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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr.

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Rußland, Frankreich "ut Deutschland

interessant, daß es notwendig erscheint, sie hier in dem Wortlaut wiederzugeben,
wie Ssaburow sie mitteilt.

Zunächst Gortschakow: "Frankreich hat sich an uns gewandt, um es gegen
die kriegerischen Absichten der deutschen Militärpakte! zu schützen. Der Kaiser
hat sich darüber mit dem Kaiser Wilhelm auseinandergesetzt, der ihn in dieser
Beziehung vollkommen beruhigt hat, indem er ihm sagte, daß, so lange er lebe,
Deutschland nicht Krieg anfangen würde. Meinerseits habe ich mit Bismarck
eine freundschaftliche, aber entschiedene Auseinandersetzung gehabt. Er hat sich
beklagt, daß man seinen Wunsch, den Frieden zu erhalten, anzweifle, während
er die Nächte schlaflos bei der Arbeit zubringe, die das Ziel habe, ihn zu
sichern. Ich habe ihm geantwortet: .Diese schlaflosen Nächte gerade beunruhigen
uns. Erinnern Sie sich, daß Sie die Last Ihres Ruhmes tragen: wenn Sie
an Schlaflosigkeit leiden, kann Europa nicht schlafen; wenn Sie Migräne haben,
hat Europa Fieber.' Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß
er das Kompliment und die Lektion als Mann von Geist aufgenommen hat.
Er hat jede feindselige Absicht gegen Frankreich geleugnet; er hat ihm nur einen
freundschaftlichen Wink geben wollen. Wir haben uns auf dem besten Fuße
getrennt."

Lord Odo Russell gab folgende Darstellung: "Eines Tages erhielt ich eine
Depesche des Foreign Office, die mir mitteilte, daß man in Paris sehr beun¬
ruhigt wäre über eine Unterredung von Radowitz mit Gontaut-Biron. Ich begab
mich zum Fürsten Bismarck, um ihn zu bitten, mich in die Lage zu versetzen,
meine Regierung zu beruhigen. Der Fürst beauftragte mich, nach London zu
schreiben, daß man seiner Einsicht Unrecht täte, wenn man voraussetzte, daß er
die Existenz des Deutschen Reichs wieder den Wechselfällen des Krieges aus¬
setzen wolle; nicht Frankreich, sondern den Militärs beider Länder zürne er;
wenn es nach ihnen ginge, würde der Krieg sehr schnell entbrannt sein; um
die Leitung dieser brennenden Fragen wieder in die Hand zu bekommen, habe
er beschlossen, sie auf den Boden diplomatischer Auseinandersetzungen zu stellen;
die Auseinandersetzung habe stattgefunden; das sei alles, was er gewollt habe,
und Krieg würde nicht daraus entstehen. Ich schrieb alle diese Einzelheiten an
Lord Derby. Einige Tage darauf kam Kaiser Alexander mit seinem Kanzler
nach Berlin- Zugleich erhielt ich zu meinem großen Erstaunen den Befehl, mich
dem Schritte anzuschließen, den Fürst Gortschakow bei dem deutschen Kanzler
zu unternehmen vorhatte. Ich mußte gehorchen, obwohl ich von der Unzweck-
mäßigkeit eines Schrittes überzeugt war, der wahrscheinlich den Fürsten Bismarck
verletzen würde. Daher entschloß ich mich, die Rolle der stummen Person im
Stück zu spielen. Ich fand mich, wie es bestimmt war, ein, eine Viertelstunde
nach dem Fürsten Gortschakow. der mich rin den Worten empfing: .Kommen
Sie, lieber Botschafter, Sie sind bei unserer Unterhaltung nicht überflüssig.' Ich
setzte mich und begnügte mich, zuzuhören und die Stöße in diesem Wortduell
zwischen den beiden Kanzlern zu zählen. Ich gestehe, daß meine ganze Bewun-


Rußland, Frankreich »ut Deutschland

interessant, daß es notwendig erscheint, sie hier in dem Wortlaut wiederzugeben,
wie Ssaburow sie mitteilt.

Zunächst Gortschakow: „Frankreich hat sich an uns gewandt, um es gegen
die kriegerischen Absichten der deutschen Militärpakte! zu schützen. Der Kaiser
hat sich darüber mit dem Kaiser Wilhelm auseinandergesetzt, der ihn in dieser
Beziehung vollkommen beruhigt hat, indem er ihm sagte, daß, so lange er lebe,
Deutschland nicht Krieg anfangen würde. Meinerseits habe ich mit Bismarck
eine freundschaftliche, aber entschiedene Auseinandersetzung gehabt. Er hat sich
beklagt, daß man seinen Wunsch, den Frieden zu erhalten, anzweifle, während
er die Nächte schlaflos bei der Arbeit zubringe, die das Ziel habe, ihn zu
sichern. Ich habe ihm geantwortet: .Diese schlaflosen Nächte gerade beunruhigen
uns. Erinnern Sie sich, daß Sie die Last Ihres Ruhmes tragen: wenn Sie
an Schlaflosigkeit leiden, kann Europa nicht schlafen; wenn Sie Migräne haben,
hat Europa Fieber.' Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß
er das Kompliment und die Lektion als Mann von Geist aufgenommen hat.
Er hat jede feindselige Absicht gegen Frankreich geleugnet; er hat ihm nur einen
freundschaftlichen Wink geben wollen. Wir haben uns auf dem besten Fuße
getrennt."

