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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Persien

die Nacht als deutlich erkennbarer, dunkler Schatten am östlichen Horizont
emporsteigt, dann ruht noch der letzte Sonnenstrahl auf dem Gipfel der Dema-
wänd. Einer riesigen Fackel gleich, als wäre das innere Feuer wieder in ihm
lebendig geworden, so leuchtet der einsame Vulkan durch die blaue Nacht.
Höher und höher hinauf steigen die Schatten, nur um die höchste äußerste
Spitze flutet jetzt noch das Sonnenlicht, und im nächsten Augenblick ist alles wie
ein Spuk im Dunkel der Nacht verschwunden. Aber nicht das ist es, was den
Zauber des Orients erklären könnte, nicht die Pracht der leuchtenden Farben,
nicht die in unserer nordischen Heimat so vermißte Sonne, die dort tagtäglich
am wolkenlosen Himmel aufgeht. Sonne, Licht und Farben haben wir anch
in den südlichen Ländern Europas, aber diese vermögen uns nicht gleich dem
Orient mit tausend Klammern zu halten. Der Grund muß also tiefer liegen
und in das innere Leben hinüberreichen.

Man glaubt in den sogenannten Kulturländern eine charakteristische Er¬
scheinung des Wirtschaftslebens treffend mit dem Worte "eins l8 more^" zu
kennzeichnen. Ist das, wie es manches Mal scheinen möchte, wirklich der
eigentliche Inhalt, das Ziel unserer Entwicklung, so treiben wir mit allen unseren
Errungenschaften zum kulturelle" Selbstmord, und der Orient wird ruhig weiter¬
dauern wie er ist, wenn wir längst zu bestehen aufgehört haben. Nicht viele
Generationen nach uus werden mit derselben rastlosen Steigerung den Raubbau
weitertreiben können, den wir in Überschätzung unserer Kräfte mit unseren Nerven,
in Überschätzung der Technik mit den Reichtümern unseres Bodens treiben.
Wer einmal das Leben des Orients wirklich zu leben versucht hat, der fühlt
geradezu, wie Unruhe und Rastlosigkeit, die wie ein Druck aus ihm lasteten,
in dieser Umgebung verschwinden und die überreizten Nerven sich entspannen.
In diesem "Sich ausruhen' können" liegt meiner Ansicht nach das Geheimnis
des Orientzaubers, und um dieses Zaubers willen sollte man den Frieden des
alten Irans nicht stören. Ein Schienenstrang in der gewaltigen Einsamkeit der
Wüste, ein Fabrikschornstein, dessen Rauchfahne das leuchtende Himmelsblau
befleckt, kann das Märchenland entweihen. Herrscht erst der Moskowiter in
Teheran, im Jsphahan und im heiligen Mesched, so ist der Zauber für immer
gebrochen. . . .

Doch ich sollte Ihnen ja von Tatsachen erzählen und phantasiere nun schon
eine ganze Zeitlang nur von Stimmungen. Aber Sie müssen das schon mit
in Kauf nehmen. Wollten Sie das heutige und vor allem das zukünftige
Persien nur nach der Komödie der nackten Begebenheiten beurteilen, so wäre
es ein verzerrtes Bild, das Sie bekämen. Vielleicht werden doch noch einmal
andere Kräfte als die heute sichtbaren gestaltend auf die spätere Zukunft dieses
Landes wirken. Für die nächste Zukunft bleiben natürlich Rußland und England
die bestimmenden Faktoren in Persien, wie denn auch die Ereignisse der
nächsten Vergangenheit in der Hauptsache das Resultat dieser hinter den Kulissen
wirkenden Kräfte sind. Was Persien selbst zu seiner neuesten Geschichte bei-


Briefe aus Persien

die Nacht als deutlich erkennbarer, dunkler Schatten am östlichen Horizont
emporsteigt, dann ruht noch der letzte Sonnenstrahl auf dem Gipfel der Dema-
wänd. Einer riesigen Fackel gleich, als wäre das innere Feuer wieder in ihm
lebendig geworden, so leuchtet der einsame Vulkan durch die blaue Nacht.
Höher und höher hinauf steigen die Schatten, nur um die höchste äußerste
Spitze flutet jetzt noch das Sonnenlicht, und im nächsten Augenblick ist alles wie
ein Spuk im Dunkel der Nacht verschwunden. Aber nicht das ist es, was den
Zauber des Orients erklären könnte, nicht die Pracht der leuchtenden Farben,
nicht die in unserer nordischen Heimat so vermißte Sonne, die dort tagtäglich
am wolkenlosen Himmel aufgeht. Sonne, Licht und Farben haben wir anch
in den südlichen Ländern Europas, aber diese vermögen uns nicht gleich dem
Orient mit tausend Klammern zu halten. Der Grund muß also tiefer liegen
und in das innere Leben hinüberreichen.

Man glaubt in den sogenannten Kulturländern eine charakteristische Er¬
scheinung des Wirtschaftslebens treffend mit dem Worte „eins l8 more^" zu
kennzeichnen. Ist das, wie es manches Mal scheinen möchte, wirklich der
eigentliche Inhalt, das Ziel unserer Entwicklung, so treiben wir mit allen unseren
Errungenschaften zum kulturelle« Selbstmord, und der Orient wird ruhig weiter¬
dauern wie er ist, wenn wir längst zu bestehen aufgehört haben. Nicht viele
Generationen nach uus werden mit derselben rastlosen Steigerung den Raubbau
weitertreiben können, den wir in Überschätzung unserer Kräfte mit unseren Nerven,
in Überschätzung der Technik mit den Reichtümern unseres Bodens treiben.
Wer einmal das Leben des Orients wirklich zu leben versucht hat, der fühlt
geradezu, wie Unruhe und Rastlosigkeit, die wie ein Druck aus ihm lasteten,
in dieser Umgebung verschwinden und die überreizten Nerven sich entspannen.
In diesem „Sich ausruhen' können" liegt meiner Ansicht nach das Geheimnis
des Orientzaubers, und um dieses Zaubers willen sollte man den Frieden des
alten Irans nicht stören. Ein Schienenstrang in der gewaltigen Einsamkeit der
Wüste, ein Fabrikschornstein, dessen Rauchfahne das leuchtende Himmelsblau
befleckt, kann das Märchenland entweihen. Herrscht erst der Moskowiter in
Teheran, im Jsphahan und im heiligen Mesched, so ist der Zauber für immer
gebrochen. . . .

Doch ich sollte Ihnen ja von Tatsachen erzählen und phantasiere nun schon
eine ganze Zeitlang nur von Stimmungen. Aber Sie müssen das schon mit
in Kauf nehmen. Wollten Sie das heutige und vor allem das zukünftige
Persien nur nach der Komödie der nackten Begebenheiten beurteilen, so wäre
es ein verzerrtes Bild, das Sie bekämen. Vielleicht werden doch noch einmal
andere Kräfte als die heute sichtbaren gestaltend auf die spätere Zukunft dieses
Landes wirken. Für die nächste Zukunft bleiben natürlich Rußland und England
die bestimmenden Faktoren in Persien, wie denn auch die Ereignisse der
nächsten Vergangenheit in der Hauptsache das Resultat dieser hinter den Kulissen
wirkenden Kräfte sind. Was Persien selbst zu seiner neuesten Geschichte bei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/82>, abgerufen am 27.09.2024.