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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Föderalistische und unitarische Parteien

(Klerikalen und Welsen) einen Verein, der sich den Namen "Bundesstaatlich-
konstitutionelle Fraktion" gab. Schon dieser Name bedeutete ein Programm, und
es hätte kaum noch ausdrücklich betont zu werden brauchen, daß die Fraktion die
"Wahrung möglichster Freiheit der Selbständigkeit der Bundesstaaten, soweit
sie mit der Handhabung einer kräftigen Zentralgewalt vereinbar" ist, erstrebe.
Der überragende Geist Windthorsts, der die kleine Fraktion beherrschte, hat in
der Folge auch die große Zentrumspartei beherrscht. Es ist daher kein Wunder,
wenn die Prinzipien der Bundesstaatlich-konstitutionellen Fraktion in ihrer nach¬
geborenen Schwester, dem Zentrum, dessen Gründung mit der Geburt des
Deutschen Reiches zeitlich zusammenfiel, fortlebten. Kein anderer als v.Mallinckrodt
hat das, als er am 31. Januar 1872 das Programm des Zentrums ver¬
teidigte, mit den Worten ausgesprochen: "Der dritte Punkt sunseres Programms)
ist das Prinzip der Föderation im Gegensatz zu dem Prinzip der Zentralisation,
im Gegensatz zu den Tendenzen des Unitarismus." Mit diesen Worten wurde
nur noch schärfer formuliert, was das "Programm der Fraktion des Zentrums"
vom Frühjahr 1871 bereits ausgeführt hatte: "Der Grundcharakter des Reiches
als eines Bundesstaates soll gewahrt, demgemäß den Bestrebungen, welche auf
eine Änderung des föderativem Charakters der Reichsverfassung abzielen, entgegen¬
gewirkt und von der Selbstbestimmung der einzelnen Staaten in allen inneren
Angelegenheiten nicht mehr geopfert werden, als das Interesse des Ganzen es
unabweislich fordert." Schon damals also vertrat das Zentrum den Standpunkt,
die Kompetenz des Reiches auf Kosten der Zuständigkeit der Gliedstaaten nicht
weiter auszudehnen als unbedingt notwendig sei. Es hat diesen Standpunkt
nie verlassen. Seit jenen Tagen hat es sich stets als Hort und Hüter
partikularistischer Interessen und Bestrebungen zu erweisen versucht, indem es
immer und immer wieder aus den "föderativem Grundcharakter des Reiches"
hinwies, die "volle Auswirkung" dieses "geschichtlichen und verfassungsmäßigen
Grundcharakters" forderte und erklärte, daß dessen "Beibehaltung und Behauptung"
seine "wachsamste Obsorge in Anspruch nehmen" werde. Daß eine Partei, die
von dem Augenblick ihres Entstehens an Gegnerin aller Zentralisation und
unitarischer Tendenzen war, die Schaffung verantwortlicher Reichsminister, ein
Neichseisenbahnsvstem, eine direkte Reichseinkommen- und Reichsvermögenssteuer,
ja sogar ein Briefmarkenübereinkommen zwischen dem Reich und Württemberg
und ähnliche Bestrebungen, die geeignet waren, die Einheit des Reiches über den
ursprünglich gegebenen Zustand hinaus zu fördern, bekämpfte, ist ebenso ver¬
ständlich wie die Tatsache, daß es das Zentrum war, aus dessen Schoß die
Frankensteinsche Klausel von 1879, die sür die finanzielle Entwicklung des
Reiches verhängnisvollste Maßnahme, geboren wurde.

Nicht aus den gleichen Beweggründen und nicht in dem starken Maße wie
das Zentrum, aber doch ganz unverkennbar, hat auch die 1876 gegründete Deutsch-
Konservative Partei föderalistischen Erwägungen und Bestrebungen Raum gegeben,
sich dagegen bestimmten unitarischen Tendenzen gegenüber ablehnend verhalten.


