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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Briefe aus Gstasien

So kamen wir erst vorgestern vor Tagesanbruch in Chemulpo an. In der
Hoffnung, während des sast zweitägigen Aufenthalts daselbst einen Ausflug nach
Seul, der Hauptstadt Koreas, machen zu können, ließen wir uns an Land rudern,
erfuhren jedoch, daß die Wege infolge andauernder Regengüsse unpassierbar
seien und die Fahrt daher statt der unter normalen Verhältnissen erforderlichen
fünf bis sechs Stunden ganze neun Stunden in Anspruch nehmen würde. So
mußten wir schweren Herzens auf diese so einzig interessante Exkursion ver¬
zichten und uns mit einer kleinen Spazierfahrt nach einem anderthalb Stunden
von Chemulpo entfernten koreanischen Dorf begnügen, um doch wenigstens etwas
von Korea zu sehen. Interessant war es, wenn auch nicht gerade zu längerem
Aufenthalt einladend, denn von der Armseligkeit und Reizlosigkeit einer korea¬
nischen Stadt kannst Du Dir schwer eine Vorstellung machen. Die Häuser sind
elende Lehmhütten mit Stroh gedeckt, so niedrig, daß man kaum aufrecht darin
stehen kann, dabei außerordentlich unsauber. Man sollte meinen, ein Regenguß
müßte genügen, um so ein "Haus" fortzuschwemmen. Die ärmlichsten chinesischen
Bauernhäuser sind noch wahre Paläste dagegen! Und nun vollends die Ein¬
förmigkeit des Ganzen, die durch keine Pagode, keinen Tempel oder dergleichen
unterbrochen wird! Aus der Vogelperspektive nehmen sich die Strohdächer einer
koreanischen Niederlassung wie ein großer Pilzhaufen aus.

Die Koreaner selbst machen in ihren ausnahmslos weißen Gewändern einen
eigentümlich feierlichen Eindruck. Unter den Männern sieht man viele stattliche
Gestalten und hübsche, an den kaukasischen Typus erinnernde Gesichter. Die
Frauen hingegen sind von abschreckender Häßlichkeit und ersetzen, was ihnen
an natürlicher Schönheit abgeht, durch die denkbar häßlichste Tracht. Sie tragen
eine kurze figaroartige Jacke, die jedoch nur so weit reicht, als Damen en äöcolletö
entblößt zu sein pflegen. Was selbst bei den extravagantesten unter den letzteren
schamhaft verhüllt bleibt, ist hier in größter Ungeniertheit den Blicken aller
ausgesetzt -- gleich als handele es sich um eine Ammenparade.. Dicht unter¬
halb der Brust umgürten sich diese Damen mit einem buschigen weißen Rock,
der bis an die Füße reicht. Zu alledem binden sie sich noch eine breite falten¬
reiche Schürze -- nicht etwa um die Taille, sondern um den Kopf, als eine
Art Schleier, durch den die Rücksichtsvolleren ihren Anblick der leidenden Mit¬
welt ersparen.

Landschaftlich war der Weg recht hübsch -- vulkanische Formationen können
ja nie ganz reizlos sein. Die grasbewachsenen Hügel zeichneten sich durch
anmutige Konturen aus, und der Blick auf das inselbedeckte Meer bleibt ja
immer schön. Schade nur, daß die Berge alle so kahl sind -- von Baumwuchs
gewahrten wir nur wenige Spuren.

Seit gestern nachmittag sind wir wieder unterwegs nach Fu-san, wo wir
morgen früh ankommen sollen. Die Fahrt durch den inselreichen koreanischen
Archipel ist sehr genußreich, das Wetter kühl, die See spiegelglatt. . .




Briefe aus Gstasien

So kamen wir erst vorgestern vor Tagesanbruch in Chemulpo an. In der
Hoffnung, während des sast zweitägigen Aufenthalts daselbst einen Ausflug nach
Seul, der Hauptstadt Koreas, machen zu können, ließen wir uns an Land rudern,
erfuhren jedoch, daß die Wege infolge andauernder Regengüsse unpassierbar
seien und die Fahrt daher statt der unter normalen Verhältnissen erforderlichen
fünf bis sechs Stunden ganze neun Stunden in Anspruch nehmen würde. So
mußten wir schweren Herzens auf diese so einzig interessante Exkursion ver¬
zichten und uns mit einer kleinen Spazierfahrt nach einem anderthalb Stunden
von Chemulpo entfernten koreanischen Dorf begnügen, um doch wenigstens etwas
von Korea zu sehen. Interessant war es, wenn auch nicht gerade zu längerem
Aufenthalt einladend, denn von der Armseligkeit und Reizlosigkeit einer korea¬
nischen Stadt kannst Du Dir schwer eine Vorstellung machen. Die Häuser sind
elende Lehmhütten mit Stroh gedeckt, so niedrig, daß man kaum aufrecht darin
stehen kann, dabei außerordentlich unsauber. Man sollte meinen, ein Regenguß
müßte genügen, um so ein „Haus" fortzuschwemmen. Die ärmlichsten chinesischen
Bauernhäuser sind noch wahre Paläste dagegen! Und nun vollends die Ein¬
förmigkeit des Ganzen, die durch keine Pagode, keinen Tempel oder dergleichen
unterbrochen wird! Aus der Vogelperspektive nehmen sich die Strohdächer einer
koreanischen Niederlassung wie ein großer Pilzhaufen aus.

