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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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schon am Tage darauf veröffentlichte der Staatsanzeiger die berüchtigte Ver¬
ordnung, welche die Freiheit der Presse zerstörte. Der Kronprinz war äußerst
aufgebracht, daß eine solche Maßregel ohne seine Zustimmung, ja gegen seinen
Willen getroffen worden sei. Gerüchte, daß weitere Erlasse gegen Beamte und
Vereine beabsichtigt seien, daß Bismarck geraten habe, die Stellvertretung, wenn
sie, wie es damals schien, dnrch des Königs Gesundheit notwendig werden
sollte, auf den Prinzen Friedrich Karl zu übertragen, steigerten seine Erregung,
und so entschloß er sich schließlich nach heftiger Gemütsbewegung, lebhaft unter¬
stützt von seiner Gemahlin, seinen Gegensatz gegen das Ministerium Bismarck
vor aller Welt kund zu tun. Den letzten Anstoß gab der Oberbürgermeister von
Danzig, Herr von Winter, der früher als Polizeipräsident von Berlin mit der
Umgebung der Königin Augusta Fühlung gehabt hatte. Er drang in den
Kronprinzen, bei seiner Anwesenheit in Danzig für die verletzte Verfassung ein¬
zutreten; jetzt oder nie sei die Gelegenheit geboten, der Öffentlichkeit seine wahre
politische Stellung zu enthüllen. Er machte es dem Kronprinzen leicht, eine
Erklärung abzugeben; denn in seiner Begrüßungsansprache bedauerte er, daß es
die Verhältnisse nicht gestatteten, der Freude der Stadt über die Anwesenheit
des Kronprinzen ihren vollen, lauten Ausdruck zu geben. Der Kronprinz ging in
seiner Antwort auf diese Bemerkung ein und sagte u. a.: "Auch ich beklage, daß
ich in einer Zeit hergekommen bin, in welcher zwischen Regierung und Volk ein
Zerwürfnis eingetreten ist, welches zu erfahren mich in hohem Grade überrascht
hat. Ich habe von den Anordnungen, die dazu geführt haben, nichts gewußt.
Ich war abwesend. Ich habe keinen Teil an den Ratschlägen gehabt, die dazu
geführt haben." Exemplare der Danziger Zeitung mit dem Bericht über den
Vorgang wurden überallhin versandt. Die Worte des Kronprinzen erhielten
sofort die weiteste Verbreitung und erregten im Inland und Ausland das größte
Aufsehen. Die Fortschrittspartei hatte ihren Zweck erreicht. Auf die ernsten
Vorhaltungen des Königs hin bat zwar der Sohn den Vater um Verzeihung
wegen seines Schrittes, betonte jedoch zugleich, daß er ihn mit Rücksicht auf
seine und seiner Kinder Zukunft nicht unterlassen zu können geglaubt habe, und
stellte schließlich die Entbindung von allen seinen Ämtern anheim. Des Königs
Antwort gewährte ihm die erbetene Verzeihung, überging seine Beschwerden über
den Minister und sein Entlassungsgesuch und machte ihm für die Zukunft
Schweigen zur Pflicht.

Es war ein Glück, daß der erzürnte Vater den Vorstellungen Bismarcks,
der aus Staatsraison Milde empfohlen, nachgegeben hatte. Denn wie
sehr es der englisch - koburgischen Politik und der Fortschrittspartei darauf
ankam, den Gegensatz im königlichen Hause zu verschärfen und den
Kronprinzen womöglich zum Märtyrer zu machen, beweisen die mannigfachen
Veröffentlichungen, die sich an den Vorgang anschlössen. Durch einen wohl¬
berechneten Vertrauensbruch aus der Umgebung der Königin oder des Kron¬
prinzen wurde die Korrespondenz zwischen Vater und Sohn in der Times


Grenzboten l 1912 77

schon am Tage darauf veröffentlichte der Staatsanzeiger die berüchtigte Ver¬
ordnung, welche die Freiheit der Presse zerstörte. Der Kronprinz war äußerst
aufgebracht, daß eine solche Maßregel ohne seine Zustimmung, ja gegen seinen
Willen getroffen worden sei. Gerüchte, daß weitere Erlasse gegen Beamte und
Vereine beabsichtigt seien, daß Bismarck geraten habe, die Stellvertretung, wenn
sie, wie es damals schien, dnrch des Königs Gesundheit notwendig werden
sollte, auf den Prinzen Friedrich Karl zu übertragen, steigerten seine Erregung,
und so entschloß er sich schließlich nach heftiger Gemütsbewegung, lebhaft unter¬
stützt von seiner Gemahlin, seinen Gegensatz gegen das Ministerium Bismarck
vor aller Welt kund zu tun. Den letzten Anstoß gab der Oberbürgermeister von
Danzig, Herr von Winter, der früher als Polizeipräsident von Berlin mit der
Umgebung der Königin Augusta Fühlung gehabt hatte. Er drang in den
Kronprinzen, bei seiner Anwesenheit in Danzig für die verletzte Verfassung ein¬
zutreten; jetzt oder nie sei die Gelegenheit geboten, der Öffentlichkeit seine wahre
politische Stellung zu enthüllen. Er machte es dem Kronprinzen leicht, eine
Erklärung abzugeben; denn in seiner Begrüßungsansprache bedauerte er, daß es
die Verhältnisse nicht gestatteten, der Freude der Stadt über die Anwesenheit
des Kronprinzen ihren vollen, lauten Ausdruck zu geben. Der Kronprinz ging in
seiner Antwort auf diese Bemerkung ein und sagte u. a.: „Auch ich beklage, daß
ich in einer Zeit hergekommen bin, in welcher zwischen Regierung und Volk ein
Zerwürfnis eingetreten ist, welches zu erfahren mich in hohem Grade überrascht
hat. Ich habe von den Anordnungen, die dazu geführt haben, nichts gewußt.
Ich war abwesend. Ich habe keinen Teil an den Ratschlägen gehabt, die dazu
geführt haben." Exemplare der Danziger Zeitung mit dem Bericht über den
Vorgang wurden überallhin versandt. Die Worte des Kronprinzen erhielten
sofort die weiteste Verbreitung und erregten im Inland und Ausland das größte
Aufsehen. Die Fortschrittspartei hatte ihren Zweck erreicht. Auf die ernsten
Vorhaltungen des Königs hin bat zwar der Sohn den Vater um Verzeihung
wegen seines Schrittes, betonte jedoch zugleich, daß er ihn mit Rücksicht auf
seine und seiner Kinder Zukunft nicht unterlassen zu können geglaubt habe, und
stellte schließlich die Entbindung von allen seinen Ämtern anheim. Des Königs
Antwort gewährte ihm die erbetene Verzeihung, überging seine Beschwerden über
den Minister und sein Entlassungsgesuch und machte ihm für die Zukunft
Schweigen zur Pflicht.