Föderalistische und unitarische Parteien

(Klerikalen und Welsen) einen Verein, der sich den Namen „Bundesstaatlich-
konstitutionelle Fraktion" gab. Schon dieser Name bedeutete ein Programm, und
es hätte kaum noch ausdrücklich betont zu werden brauchen, daß die Fraktion die
„Wahrung möglichster Freiheit der Selbständigkeit der Bundesstaaten, soweit
sie mit der Handhabung einer kräftigen Zentralgewalt vereinbar" ist, erstrebe.
Der überragende Geist Windthorsts, der die kleine Fraktion beherrschte, hat in
der Folge auch die große Zentrumspartei beherrscht. Es ist daher kein Wunder,
wenn die Prinzipien der Bundesstaatlich-konstitutionellen Fraktion in ihrer nach¬
geborenen Schwester, dem Zentrum, dessen Gründung mit der Geburt des
Deutschen Reiches zeitlich zusammenfiel, fortlebten. Kein anderer als v.Mallinckrodt
hat das, als er am 31. Januar 1872 das Programm des Zentrums ver¬
teidigte, mit den Worten ausgesprochen: „Der dritte Punkt sunseres Programms)
ist das Prinzip der Föderation im Gegensatz zu dem Prinzip der Zentralisation,
im Gegensatz zu den Tendenzen des Unitarismus." Mit diesen Worten wurde
nur noch schärfer formuliert, was das „Programm der Fraktion des Zentrums"
vom Frühjahr 1871 bereits ausgeführt hatte: „Der Grundcharakter des Reiches
als eines Bundesstaates soll gewahrt, demgemäß den Bestrebungen, welche auf
eine Änderung des föderativem Charakters der Reichsverfassung abzielen, entgegen¬
gewirkt und von der Selbstbestimmung der einzelnen Staaten in allen inneren
Angelegenheiten nicht mehr geopfert werden, als das Interesse des Ganzen es
unabweislich fordert." Schon damals also vertrat das Zentrum den Standpunkt,
die Kompetenz des Reiches auf Kosten der Zuständigkeit der Gliedstaaten nicht
weiter auszudehnen als unbedingt notwendig sei. Es hat diesen Standpunkt
nie verlassen. Seit jenen Tagen hat es sich stets als Hort und Hüter
partikularistischer Interessen und Bestrebungen zu erweisen versucht, indem es
immer und immer wieder aus den „föderativem Grundcharakter des Reiches"
hinwies, die „volle Auswirkung" dieses „geschichtlichen und verfassungsmäßigen
Grundcharakters" forderte und erklärte, daß dessen „Beibehaltung und Behauptung"
seine „wachsamste Obsorge in Anspruch nehmen" werde. Daß eine Partei, die
von dem Augenblick ihres Entstehens an Gegnerin aller Zentralisation und
unitarischer Tendenzen war, die Schaffung verantwortlicher Reichsminister, ein
Neichseisenbahnsvstem, eine direkte Reichseinkommen- und Reichsvermögenssteuer,
ja sogar ein Briefmarkenübereinkommen zwischen dem Reich und Württemberg
und ähnliche Bestrebungen, die geeignet waren, die Einheit des Reiches über den
ursprünglich gegebenen Zustand hinaus zu fördern, bekämpfte, ist ebenso ver¬
ständlich wie die Tatsache, daß es das Zentrum war, aus dessen Schoß die
Frankensteinsche Klausel von 1879, die sür die finanzielle Entwicklung des
Reiches verhängnisvollste Maßnahme, geboren wurde.

Nicht aus den gleichen Beweggründen und nicht in dem starken Maße wie
das Zentrum, aber doch ganz unverkennbar, hat auch die 1876 gegründete Deutsch-
Konservative Partei föderalistischen Erwägungen und Bestrebungen Raum gegeben,
sich dagegen bestimmten unitarischen Tendenzen gegenüber ablehnend verhalten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/15>, abgerufen am 22.07.2024.