen Bundesstaaten, so daß auch
hier über diese Frage bestimmte Landesbehörden zu entscheiden haben. Eine
besondere Regelung besteht nur im Königreich Sachsen, wo Handwerkern, die
gleichzeitig Handel treiben, das Optionsrecht gegeben ist, d. h. sie können wählen,
ob sie zur Handels- oder Gewerbe-Handwerkskammer gezählt werden wollen.
Aber auch hierdurch ist der Streit in Sachsen nicht gelöst worden, denn es sind
wiederholt von den Verwaltungsbehörden auf Grund der Bestimmungen der
Gewerbeordnung Betriebe als zum Handwerk gehörig angesehen worden, die
das sächsische Oberverwaltungsgericht als Fabriken betrachtet hat. Eigentümlich
liegt ferner die Sache in den Hansestädten, in denen die Eigenschaft als Kauf¬
mann den Gewerbebetreibenden zwar zur Mitgliedschaft in der Handelskammer
berechtigt und Voraussetzung dieser Mitgliedschaft ist, aber diese Folge nicht von



N. G. Ser. Band 21, Ur. 77.
Förderung des Handwerks auf Allsten der Industrie?

gericht und Oberlandesgericht bzw. das Kammergericht und in Einzelfällen sogar
an das Reichsgericht gegeben. Für die Frage, ob jemand Handwerker ist, ist
die Tatsache, daß er außerdem Handel betreibt, bedeutungslos. Es fragt sich
nur, ob dieser Handel noch innerhalb der Grenzen des Handwerksbetriebs liegt,
oder ob er diese Grenzen überschreitet*). Eine solche Überschreitung wird z. B.
vom Reichsgericht angenommen, wenn der Gegenstand des Handelsbetriebes
nichts mit dem Handwerk zu tun hat, oder wenn die Art des Handelsbetriebes
und seine Einrichtung von dem Handwerksbetriebe auch räumlich getrennt ist;
endlich auch, wenn diese beiden Fälle zwar nicht vorliegen, aber der Handel
nicht neben dem Handwerke besteht, sondern die Rolle des Handels die wirt¬
schaftliche Haupttätigkeit spielt.

Die nach diesen Gesichtspunkten vom Richter zu treffende Entscheidung ist
von der größten Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmungen der partikularen
Handelskammergesetze. Das preußische Handelskammergesetz vom 19. August 1897
bestimmt in ß 3, daß zur Handelskammer diejenigen Kaufleute gehören, welche
in das Handelsregister eingetragen sind. Früher nahm man in Preußen auf
Grund dieser Bestimmung an, daß die Eintragung im Handelsregister allein
genüge, um die Mitgliedschaft zur Handelskammer nachzuweisen. Das Ober-
verwaltuugsgericht hat jedoch entschieden, daß die Zugehörigkeit zur Handels¬
kammer von dem ferneren Nachweise bedingt ist, daß der im Handelsregister
Eingetragene auch wirklich Kaufmann und nicht Handwerker ist. Es geht also
dabei von dem Grundsätze aus, daß auch Handwerker zufolge des ß 2 H. G. B.
registereintragungsfühig seien, ein Grundsatz, der mit Rücksicht auf § 4 H. G. B.
früher allgemein bestritten wurde. Auf Grund dieser Oberverwaltungsgerichts¬
entscheidung sind demnach gegenwärtig zur Entscheidung über die Frage, ob
ein Betrieb zum Handwerk zu rechnen ist oder nicht, auch die Handelskammer,
die Bezirksausschüsse und das Oberverwaltungsgericht zuständig.

Ähnliche Bestimmungen, wie das preußische Handelskammergesetz, enthalten
auch die entsprechenden Gesetze der meisten übrigen Bundesstaaten, so daß auch
hier über diese Frage bestimmte Landesbehörden zu entscheiden haben. Eine
besondere Regelung besteht nur im Königreich Sachsen, wo Handwerkern, die
gleichzeitig Handel treiben, das Optionsrecht gegeben ist, d. h. sie können wählen,
ob sie zur Handels- oder Gewerbe-Handwerkskammer gezählt werden wollen.
Aber auch hierdurch ist der Streit in Sachsen nicht gelöst worden, denn es sind
wiederholt von den Verwaltungsbehörden auf Grund der Bestimmungen der
Gewerbeordnung Betriebe als zum Handwerk gehörig angesehen worden, die
das sächsische Oberverwaltungsgericht als Fabriken betrachtet hat. Eigentümlich
liegt ferner die Sache in den Hansestädten, in denen die Eigenschaft als Kauf¬
mann den Gewerbebetreibenden zwar zur Mitgliedschaft in der Handelskammer
berechtigt und Voraussetzung dieser Mitgliedschaft ist, aber diese Folge nicht von



