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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Fichte und die älteren Romantiker

sondern sich selbst durch immer mehr geläutertes Betrachten, immer tieferes Ein¬
dringen erheben und vervollkommnen. Sie findet zuletzt außer dem allgemeinen
Sinn noch als Höchstes die Liebe. Sie ist die Anziehungskraft der geistigen
Welt, ohne die alles in gleichförmige rohe Masse zerfließen würde. Schleier¬
macher hat den Flügelschlag des platonischen Eros gefühlt.

Er weiß aber so wenig wie jener Grieche und wie Hölderlin von diesem
in>LU8 contemplativus einen Weg in seine Zeit und ihr widersinniges Treiben
zu finden. Auch er verdammt "die Praxis der sogenannten verständigen Leute,
die das ganze Leben mit Arbeit und Spiel hingebracht wissen, nur keine ruhige,
hingegebene Beschauung" dulden wollen. Auch seiner echt romantischen Abneigung
gegen die einseitig herrschende Vernunft in Philosophie und Aufklärung macht er
in kräftigen Worten Luft. Gleich Hölderlin klagt er bitter über die Vernachlässigung
der seelische" Bedürfnisse in seiner Zeit. Aber so sehr er sich Fremdling fühlt
in ihr, so fest ist ihm die Gewißheit von einer späteren besseren Welt, von
einem "erhabenen Reich der Bildung und Sittlichkeit". Er nennt sich einen
"prophetischen Bürger einer späteren Welt".

Durch Friedrich Schlegel ist Schleiermacher mit den Romantikern zusammen¬
gekommen. Diesen war er auch innerlich nahe verwandt, und so konnte es
geschehen, daß er sie unmerklich Fichte entfremdete und ihnen einen tüchtigen
Anstoß zur Religion hin gab. Daß gegen das Ende des Athenäums die
Stimme der Religion immer vernehmlicher wird und jene von der Wissenschafts¬
lehre herstammenden Schlagwörter immer seltener, ist vornehmlich den Reden
über die Religion zuzuschreiben. Wäre Schleiermacher nicht so spät erst hervor¬
getreten, oder hätte die Schule noch einige Jahre zusammengehalten, so würde
der Umschwung bemerkbarer geworden sein.

Betrachtet man die Einwirkung Fichtes auf die Romantiker im ganzen,
so erhält man den Eindruck eines fortgesetzten Kampfes zwischen zwei grund¬
verschiedenen Richtungen, der sinnlich-romantischen aus den Tiefendes Gefühls¬
lebens herauf und der moralischen, die aus der Vernunfteinheit hergeleitet wird.
Daß Fichte trotz dieser inneren Verschiedenheit Friedrich Schlegel und Novalis
durch die Macht seiner Persönlichkeit so sehr beherrschte, brachte jenes schillernde
Gedankenspiel hervor, wo zwei Extreme sich abwechselnd anziehen und abstoßen
und durch ihr unmittelbares Nebeneinander manchen Geistesblitz erzeugen. Zu
einer galvanischen Vereinigung ist es nicht gekommen. Das eigentliche Ergebnis
der Fichteschen Philosophie für die Schule der Romantik ist der Universalismus
Friedrich Schlegels, der allerdings kaum über die Theorie hinausgekommen ist.
Wenn wir aber von den: Erfolg absehen und nur fragen, wie jene Männer
während der Blütezeit ihrer Schule gestimmt waren und was sie von der
Zukunft erwarteten, so können wir den Einfluß Fichtes auf sie nicht leicht zu hoch
einschätzen. Aber gerade jene maßlose Selbstüberschätzung mußte, wie schon bei
Friedrich Schlegel bemerkt wurde, den Umschlag ins Gegenteil zur Folge haben.




Fichte und die älteren Romantiker

sondern sich selbst durch immer mehr geläutertes Betrachten, immer tieferes Ein¬
dringen erheben und vervollkommnen. Sie findet zuletzt außer dem allgemeinen
Sinn noch als Höchstes die Liebe. Sie ist die Anziehungskraft der geistigen
Welt, ohne die alles in gleichförmige rohe Masse zerfließen würde. Schleier¬
macher hat den Flügelschlag des platonischen Eros gefühlt.

Er weiß aber so wenig wie jener Grieche und wie Hölderlin von diesem
in>LU8 contemplativus einen Weg in seine Zeit und ihr widersinniges Treiben
zu finden. Auch er verdammt „die Praxis der sogenannten verständigen Leute,
die das ganze Leben mit Arbeit und Spiel hingebracht wissen, nur keine ruhige,
hingegebene Beschauung" dulden wollen. Auch seiner echt romantischen Abneigung
gegen die einseitig herrschende Vernunft in Philosophie und Aufklärung macht er
in kräftigen Worten Luft. Gleich Hölderlin klagt er bitter über die Vernachlässigung
der seelische« Bedürfnisse in seiner Zeit. Aber so sehr er sich Fremdling fühlt
in ihr, so fest ist ihm die Gewißheit von einer späteren besseren Welt, von
einem „erhabenen Reich der Bildung und Sittlichkeit". Er nennt sich einen
„prophetischen Bürger einer späteren Welt".

Durch Friedrich Schlegel ist Schleiermacher mit den Romantikern zusammen¬
gekommen. Diesen war er auch innerlich nahe verwandt, und so konnte es
geschehen, daß er sie unmerklich Fichte entfremdete und ihnen einen tüchtigen
Anstoß zur Religion hin gab. Daß gegen das Ende des Athenäums die
Stimme der Religion immer vernehmlicher wird und jene von der Wissenschafts¬
lehre herstammenden Schlagwörter immer seltener, ist vornehmlich den Reden
über die Religion zuzuschreiben. Wäre Schleiermacher nicht so spät erst hervor¬
getreten, oder hätte die Schule noch einige Jahre zusammengehalten, so würde
der Umschwung bemerkbarer geworden sein.

Betrachtet man die Einwirkung Fichtes auf die Romantiker im ganzen,
so erhält man den Eindruck eines fortgesetzten Kampfes zwischen zwei grund¬
verschiedenen Richtungen, der sinnlich-romantischen aus den Tiefendes Gefühls¬
lebens herauf und der moralischen, die aus der Vernunfteinheit hergeleitet wird.
Daß Fichte trotz dieser inneren Verschiedenheit Friedrich Schlegel und Novalis
durch die Macht seiner Persönlichkeit so sehr beherrschte, brachte jenes schillernde
Gedankenspiel hervor, wo zwei Extreme sich abwechselnd anziehen und abstoßen
und durch ihr unmittelbares Nebeneinander manchen Geistesblitz erzeugen. Zu
einer galvanischen Vereinigung ist es nicht gekommen. Das eigentliche Ergebnis
der Fichteschen Philosophie für die Schule der Romantik ist der Universalismus
Friedrich Schlegels, der allerdings kaum über die Theorie hinausgekommen ist.
Wenn wir aber von den: Erfolg absehen und nur fragen, wie jene Männer
während der Blütezeit ihrer Schule gestimmt waren und was sie von der
Zukunft erwarteten, so können wir den Einfluß Fichtes auf sie nicht leicht zu hoch
einschätzen. Aber gerade jene maßlose Selbstüberschätzung mußte, wie schon bei
Friedrich Schlegel bemerkt wurde, den Umschlag ins Gegenteil zur Folge haben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/78>, abgerufen am 29.12.2024.