Lord Odo Russell gab folgende Darstellung: „Eines Tages erhielt ich eine
Depesche des Foreign Office, die mir mitteilte, daß man in Paris sehr beun¬
ruhigt wäre über eine Unterredung von Radowitz mit Gontaut-Biron. Ich begab
mich zum Fürsten Bismarck, um ihn zu bitten, mich in die Lage zu versetzen,
meine Regierung zu beruhigen. Der Fürst beauftragte mich, nach London zu
schreiben, daß man seiner Einsicht Unrecht täte, wenn man voraussetzte, daß er
die Existenz des Deutschen Reichs wieder den Wechselfällen des Krieges aus¬
setzen wolle; nicht Frankreich, sondern den Militärs beider Länder zürne er;
wenn es nach ihnen ginge, würde der Krieg sehr schnell entbrannt sein; um
die Leitung dieser brennenden Fragen wieder in die Hand zu bekommen, habe
er beschlossen, sie auf den Boden diplomatischer Auseinandersetzungen zu stellen;
die Auseinandersetzung habe stattgefunden; das sei alles, was er gewollt habe,
und Krieg würde nicht daraus entstehen. Ich schrieb alle diese Einzelheiten an
Lord Derby. Einige Tage darauf kam Kaiser Alexander mit seinem Kanzler
nach Berlin- Zugleich erhielt ich zu meinem großen Erstaunen den Befehl, mich
dem Schritte anzuschließen, den Fürst Gortschakow bei dem deutschen Kanzler
zu unternehmen vorhatte. Ich mußte gehorchen, obwohl ich von der Unzweck-
mäßigkeit eines Schrittes überzeugt war, der wahrscheinlich den Fürsten Bismarck
verletzen würde. Daher entschloß ich mich, die Rolle der stummen Person im
Stück zu spielen. Ich fand mich, wie es bestimmt war, ein, eine Viertelstunde
nach dem Fürsten Gortschakow. der mich rin den Worten empfing: .Kommen
Sie, lieber Botschafter, Sie sind bei unserer Unterhaltung nicht überflüssig.' Ich
setzte mich und begnügte mich, zuzuhören und die Stöße in diesem Wortduell
zwischen den beiden Kanzlern zu zählen. Ich gestehe, daß meine ganze Bewun-


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[0115] Rußland, Frankreich »ut Deutschland interessant, daß es notwendig erscheint, sie hier in dem Wortlaut wiederzugeben, wie Ssaburow sie mitteilt. Zunächst Gortschakow: „Frankreich hat sich an uns gewandt, um es gegen die kriegerischen Absichten der deutschen Militärpakte! zu schützen. Der Kaiser hat sich darüber mit dem Kaiser Wilhelm auseinandergesetzt, der ihn in dieser Beziehung vollkommen beruhigt hat, indem er ihm sagte, daß, so lange er lebe, Deutschland nicht Krieg anfangen würde. Meinerseits habe ich mit Bismarck eine freundschaftliche, aber entschiedene Auseinandersetzung gehabt. Er hat sich beklagt, daß man seinen Wunsch, den Frieden zu erhalten, anzweifle, während er die Nächte schlaflos bei der Arbeit zubringe, die das Ziel habe, ihn zu sichern. Ich habe ihm geantwortet: .Diese schlaflosen Nächte gerade beunruhigen uns. Erinnern Sie sich, daß Sie die Last Ihres Ruhmes tragen: wenn Sie an Schlaflosigkeit leiden, kann Europa nicht schlafen; wenn Sie Migräne haben, hat Europa Fieber.' Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er das Kompliment und die Lektion als Mann von Geist aufgenommen hat. Er hat jede feindselige Absicht gegen Frankreich geleugnet; er hat ihm nur einen freundschaftlichen Wink geben wollen. Wir haben uns auf dem besten Fuße getrennt." Lord Odo Russell gab folgende Darstellung: „Eines Tages erhielt ich eine Depesche des Foreign Office, die mir mitteilte, daß man in Paris sehr beun¬ ruhigt wäre über eine Unterredung von Radowitz mit Gontaut-Biron. Ich begab mich zum Fürsten Bismarck, um ihn zu bitten, mich in die Lage zu versetzen, meine Regierung zu beruhigen. Der Fürst beauftragte mich, nach London zu schreiben, daß man seiner Einsicht Unrecht täte, wenn man voraussetzte, daß er die Existenz des Deutschen Reichs wieder den Wechselfällen des Krieges aus¬ setzen wolle; nicht Frankreich, sondern den Militärs beider Länder zürne er; wenn es nach ihnen ginge, würde der Krieg sehr schnell entbrannt sein; um die Leitung dieser brennenden Fragen wieder in die Hand zu bekommen, habe er beschlossen, sie auf den Boden diplomatischer Auseinandersetzungen zu stellen; die Auseinandersetzung habe stattgefunden; das sei alles, was er gewollt habe, und Krieg würde nicht daraus entstehen. Ich schrieb alle diese Einzelheiten an Lord Derby. Einige Tage darauf kam Kaiser Alexander mit seinem Kanzler nach Berlin- Zugleich erhielt ich zu meinem großen Erstaunen den Befehl, mich dem Schritte anzuschließen, den Fürst Gortschakow bei dem deutschen Kanzler zu unternehmen vorhatte. Ich mußte gehorchen, obwohl ich von der Unzweck- mäßigkeit eines Schrittes überzeugt war, der wahrscheinlich den Fürsten Bismarck verletzen würde. Daher entschloß ich mich, die Rolle der stummen Person im Stück zu spielen. Ich fand mich, wie es bestimmt war, ein, eine Viertelstunde nach dem Fürsten Gortschakow. der mich rin den Worten empfing: .Kommen Sie, lieber Botschafter, Sie sind bei unserer Unterhaltung nicht überflüssig.' Ich setzte mich und begnügte mich, zuzuhören und die Stöße in diesem Wortduell zwischen den beiden Kanzlern zu zählen. Ich gestehe, daß meine ganze Bewun-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321082/115>, abgerufen am 23.07.2024.