Die Koreaner selbst machen in ihren ausnahmslos weißen Gewändern einen
eigentümlich feierlichen Eindruck. Unter den Männern sieht man viele stattliche
Gestalten und hübsche, an den kaukasischen Typus erinnernde Gesichter. Die
Frauen hingegen sind von abschreckender Häßlichkeit und ersetzen, was ihnen
an natürlicher Schönheit abgeht, durch die denkbar häßlichste Tracht. Sie tragen
eine kurze figaroartige Jacke, die jedoch nur so weit reicht, als Damen en äöcolletö
entblößt zu sein pflegen. Was selbst bei den extravagantesten unter den letzteren
schamhaft verhüllt bleibt, ist hier in größter Ungeniertheit den Blicken aller
ausgesetzt — gleich als handele es sich um eine Ammenparade.. Dicht unter¬
halb der Brust umgürten sich diese Damen mit einem buschigen weißen Rock,
der bis an die Füße reicht. Zu alledem binden sie sich noch eine breite falten¬
reiche Schürze — nicht etwa um die Taille, sondern um den Kopf, als eine
Art Schleier, durch den die Rücksichtsvolleren ihren Anblick der leidenden Mit¬
welt ersparen.

Landschaftlich war der Weg recht hübsch — vulkanische Formationen können
ja nie ganz reizlos sein. Die grasbewachsenen Hügel zeichneten sich durch
anmutige Konturen aus, und der Blick auf das inselbedeckte Meer bleibt ja
immer schön. Schade nur, daß die Berge alle so kahl sind — von Baumwuchs
gewahrten wir nur wenige Spuren.

Seit gestern nachmittag sind wir wieder unterwegs nach Fu-san, wo wir
morgen früh ankommen sollen. Die Fahrt durch den inselreichen koreanischen
Archipel ist sehr genußreich, das Wetter kühl, die See spiegelglatt. . .




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[0140] Briefe aus Gstasien So kamen wir erst vorgestern vor Tagesanbruch in Chemulpo an. In der Hoffnung, während des sast zweitägigen Aufenthalts daselbst einen Ausflug nach Seul, der Hauptstadt Koreas, machen zu können, ließen wir uns an Land rudern, erfuhren jedoch, daß die Wege infolge andauernder Regengüsse unpassierbar seien und die Fahrt daher statt der unter normalen Verhältnissen erforderlichen fünf bis sechs Stunden ganze neun Stunden in Anspruch nehmen würde. So mußten wir schweren Herzens auf diese so einzig interessante Exkursion ver¬ zichten und uns mit einer kleinen Spazierfahrt nach einem anderthalb Stunden von Chemulpo entfernten koreanischen Dorf begnügen, um doch wenigstens etwas von Korea zu sehen. Interessant war es, wenn auch nicht gerade zu längerem Aufenthalt einladend, denn von der Armseligkeit und Reizlosigkeit einer korea¬ nischen Stadt kannst Du Dir schwer eine Vorstellung machen. Die Häuser sind elende Lehmhütten mit Stroh gedeckt, so niedrig, daß man kaum aufrecht darin stehen kann, dabei außerordentlich unsauber. Man sollte meinen, ein Regenguß müßte genügen, um so ein „Haus" fortzuschwemmen. Die ärmlichsten chinesischen Bauernhäuser sind noch wahre Paläste dagegen! Und nun vollends die Ein¬ förmigkeit des Ganzen, die durch keine Pagode, keinen Tempel oder dergleichen unterbrochen wird! Aus der Vogelperspektive nehmen sich die Strohdächer einer koreanischen Niederlassung wie ein großer Pilzhaufen aus. Die Koreaner selbst machen in ihren ausnahmslos weißen Gewändern einen eigentümlich feierlichen Eindruck. Unter den Männern sieht man viele stattliche Gestalten und hübsche, an den kaukasischen Typus erinnernde Gesichter. Die Frauen hingegen sind von abschreckender Häßlichkeit und ersetzen, was ihnen an natürlicher Schönheit abgeht, durch die denkbar häßlichste Tracht. Sie tragen eine kurze figaroartige Jacke, die jedoch nur so weit reicht, als Damen en äöcolletö entblößt zu sein pflegen. Was selbst bei den extravagantesten unter den letzteren schamhaft verhüllt bleibt, ist hier in größter Ungeniertheit den Blicken aller ausgesetzt — gleich als handele es sich um eine Ammenparade.. Dicht unter¬ halb der Brust umgürten sich diese Damen mit einem buschigen weißen Rock, der bis an die Füße reicht. Zu alledem binden sie sich noch eine breite falten¬ reiche Schürze — nicht etwa um die Taille, sondern um den Kopf, als eine Art Schleier, durch den die Rücksichtsvolleren ihren Anblick der leidenden Mit¬ welt ersparen. Landschaftlich war der Weg recht hübsch — vulkanische Formationen können ja nie ganz reizlos sein. Die grasbewachsenen Hügel zeichneten sich durch anmutige Konturen aus, und der Blick auf das inselbedeckte Meer bleibt ja immer schön. Schade nur, daß die Berge alle so kahl sind — von Baumwuchs gewahrten wir nur wenige Spuren. Seit gestern nachmittag sind wir wieder unterwegs nach Fu-san, wo wir morgen früh ankommen sollen. Die Fahrt durch den inselreichen koreanischen Archipel ist sehr genußreich, das Wetter kühl, die See spiegelglatt. . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/140>, abgerufen am 25.08.2024.