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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Briefe aus Gstasien

rann war verhältnismäßig luxuriös ausgestattet, denn an der Außenwand befand
sich ein Sofa, auf dem wir uns zur Not ausstrecken konnten, was wir auch
taten. Aber dorthin zu gelangen, war auch mit einigen Schwierigkeiten ver¬
bunden, da etwa zehn japanische Passagiere sich bereits wie die Heringe auf
dem Fußboden ausgestreckt hatten und teils rauchten oder Tee tranken, teils
schliefen. Kaum hatten wir uns häuslich eingerichtet, da entbrannte auch schon
ein wütender Kampf zwischen Moskitos und Flöhen, die sich um die Beute
stritten. Allgemeines Stöhnen, Fächeln, Jucken und Kratzen. Dabei eine
Temperatur, die schon keine mehr war, denn wegen des hohen Seeganges
mußten sämtliche Luken geschlossen werden. Durch eine der letzteren, die zufällig
nicht ganz hermetisch geschlossen war, ergoß sich plötzlich eine ganze Sturzwelle
über Lillvs Haupt. Kurz -- als wir endlich in Kobe angelangt waren, konnten
wir uns ungefähr vorstellen, wie dem unverdaulichen Jonas zu Mute war, als
ihn der antisemitische Walfisch endlich wieder von sich gab. Welche Wonne,
wieder in einem europäisch eingerichteten Gasthof sich behaglich im Bette aus¬
strecken und auf Stühlen sitzen zu können, nachdem man die ganze Zeit hatte
auf Matten hocken und herumkrabbeln müssen!

Ja, die japanischen Hotels! Sie sind das niedlichste, sauberste, was man
sich an menschlichen Behausungen vorstellen kann -- und dennoch ist solch ein
Puppenschrein ein Ort der Qual. Wenn alle Höllenschilderer vom Neuen
Testament bis auf Dante die Hölle stets in den abschreckendsten Farben schildern,
so scheint mir das eine ganz einseitige Auffassung zu sein. Ich kann mir sehr
wohl eine Hölle vorstellen, die durch Schönheit und Lieblichkeit die armen Ver¬
dammten über die Qualen täuschen soll, die ihrer dort harren. So eine Hölle
denke ich mir in Gestalt eines japanischen Gasthofes. Ahnungslos bilden sich
die armen Seelen ein, im Himmel zu sein, wenn sie dort angelangt sind; aber
wie bald kommt die Enttäuschung nach! Stundenlang auf dem Fußboden kauern
zu müssen, ist eine wahre Pein. Bisweilen gibt es aber auch Stühle -- neue
Enttäuschung! Der Sitz ist zu kurz, die Lehne zu gerade, und dabei droht so
ein Ding jeden Augenblick unter der ungewohnten Last zusammenzubrechen.
Essen -- allerliebst serviert und recht schmackhaft zubereitet, besonders roher Fisch,
aber weder sättigend noch nahrhaft. Von den Eßstäbchen will ich gar nicht
reden -- ich lerne eher auf dem Seile tanzen, als mit Eßstäbchen turnen! Zur
Nacht ein sauberes Bett, und so weich und schön, daß man sich vor Hitze nicht
zu lassen weiß und sich durch Flöhesuchen die Zeit und den Schlaf vertreibt.
Ich nehme an, daß sich dieser japanische Gasthof gerade auf der Grenze zwischen
Himmel und Hölle befindet und speziell für Sanguiniker und Optimisten bestimmt
ist. Ist er zufällig valant, so dient er vermutlich als interimistischer Himmel
für selige Japaner, d. h. natürlich' nur für getaufte.

Trotz all dieser Mißstände war die Reise doch sehr genußreich. Die beiden
Glanzpunkte derselben waren Minajima und Kompira. Auf Minajima befindet
sich ein berühmtes shintoistisches Heiligtum, das aus dem zwölften Jahrhundert


Briefe aus Gstasien

rann war verhältnismäßig luxuriös ausgestattet, denn an der Außenwand befand
sich ein Sofa, auf dem wir uns zur Not ausstrecken konnten, was wir auch
taten. Aber dorthin zu gelangen, war auch mit einigen Schwierigkeiten ver¬
bunden, da etwa zehn japanische Passagiere sich bereits wie die Heringe auf
dem Fußboden ausgestreckt hatten und teils rauchten oder Tee tranken, teils
schliefen. Kaum hatten wir uns häuslich eingerichtet, da entbrannte auch schon
ein wütender Kampf zwischen Moskitos und Flöhen, die sich um die Beute
stritten. Allgemeines Stöhnen, Fächeln, Jucken und Kratzen. Dabei eine
Temperatur, die schon keine mehr war, denn wegen des hohen Seeganges
mußten sämtliche Luken geschlossen werden. Durch eine der letzteren, die zufällig
nicht ganz hermetisch geschlossen war, ergoß sich plötzlich eine ganze Sturzwelle
über Lillvs Haupt. Kurz — als wir endlich in Kobe angelangt waren, konnten
wir uns ungefähr vorstellen, wie dem unverdaulichen Jonas zu Mute war, als
ihn der antisemitische Walfisch endlich wieder von sich gab. Welche Wonne,
wieder in einem europäisch eingerichteten Gasthof sich behaglich im Bette aus¬
strecken und auf Stühlen sitzen zu können, nachdem man die ganze Zeit hatte
auf Matten hocken und herumkrabbeln müssen!

