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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die fürstlichen Gegner Bismarcks

Zu dieser Umwandlung der Stimmung in den nationalen Kreisen hatte
der Herzog von Koburg, Ernst der Zweite, der unter den fürstlichen Gegnern
Bismarcks im ersten Jahre seines Ministeriums einen hervorragenden Platz
einnimmt, durch sein Eingreifen besonders beigetragen.

Er war damals der Chef des koburgischen Hauses, das in der Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts durch eine kluge Heiratspolitik eine bedeutende Stellung
errungen hatte. Sein Onkel Leopold, der -- nach Treitschke -- an der Spitze des
Koburger internationalen fürstlichen Heiratsbureaus gestanden, war König von
Belgien, ein anderer war Regent in Portugal. Sein Bruder hatte sich mit der
Königin von England vermählt; von diesem Mittelpunkt aus waren andere
Fäden gesponnen worden. Die internationale Stellung seines Hauses und die
mannigfachen Beziehungen, die sich daraus ergaben, benutzte der Herzog, um
eine große politische Rolle zu spielen. Seine beiden Herzogtümer mit ihren
hundertundfünszigtausend Einwohnern und seine Kriegsmacht von zwei Bataillonen
gaben ihm dazu kein Recht; aber er schöpfte es aus seiner geistigen und politischen
Begabung, die er selbst sehr hoch einschützte. Doch bald zeigte sich, daß diese
Begabung kein genügend solides Fundament für seine ehrgeizigen Pläne war.
Der Herzog besaß weder den weiten Blick, noch die kraftvolle Energie, die nötig
sind, große Ziele zu erfassen und durchzuführen. So nahm seine Politik bald
einen unstäten, abenteuerlichen Charakter an. Zuerst sympathisierte er mit Napoleon
dem Dritten und begrüßte ihn als erster deutscher Fürst in den Tuilerien; dann
stellte er sich auf Preußens Seite und begeisterte sich für den Unionsgedanken
Friedrich Wilhelms des Vierten, der eine scharfe Frontstellung gegen Österreich
bedingte; schließlich suchte er sich in Wien als Bundesgenosse und politischer Freund
zu empfehlen und Stimmung gegen Preußen zu machen. Einen politischen
Seiltänzer hat ihn einer seiner vielen politischen Gegner genannt. Daß eine
solche Persönlichkeit bald bei den verschiedenen Regierungen auf Mißtrauen stoßen
mußte, ist begreiflich. Als er nach dem Tode seines Bruders auch die englische
Politik in Privatbriefen an die Königin Viktoria regelmäßig mit guten Rat¬
schlägen unterstützen wollte, teilte ihm die Königin mit, sie habe seine Briefe dem
Minister des Auswärtigen übergeben, und von ihm erhielt der Herzog die wenig
verbindliche Erklärung: England habe seine eigenen diplomatischen Agenten im
Auslande und brauche keine anderen. Doch als sich ihm die offiziellen
Regierungen mehr oder minder versagten, schlug er andere Bahnen ein. Mit
der ihm eigenen Gewandtheit trieb er Hintertreppenpolitik und suchte ander¬
seits die große Masse für sich, den wahrhaft liberalen Fürsten, zu begeistern.
In den weitesten Kreisen hatte denn auch sein Name einen guten Klang.
Schon im tollen Jahre 48 war die Begeisterung, die man ihm entgegen¬
brachte, so groß, daß er an seinen Bruder, den Prinzgemahl von England,
glaubte schreiben zu müssen: Wenn er nur wolle, sei es ihm ein leichtes,
an die Spitze eines viel größeren Teiles von Deutschland zu treten, als das
beabsichtigte Weimarische Königreich sei. Ob er wollte? Sein von ihm entlassener


Die fürstlichen Gegner Bismarcks

Zu dieser Umwandlung der Stimmung in den nationalen Kreisen hatte
der Herzog von Koburg, Ernst der Zweite, der unter den fürstlichen Gegnern
Bismarcks im ersten Jahre seines Ministeriums einen hervorragenden Platz
einnimmt, durch sein Eingreifen besonders beigetragen.

