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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Das englische Spioncigegesetz
V. . . . bei mildernden Umständen ist statt Zuchtshaus Gefängnisstrafe
zulässig . . .
VI. ... Bei Verdacht ist sofortige Ergreifung zulässig . . .
VII. Wer eine Person aufnimmt, von der er weiß oder Grund hat
anzunehmen, daß sie ein Spion ist oder zu spionieren vorhat, oder auf
seinem Grundstück oder in seinem Hause die Zusammenkunft von Spionen
erlaubt, oder, nachdem dies geschehen, der Polizei absichtlich die Auskunft
über jene Personen verweigert, hat eine Gefängnisstrafe mit oder ohne
schwere Arbeit bis zu einem Jahre zu erwarten oder Geldstrafe oder
beide zusammen.
VIII. . . . Die Verfolgung der unter dieses Gesetz fallenden Straftaten geschieht
nur mit Zustimmung des Generalstaatsanwaltes, abgesehen von der
vorläufigen Ergreifung .. .

Hieran schließen sich noch an Bestimmungen über die Anwendung des
Gesetzes in den englischen Kolonien, über Regelung des Einschreitungsrechtes, über
Gleichwertung einzelner Teile, Kopien, Photographien, Mustern oder Beschreibungen
der Substanz und Wirkung mit dem ganzen Gegenstande, zu dem sie Bezug haben.

Bisher wurde in England Spionage in erster Linie mit Gefängnis und
Geldstrafe bedacht, und nur bei erschwerenden Tatumständen wurde Zuchthaus
verhängt. Jetzt ist dieser Zustand verkehrt; als Strafe für Spionage kommt
zuerst Zuchthaus von mindestens drei Jahren in Frage und nur bei mildernden
Umständen Gefängnis oder Geldstrafe- Die frühere Auffassung entsprach dem
unerschütterten Bewußtsein von der englischen Überlegenheit über die Staaten
zweiter Klasse. Deutschland wurde zwar als erste Militärmacht auf dem
Kontinent anerkannt, aber natürlich rangiert Landmacht nach englischem Begriffe
hinter Seemacht. Und jetzt hat die dauernde politische Spannung, die mit
der Konzentration der englischen Flotte in der Nordsee begann, auch in England
eine nervöse Spionenriecherei erzeugt, die sich der sattsam bekannten französischen
als durchaus ebenbürtig erweist!

Aber nicht die Strafverschärfung ist das Charakteristische des neuen Gesetzes,
sondern die Erweiterung des Begriffes und der Tatmerkmale der Spionage.
Sehr zu beachten ist, daß die Absicht, das Interesse des Staates zu benachteiligen,
lediglich aus der Lebensstellung (Llmracter) des Täters geschlossen werden kann.
Es ist ferner nicht im Gesetz gesagt, sondern dem Befinden des Richters über¬
lassen, welche Entfernung einem verbotenen Platz gegenüber eingehalten werden
muß. Die böse Absicht kann bei ftemdherrlichen Offizieren, Beamten, Reserve¬
offizieren ohne weiteres vorausgesetzt werden. Es ist deshalb möglich, daß ein
deutscher Kaufmann, der auch Reserveoffizier ist, wenn er an einer englischen
Kaserne vorbeigeht oder an einem englischen Kriegsschiff vorbeifährt oder in
einem englischen Seebad einer der zahlreichen Küstensignalstationen unvermutet beim
Spaziergang sich nähert, festgenommen, unter Anklage gestellt und verurteilt wird.


Das englische Spioncigegesetz
V. . . . bei mildernden Umständen ist statt Zuchtshaus Gefängnisstrafe
zulässig . . .
VI. ... Bei Verdacht ist sofortige Ergreifung zulässig . . .
VII. Wer eine Person aufnimmt, von der er weiß oder Grund hat
anzunehmen, daß sie ein Spion ist oder zu spionieren vorhat, oder auf
seinem Grundstück oder in seinem Hause die Zusammenkunft von Spionen
erlaubt, oder, nachdem dies geschehen, der Polizei absichtlich die Auskunft
über jene Personen verweigert, hat eine Gefängnisstrafe mit oder ohne
schwere Arbeit bis zu einem Jahre zu erwarten oder Geldstrafe oder
beide zusammen.
VIII. . . . Die Verfolgung der unter dieses Gesetz fallenden Straftaten geschieht
nur mit Zustimmung des Generalstaatsanwaltes, abgesehen von der
vorläufigen Ergreifung .. .

Hieran schließen sich noch an Bestimmungen über die Anwendung des
Gesetzes in den englischen Kolonien, über Regelung des Einschreitungsrechtes, über
Gleichwertung einzelner Teile, Kopien, Photographien, Mustern oder Beschreibungen
der Substanz und Wirkung mit dem ganzen Gegenstande, zu dem sie Bezug haben.