Ja, die japanischen Hotels! Sie sind das niedlichste, sauberste, was man
sich an menschlichen Behausungen vorstellen kann — und dennoch ist solch ein
Puppenschrein ein Ort der Qual. Wenn alle Höllenschilderer vom Neuen
Testament bis auf Dante die Hölle stets in den abschreckendsten Farben schildern,
so scheint mir das eine ganz einseitige Auffassung zu sein. Ich kann mir sehr
wohl eine Hölle vorstellen, die durch Schönheit und Lieblichkeit die armen Ver¬
dammten über die Qualen täuschen soll, die ihrer dort harren. So eine Hölle
denke ich mir in Gestalt eines japanischen Gasthofes. Ahnungslos bilden sich
die armen Seelen ein, im Himmel zu sein, wenn sie dort angelangt sind; aber
wie bald kommt die Enttäuschung nach! Stundenlang auf dem Fußboden kauern
zu müssen, ist eine wahre Pein. Bisweilen gibt es aber auch Stühle — neue
Enttäuschung! Der Sitz ist zu kurz, die Lehne zu gerade, und dabei droht so
ein Ding jeden Augenblick unter der ungewohnten Last zusammenzubrechen.
Essen — allerliebst serviert und recht schmackhaft zubereitet, besonders roher Fisch,
aber weder sättigend noch nahrhaft. Von den Eßstäbchen will ich gar nicht
reden — ich lerne eher auf dem Seile tanzen, als mit Eßstäbchen turnen! Zur
Nacht ein sauberes Bett, und so weich und schön, daß man sich vor Hitze nicht
zu lassen weiß und sich durch Flöhesuchen die Zeit und den Schlaf vertreibt.
Ich nehme an, daß sich dieser japanische Gasthof gerade auf der Grenze zwischen
Himmel und Hölle befindet und speziell für Sanguiniker und Optimisten bestimmt
ist. Ist er zufällig valant, so dient er vermutlich als interimistischer Himmel
für selige Japaner, d. h. natürlich' nur für getaufte.

Trotz all dieser Mißstände war die Reise doch sehr genußreich. Die beiden
Glanzpunkte derselben waren Minajima und Kompira. Auf Minajima befindet
sich ein berühmtes shintoistisches Heiligtum, das aus dem zwölften Jahrhundert


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[0142] Briefe aus Gstasien rann war verhältnismäßig luxuriös ausgestattet, denn an der Außenwand befand sich ein Sofa, auf dem wir uns zur Not ausstrecken konnten, was wir auch taten. Aber dorthin zu gelangen, war auch mit einigen Schwierigkeiten ver¬ bunden, da etwa zehn japanische Passagiere sich bereits wie die Heringe auf dem Fußboden ausgestreckt hatten und teils rauchten oder Tee tranken, teils schliefen. Kaum hatten wir uns häuslich eingerichtet, da entbrannte auch schon ein wütender Kampf zwischen Moskitos und Flöhen, die sich um die Beute stritten. Allgemeines Stöhnen, Fächeln, Jucken und Kratzen. Dabei eine Temperatur, die schon keine mehr war, denn wegen des hohen Seeganges mußten sämtliche Luken geschlossen werden. Durch eine der letzteren, die zufällig nicht ganz hermetisch geschlossen war, ergoß sich plötzlich eine ganze Sturzwelle über Lillvs Haupt. Kurz — als wir endlich in Kobe angelangt waren, konnten wir uns ungefähr vorstellen, wie dem unverdaulichen Jonas zu Mute war, als ihn der antisemitische Walfisch endlich wieder von sich gab. Welche Wonne, wieder in einem europäisch eingerichteten Gasthof sich behaglich im Bette aus¬ strecken und auf Stühlen sitzen zu können, nachdem man die ganze Zeit hatte auf Matten hocken und herumkrabbeln müssen! Ja, die japanischen Hotels! Sie sind das niedlichste, sauberste, was man sich an menschlichen Behausungen vorstellen kann — und dennoch ist solch ein Puppenschrein ein Ort der Qual. Wenn alle Höllenschilderer vom Neuen Testament bis auf Dante die Hölle stets in den abschreckendsten Farben schildern, so scheint mir das eine ganz einseitige Auffassung zu sein. Ich kann mir sehr wohl eine Hölle vorstellen, die durch Schönheit und Lieblichkeit die armen Ver¬ dammten über die Qualen täuschen soll, die ihrer dort harren. So eine Hölle denke ich mir in Gestalt eines japanischen Gasthofes. Ahnungslos bilden sich die armen Seelen ein, im Himmel zu sein, wenn sie dort angelangt sind; aber wie bald kommt die Enttäuschung nach! Stundenlang auf dem Fußboden kauern zu müssen, ist eine wahre Pein. Bisweilen gibt es aber auch Stühle — neue Enttäuschung! Der Sitz ist zu kurz, die Lehne zu gerade, und dabei droht so ein Ding jeden Augenblick unter der ungewohnten Last zusammenzubrechen. Essen — allerliebst serviert und recht schmackhaft zubereitet, besonders roher Fisch, aber weder sättigend noch nahrhaft. Von den Eßstäbchen will ich gar nicht reden — ich lerne eher auf dem Seile tanzen, als mit Eßstäbchen turnen! Zur Nacht ein sauberes Bett, und so weich und schön, daß man sich vor Hitze nicht zu lassen weiß und sich durch Flöhesuchen die Zeit und den Schlaf vertreibt. Ich nehme an, daß sich dieser japanische Gasthof gerade auf der Grenze zwischen Himmel und Hölle befindet und speziell für Sanguiniker und Optimisten bestimmt ist. Ist er zufällig valant, so dient er vermutlich als interimistischer Himmel für selige Japaner, d. h. natürlich' nur für getaufte. Trotz all dieser Mißstände war die Reise doch sehr genußreich. Die beiden Glanzpunkte derselben waren Minajima und Kompira. Auf Minajima befindet sich ein berühmtes shintoistisches Heiligtum, das aus dem zwölften Jahrhundert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/142>, abgerufen am 23.07.2024.