N. G. Ser. Band 21, Ur. 77.
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[0182] Förderung des Handwerks auf Allsten der Industrie? gericht und Oberlandesgericht bzw. das Kammergericht und in Einzelfällen sogar an das Reichsgericht gegeben. Für die Frage, ob jemand Handwerker ist, ist die Tatsache, daß er außerdem Handel betreibt, bedeutungslos. Es fragt sich nur, ob dieser Handel noch innerhalb der Grenzen des Handwerksbetriebs liegt, oder ob er diese Grenzen überschreitet*). Eine solche Überschreitung wird z. B. vom Reichsgericht angenommen, wenn der Gegenstand des Handelsbetriebes nichts mit dem Handwerk zu tun hat, oder wenn die Art des Handelsbetriebes und seine Einrichtung von dem Handwerksbetriebe auch räumlich getrennt ist; endlich auch, wenn diese beiden Fälle zwar nicht vorliegen, aber der Handel nicht neben dem Handwerke besteht, sondern die Rolle des Handels die wirt¬ schaftliche Haupttätigkeit spielt. Die nach diesen Gesichtspunkten vom Richter zu treffende Entscheidung ist von der größten Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmungen der partikularen Handelskammergesetze. Das preußische Handelskammergesetz vom 19. August 1897 bestimmt in ß 3, daß zur Handelskammer diejenigen Kaufleute gehören, welche in das Handelsregister eingetragen sind. Früher nahm man in Preußen auf Grund dieser Bestimmung an, daß die Eintragung im Handelsregister allein genüge, um die Mitgliedschaft zur Handelskammer nachzuweisen. Das Ober- verwaltuugsgericht hat jedoch entschieden, daß die Zugehörigkeit zur Handels¬ kammer von dem ferneren Nachweise bedingt ist, daß der im Handelsregister Eingetragene auch wirklich Kaufmann und nicht Handwerker ist. Es geht also dabei von dem Grundsätze aus, daß auch Handwerker zufolge des ß 2 H. G. B. registereintragungsfühig seien, ein Grundsatz, der mit Rücksicht auf § 4 H. G. B. früher allgemein bestritten wurde. Auf Grund dieser Oberverwaltungsgerichts¬ entscheidung sind demnach gegenwärtig zur Entscheidung über die Frage, ob ein Betrieb zum Handwerk zu rechnen ist oder nicht, auch die Handelskammer, die Bezirksausschüsse und das Oberverwaltungsgericht zuständig. Ähnliche Bestimmungen, wie das preußische Handelskammergesetz, enthalten auch die entsprechenden Gesetze der meisten übrigen Bundesstaaten, so daß auch hier über diese Frage bestimmte Landesbehörden zu entscheiden haben. Eine besondere Regelung besteht nur im Königreich Sachsen, wo Handwerkern, die gleichzeitig Handel treiben, das Optionsrecht gegeben ist, d. h. sie können wählen, ob sie zur Handels- oder Gewerbe-Handwerkskammer gezählt werden wollen. Aber auch hierdurch ist der Streit in Sachsen nicht gelöst worden, denn es sind wiederholt von den Verwaltungsbehörden auf Grund der Bestimmungen der Gewerbeordnung Betriebe als zum Handwerk gehörig angesehen worden, die das sächsische Oberverwaltungsgericht als Fabriken betrachtet hat. Eigentümlich liegt ferner die Sache in den Hansestädten, in denen die Eigenschaft als Kauf¬ mann den Gewerbebetreibenden zwar zur Mitgliedschaft in der Handelskammer berechtigt und Voraussetzung dieser Mitgliedschaft ist, aber diese Folge nicht von N. G. Ser. Band 21, Ur. 77.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/182>, abgerufen am 23.07.2024.