Er war damals der Chef des koburgischen Hauses, das in der Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts durch eine kluge Heiratspolitik eine bedeutende Stellung
errungen hatte. Sein Onkel Leopold, der — nach Treitschke — an der Spitze des
Koburger internationalen fürstlichen Heiratsbureaus gestanden, war König von
Belgien, ein anderer war Regent in Portugal. Sein Bruder hatte sich mit der
Königin von England vermählt; von diesem Mittelpunkt aus waren andere
Fäden gesponnen worden. Die internationale Stellung seines Hauses und die
mannigfachen Beziehungen, die sich daraus ergaben, benutzte der Herzog, um
eine große politische Rolle zu spielen. Seine beiden Herzogtümer mit ihren
hundertundfünszigtausend Einwohnern und seine Kriegsmacht von zwei Bataillonen
gaben ihm dazu kein Recht; aber er schöpfte es aus seiner geistigen und politischen
Begabung, die er selbst sehr hoch einschützte. Doch bald zeigte sich, daß diese
Begabung kein genügend solides Fundament für seine ehrgeizigen Pläne war.
Der Herzog besaß weder den weiten Blick, noch die kraftvolle Energie, die nötig
sind, große Ziele zu erfassen und durchzuführen. So nahm seine Politik bald
einen unstäten, abenteuerlichen Charakter an. Zuerst sympathisierte er mit Napoleon
dem Dritten und begrüßte ihn als erster deutscher Fürst in den Tuilerien; dann
stellte er sich auf Preußens Seite und begeisterte sich für den Unionsgedanken
Friedrich Wilhelms des Vierten, der eine scharfe Frontstellung gegen Österreich
bedingte; schließlich suchte er sich in Wien als Bundesgenosse und politischer Freund
zu empfehlen und Stimmung gegen Preußen zu machen. Einen politischen
Seiltänzer hat ihn einer seiner vielen politischen Gegner genannt. Daß eine
solche Persönlichkeit bald bei den verschiedenen Regierungen auf Mißtrauen stoßen
mußte, ist begreiflich. Als er nach dem Tode seines Bruders auch die englische
Politik in Privatbriefen an die Königin Viktoria regelmäßig mit guten Rat¬
schlägen unterstützen wollte, teilte ihm die Königin mit, sie habe seine Briefe dem
Minister des Auswärtigen übergeben, und von ihm erhielt der Herzog die wenig
verbindliche Erklärung: England habe seine eigenen diplomatischen Agenten im
Auslande und brauche keine anderen. Doch als sich ihm die offiziellen
Regierungen mehr oder minder versagten, schlug er andere Bahnen ein. Mit
der ihm eigenen Gewandtheit trieb er Hintertreppenpolitik und suchte ander¬
seits die große Masse für sich, den wahrhaft liberalen Fürsten, zu begeistern.
In den weitesten Kreisen hatte denn auch sein Name einen guten Klang.
Schon im tollen Jahre 48 war die Begeisterung, die man ihm entgegen¬
brachte, so groß, daß er an seinen Bruder, den Prinzgemahl von England,
glaubte schreiben zu müssen: Wenn er nur wolle, sei es ihm ein leichtes,
an die Spitze eines viel größeren Teiles von Deutschland zu treten, als das
beabsichtigte Weimarische Königreich sei. Ob er wollte? Sein von ihm entlassener


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[0615] Die fürstlichen Gegner Bismarcks Zu dieser Umwandlung der Stimmung in den nationalen Kreisen hatte der Herzog von Koburg, Ernst der Zweite, der unter den fürstlichen Gegnern Bismarcks im ersten Jahre seines Ministeriums einen hervorragenden Platz einnimmt, durch sein Eingreifen besonders beigetragen. Er war damals der Chef des koburgischen Hauses, das in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts durch eine kluge Heiratspolitik eine bedeutende Stellung errungen hatte. Sein Onkel Leopold, der — nach Treitschke — an der Spitze des Koburger internationalen fürstlichen Heiratsbureaus gestanden, war König von Belgien, ein anderer war Regent in Portugal. Sein Bruder hatte sich mit der Königin von England vermählt; von diesem Mittelpunkt aus waren andere Fäden gesponnen worden. Die internationale Stellung seines Hauses und die mannigfachen Beziehungen, die sich daraus ergaben, benutzte der Herzog, um eine große politische Rolle zu spielen. Seine beiden Herzogtümer mit ihren hundertundfünszigtausend Einwohnern und seine Kriegsmacht von zwei Bataillonen gaben ihm dazu kein Recht; aber er schöpfte es aus seiner geistigen und politischen Begabung, die er selbst sehr hoch einschützte. Doch bald zeigte sich, daß diese Begabung kein genügend solides Fundament für seine ehrgeizigen Pläne war. Der Herzog besaß weder den weiten Blick, noch die kraftvolle Energie, die nötig sind, große Ziele zu erfassen und durchzuführen. So nahm seine Politik bald einen unstäten, abenteuerlichen Charakter an. Zuerst sympathisierte er mit Napoleon dem Dritten und begrüßte ihn als erster deutscher Fürst in den Tuilerien; dann stellte er sich auf Preußens Seite und begeisterte sich für den Unionsgedanken Friedrich Wilhelms des Vierten, der eine scharfe Frontstellung gegen Österreich bedingte; schließlich suchte er sich in Wien als Bundesgenosse und politischer Freund zu empfehlen und Stimmung gegen Preußen zu machen. Einen politischen Seiltänzer hat ihn einer seiner vielen politischen Gegner genannt. Daß eine solche Persönlichkeit bald bei den verschiedenen Regierungen auf Mißtrauen stoßen mußte, ist begreiflich. Als er nach dem Tode seines Bruders auch die englische Politik in Privatbriefen an die Königin Viktoria regelmäßig mit guten Rat¬ schlägen unterstützen wollte, teilte ihm die Königin mit, sie habe seine Briefe dem Minister des Auswärtigen übergeben, und von ihm erhielt der Herzog die wenig verbindliche Erklärung: England habe seine eigenen diplomatischen Agenten im Auslande und brauche keine anderen. Doch als sich ihm die offiziellen Regierungen mehr oder minder versagten, schlug er andere Bahnen ein. Mit der ihm eigenen Gewandtheit trieb er Hintertreppenpolitik und suchte ander¬ seits die große Masse für sich, den wahrhaft liberalen Fürsten, zu begeistern. In den weitesten Kreisen hatte denn auch sein Name einen guten Klang. Schon im tollen Jahre 48 war die Begeisterung, die man ihm entgegen¬ brachte, so groß, daß er an seinen Bruder, den Prinzgemahl von England, glaubte schreiben zu müssen: Wenn er nur wolle, sei es ihm ein leichtes, an die Spitze eines viel größeren Teiles von Deutschland zu treten, als das beabsichtigte Weimarische Königreich sei. Ob er wollte? Sein von ihm entlassener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/615>, abgerufen am 27.09.2024.