Bisher wurde in England Spionage in erster Linie mit Gefängnis und
Geldstrafe bedacht, und nur bei erschwerenden Tatumständen wurde Zuchthaus
verhängt. Jetzt ist dieser Zustand verkehrt; als Strafe für Spionage kommt
zuerst Zuchthaus von mindestens drei Jahren in Frage und nur bei mildernden
Umständen Gefängnis oder Geldstrafe- Die frühere Auffassung entsprach dem
unerschütterten Bewußtsein von der englischen Überlegenheit über die Staaten
zweiter Klasse. Deutschland wurde zwar als erste Militärmacht auf dem
Kontinent anerkannt, aber natürlich rangiert Landmacht nach englischem Begriffe
hinter Seemacht. Und jetzt hat die dauernde politische Spannung, die mit
der Konzentration der englischen Flotte in der Nordsee begann, auch in England
eine nervöse Spionenriecherei erzeugt, die sich der sattsam bekannten französischen
als durchaus ebenbürtig erweist!

Aber nicht die Strafverschärfung ist das Charakteristische des neuen Gesetzes,
sondern die Erweiterung des Begriffes und der Tatmerkmale der Spionage.
Sehr zu beachten ist, daß die Absicht, das Interesse des Staates zu benachteiligen,
lediglich aus der Lebensstellung (Llmracter) des Täters geschlossen werden kann.
Es ist ferner nicht im Gesetz gesagt, sondern dem Befinden des Richters über¬
lassen, welche Entfernung einem verbotenen Platz gegenüber eingehalten werden
muß. Die böse Absicht kann bei ftemdherrlichen Offizieren, Beamten, Reserve¬
offizieren ohne weiteres vorausgesetzt werden. Es ist deshalb möglich, daß ein
deutscher Kaufmann, der auch Reserveoffizier ist, wenn er an einer englischen
Kaserne vorbeigeht oder an einem englischen Kriegsschiff vorbeifährt oder in
einem englischen Seebad einer der zahlreichen Küstensignalstationen unvermutet beim
Spaziergang sich nähert, festgenommen, unter Anklage gestellt und verurteilt wird.


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[0625] Das englische Spioncigegesetz V. . . . bei mildernden Umständen ist statt Zuchtshaus Gefängnisstrafe zulässig . . . VI. ... Bei Verdacht ist sofortige Ergreifung zulässig . . . VII. Wer eine Person aufnimmt, von der er weiß oder Grund hat anzunehmen, daß sie ein Spion ist oder zu spionieren vorhat, oder auf seinem Grundstück oder in seinem Hause die Zusammenkunft von Spionen erlaubt, oder, nachdem dies geschehen, der Polizei absichtlich die Auskunft über jene Personen verweigert, hat eine Gefängnisstrafe mit oder ohne schwere Arbeit bis zu einem Jahre zu erwarten oder Geldstrafe oder beide zusammen. VIII. . . . Die Verfolgung der unter dieses Gesetz fallenden Straftaten geschieht nur mit Zustimmung des Generalstaatsanwaltes, abgesehen von der vorläufigen Ergreifung .. . Hieran schließen sich noch an Bestimmungen über die Anwendung des Gesetzes in den englischen Kolonien, über Regelung des Einschreitungsrechtes, über Gleichwertung einzelner Teile, Kopien, Photographien, Mustern oder Beschreibungen der Substanz und Wirkung mit dem ganzen Gegenstande, zu dem sie Bezug haben. Bisher wurde in England Spionage in erster Linie mit Gefängnis und Geldstrafe bedacht, und nur bei erschwerenden Tatumständen wurde Zuchthaus verhängt. Jetzt ist dieser Zustand verkehrt; als Strafe für Spionage kommt zuerst Zuchthaus von mindestens drei Jahren in Frage und nur bei mildernden Umständen Gefängnis oder Geldstrafe- Die frühere Auffassung entsprach dem unerschütterten Bewußtsein von der englischen Überlegenheit über die Staaten zweiter Klasse. Deutschland wurde zwar als erste Militärmacht auf dem Kontinent anerkannt, aber natürlich rangiert Landmacht nach englischem Begriffe hinter Seemacht. Und jetzt hat die dauernde politische Spannung, die mit der Konzentration der englischen Flotte in der Nordsee begann, auch in England eine nervöse Spionenriecherei erzeugt, die sich der sattsam bekannten französischen als durchaus ebenbürtig erweist! Aber nicht die Strafverschärfung ist das Charakteristische des neuen Gesetzes, sondern die Erweiterung des Begriffes und der Tatmerkmale der Spionage. Sehr zu beachten ist, daß die Absicht, das Interesse des Staates zu benachteiligen, lediglich aus der Lebensstellung (Llmracter) des Täters geschlossen werden kann. Es ist ferner nicht im Gesetz gesagt, sondern dem Befinden des Richters über¬ lassen, welche Entfernung einem verbotenen Platz gegenüber eingehalten werden muß. Die böse Absicht kann bei ftemdherrlichen Offizieren, Beamten, Reserve¬ offizieren ohne weiteres vorausgesetzt werden. Es ist deshalb möglich, daß ein deutscher Kaufmann, der auch Reserveoffizier ist, wenn er an einer englischen Kaserne vorbeigeht oder an einem englischen Kriegsschiff vorbeifährt oder in einem englischen Seebad einer der zahlreichen Küstensignalstationen unvermutet beim Spaziergang sich nähert, festgenommen, unter Anklage gestellt und verurteilt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/625>, abgerufen am 27.09.2024.