Es war ein Glück, daß der erzürnte Vater den Vorstellungen Bismarcks,
der aus Staatsraison Milde empfohlen, nachgegeben hatte. Denn wie
sehr es der englisch - koburgischen Politik und der Fortschrittspartei darauf
ankam, den Gegensatz im königlichen Hause zu verschärfen und den
Kronprinzen womöglich zum Märtyrer zu machen, beweisen die mannigfachen
Veröffentlichungen, die sich an den Vorgang anschlössen. Durch einen wohl¬
berechneten Vertrauensbruch aus der Umgebung der Königin oder des Kron¬
prinzen wurde die Korrespondenz zwischen Vater und Sohn in der Times


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[0613] schon am Tage darauf veröffentlichte der Staatsanzeiger die berüchtigte Ver¬ ordnung, welche die Freiheit der Presse zerstörte. Der Kronprinz war äußerst aufgebracht, daß eine solche Maßregel ohne seine Zustimmung, ja gegen seinen Willen getroffen worden sei. Gerüchte, daß weitere Erlasse gegen Beamte und Vereine beabsichtigt seien, daß Bismarck geraten habe, die Stellvertretung, wenn sie, wie es damals schien, dnrch des Königs Gesundheit notwendig werden sollte, auf den Prinzen Friedrich Karl zu übertragen, steigerten seine Erregung, und so entschloß er sich schließlich nach heftiger Gemütsbewegung, lebhaft unter¬ stützt von seiner Gemahlin, seinen Gegensatz gegen das Ministerium Bismarck vor aller Welt kund zu tun. Den letzten Anstoß gab der Oberbürgermeister von Danzig, Herr von Winter, der früher als Polizeipräsident von Berlin mit der Umgebung der Königin Augusta Fühlung gehabt hatte. Er drang in den Kronprinzen, bei seiner Anwesenheit in Danzig für die verletzte Verfassung ein¬ zutreten; jetzt oder nie sei die Gelegenheit geboten, der Öffentlichkeit seine wahre politische Stellung zu enthüllen. Er machte es dem Kronprinzen leicht, eine Erklärung abzugeben; denn in seiner Begrüßungsansprache bedauerte er, daß es die Verhältnisse nicht gestatteten, der Freude der Stadt über die Anwesenheit des Kronprinzen ihren vollen, lauten Ausdruck zu geben. Der Kronprinz ging in seiner Antwort auf diese Bemerkung ein und sagte u. a.: „Auch ich beklage, daß ich in einer Zeit hergekommen bin, in welcher zwischen Regierung und Volk ein Zerwürfnis eingetreten ist, welches zu erfahren mich in hohem Grade überrascht hat. Ich habe von den Anordnungen, die dazu geführt haben, nichts gewußt. Ich war abwesend. Ich habe keinen Teil an den Ratschlägen gehabt, die dazu geführt haben." Exemplare der Danziger Zeitung mit dem Bericht über den Vorgang wurden überallhin versandt. Die Worte des Kronprinzen erhielten sofort die weiteste Verbreitung und erregten im Inland und Ausland das größte Aufsehen. Die Fortschrittspartei hatte ihren Zweck erreicht. Auf die ernsten Vorhaltungen des Königs hin bat zwar der Sohn den Vater um Verzeihung wegen seines Schrittes, betonte jedoch zugleich, daß er ihn mit Rücksicht auf seine und seiner Kinder Zukunft nicht unterlassen zu können geglaubt habe, und stellte schließlich die Entbindung von allen seinen Ämtern anheim. Des Königs Antwort gewährte ihm die erbetene Verzeihung, überging seine Beschwerden über den Minister und sein Entlassungsgesuch und machte ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht. Es war ein Glück, daß der erzürnte Vater den Vorstellungen Bismarcks, der aus Staatsraison Milde empfohlen, nachgegeben hatte. Denn wie sehr es der englisch - koburgischen Politik und der Fortschrittspartei darauf ankam, den Gegensatz im königlichen Hause zu verschärfen und den Kronprinzen womöglich zum Märtyrer zu machen, beweisen die mannigfachen Veröffentlichungen, die sich an den Vorgang anschlössen. Durch einen wohl¬ berechneten Vertrauensbruch aus der Umgebung der Königin oder des Kron¬ prinzen wurde die Korrespondenz zwischen Vater und Sohn in der Times Grenzboten l 1912 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/613>, abgerufen am 27.09.2024.