Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.Das Problem der Wahlreform in Ungarn von Prof. Dr. O, Samasfa 8^in 18. März fand im siebenbürgischen Wahlkreise Szek eine Nach¬ Aus welchen Bedürfnissen heraus ist nun das bestehende Wahlrecht geschaffen *) Ein reiches Material über die bei den Wahlen im Jahre 1910 geübten Mißbräuche
findet sich in dem Buche des Engländers Selon-Watson (Sootus viator): "Lorruptlon enet Kekorm in tüunZgr^", das demnächst auch in deutscher Übersetzung erscheinen dürfte. Das Problem der Wahlreform in Ungarn von Prof. Dr. O, Samasfa 8^in 18. März fand im siebenbürgischen Wahlkreise Szek eine Nach¬ Aus welchen Bedürfnissen heraus ist nun das bestehende Wahlrecht geschaffen *) Ein reiches Material über die bei den Wahlen im Jahre 1910 geübten Mißbräuche
findet sich in dem Buche des Engländers Selon-Watson (Sootus viator): „Lorruptlon enet Kekorm in tüunZgr^", das demnächst auch in deutscher Übersetzung erscheinen dürfte. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321211"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_321082/figures/grenzboten_341895_321082_321211_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Das Problem der Wahlreform in Ungarn<lb/><note type="byline"> von Prof. Dr. O, Samasfa</note></head><lb/> <p xml:id="ID_522"> 8^in 18. März fand im siebenbürgischen Wahlkreise Szek eine Nach¬<lb/> wahl für den ungarischen Reichstag statt. Der Wahlbezirk besitzt<lb/> einhundertzwölf Wähler. In der Regel wurde der Kandidat für<lb/> die Wahl hier einfach von der Regierung aufgestellt; der Kandidat<lb/> ^übergab dann einem Unternehmer oder Wahlmacher (in Ungarn<lb/> Kortesch genannt) eine bestimmte Summe, für die dieser alles Nötige besorgte,<lb/> d. h. dafür bürgte, daß die für die Mehrheit nötige Anzahl von Wählern<lb/> bestochen werde und nur ihn wähle. So ging denn gewöhnlich alles ganz<lb/> ruhig und „ordentlich" zu. Diesmal hatte es aber offenbar vorher Verwirrung<lb/> gegeben;' der Wahlmacher hatte den Kreis an einen Kandidaten verkauft, der<lb/> zwar auch erklärte, sich der Regierungspartei anzuschließen, aber die Genehmigung<lb/> der Ortsbehörde nicht gefunden hatte. Der Oberstuhlrichter stellte seinen Onkel<lb/> als amtlichen Kandidaten auf, den wilden Regierungskaudidaten sperrte man zwei<lb/> Tage vor der Wahl ein, ebenso einige seiner Anhänger, während gleichzeitig<lb/> eine Kompagnie Infanterie und eine Schwadron Honveds sowie vierundvierzig<lb/> Gendarmen im Wahlkreise „zur Aufrechterhaltung der Ordnung" zusammen¬<lb/> gezogen wurden. Der amtliche Kandidat erhielt vierundvierzig Stimmen,<lb/> während der Gegenkandidat mit neununddreißig unterlag. Das ist ein kleines<lb/> Stilleben aus der ungarischen Wahlpraxis. Wenn man ferner erfährt, daß es<lb/> neben solchen kleinen Wahlkreisen Bezirke mit über sechstausend Wählern gibt,<lb/> wird man das ungarische Wahlrecht mit guten Gründen für merkwürdig und<lb/> reformbedürftig halten dürfen.*)</p><lb/> <p xml:id="ID_523" next="#ID_524"> Aus welchen Bedürfnissen heraus ist nun das bestehende Wahlrecht geschaffen<lb/> worden? Erst nach Beantwortung dieser Frage ist das game Problem über¬<lb/> haupt verständlich. Nach Ausweis der Volkszählung von 1900 bilden die<lb/> Magyaren im eigentlichen Ungarn (also ohne Kroatien) eine Mehrheit von<lb/> 51,4 Prozent. Obwohl sich bei der Art, wie die Volkszählung in Ungarn in</p><lb/> <note xml:id="FID_18" place="foot"> *) Ein reiches Material über die bei den Wahlen im Jahre 1910 geübten Mißbräuche<lb/> findet sich in dem Buche des Engländers Selon-Watson (Sootus viator): „Lorruptlon enet<lb/> Kekorm in tüunZgr^", das demnächst auch in deutscher Übersetzung erscheinen dürfte.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0128]
[Abbildung]
Das Problem der Wahlreform in Ungarn
von Prof. Dr. O, Samasfa
8^in 18. März fand im siebenbürgischen Wahlkreise Szek eine Nach¬
wahl für den ungarischen Reichstag statt. Der Wahlbezirk besitzt
einhundertzwölf Wähler. In der Regel wurde der Kandidat für
die Wahl hier einfach von der Regierung aufgestellt; der Kandidat
^übergab dann einem Unternehmer oder Wahlmacher (in Ungarn
Kortesch genannt) eine bestimmte Summe, für die dieser alles Nötige besorgte,
d. h. dafür bürgte, daß die für die Mehrheit nötige Anzahl von Wählern
bestochen werde und nur ihn wähle. So ging denn gewöhnlich alles ganz
ruhig und „ordentlich" zu. Diesmal hatte es aber offenbar vorher Verwirrung
gegeben;' der Wahlmacher hatte den Kreis an einen Kandidaten verkauft, der
zwar auch erklärte, sich der Regierungspartei anzuschließen, aber die Genehmigung
der Ortsbehörde nicht gefunden hatte. Der Oberstuhlrichter stellte seinen Onkel
als amtlichen Kandidaten auf, den wilden Regierungskaudidaten sperrte man zwei
Tage vor der Wahl ein, ebenso einige seiner Anhänger, während gleichzeitig
eine Kompagnie Infanterie und eine Schwadron Honveds sowie vierundvierzig
Gendarmen im Wahlkreise „zur Aufrechterhaltung der Ordnung" zusammen¬
gezogen wurden. Der amtliche Kandidat erhielt vierundvierzig Stimmen,
während der Gegenkandidat mit neununddreißig unterlag. Das ist ein kleines
Stilleben aus der ungarischen Wahlpraxis. Wenn man ferner erfährt, daß es
neben solchen kleinen Wahlkreisen Bezirke mit über sechstausend Wählern gibt,
wird man das ungarische Wahlrecht mit guten Gründen für merkwürdig und
reformbedürftig halten dürfen.*)
Aus welchen Bedürfnissen heraus ist nun das bestehende Wahlrecht geschaffen
worden? Erst nach Beantwortung dieser Frage ist das game Problem über¬
haupt verständlich. Nach Ausweis der Volkszählung von 1900 bilden die
Magyaren im eigentlichen Ungarn (also ohne Kroatien) eine Mehrheit von
51,4 Prozent. Obwohl sich bei der Art, wie die Volkszählung in Ungarn in
*) Ein reiches Material über die bei den Wahlen im Jahre 1910 geübten Mißbräuche
findet sich in dem Buche des Engländers Selon-Watson (Sootus viator): „Lorruptlon enet
Kekorm in tüunZgr^", das demnächst auch in deutscher Übersetzung erscheinen dürfte.
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