Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.Reichsspiegel Innere Verworrenheit Das Reichstagspräsidium -- Unverminderte Feindschaft zwischen Konservativen und Liberalen -- Konservativer Verein in Hamburg -- Vorsprung der Sozinldemolraten -- Der Aufstand im Ruhrgebiet -- Auflösungserscheinungen bei den bürgerlichen Parteien -- Schäden unparteiisch-nationaler Vereine -- Haltung der Negierung -- Freiherr v> Hertling und Herr v. Bethmann Hvllweg -- Wehrfragen und Deckungs- fragen Der Wahlkampf für den neuen Reichstag hat nun auch im Wallotbau selbst Reichsspiegel Innere Verworrenheit Das Reichstagspräsidium — Unverminderte Feindschaft zwischen Konservativen und Liberalen — Konservativer Verein in Hamburg — Vorsprung der Sozinldemolraten — Der Aufstand im Ruhrgebiet — Auflösungserscheinungen bei den bürgerlichen Parteien — Schäden unparteiisch-nationaler Vereine — Haltung der Negierung — Freiherr v> Hertling und Herr v. Bethmann Hvllweg — Wehrfragen und Deckungs- fragen Der Wahlkampf für den neuen Reichstag hat nun auch im Wallotbau selbst <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0550" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320967"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341895_320416/figures/grenzboten_341895_320416_320967_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Reichsspiegel<lb/></head><lb/> <div n="2"> <head> Innere Verworrenheit</head><lb/> <note type="argument"> Das Reichstagspräsidium — Unverminderte Feindschaft zwischen Konservativen und<lb/> Liberalen — Konservativer Verein in Hamburg — Vorsprung der Sozinldemolraten<lb/> — Der Aufstand im Ruhrgebiet — Auflösungserscheinungen bei den bürgerlichen<lb/> Parteien — Schäden unparteiisch-nationaler Vereine — Haltung der Negierung —<lb/> Freiherr v> Hertling und Herr v. Bethmann Hvllweg — Wehrfragen und Deckungs-<lb/> fragen</note><lb/> <p xml:id="ID_2461"> Der Wahlkampf für den neuen Reichstag hat nun auch im Wallotbau selbst<lb/> seinen Abschluß gefunden durch die endgültige Wahl des Reichstagspräsi¬<lb/> diums. Die drei Herren, ein Nationalliberaler, zwei Fortschrittler, die fortab<lb/> den Reichstag in seinen inneren Angelegenheiten leiten und nach außen vertreten<lb/> sollen, haben eine ungemein schwere Bürde auf sich genommen. Ihr Unternehmen<lb/> ist um so schwieriger, als ein guter Ausgang nicht so sehr von dem Willen der<lb/> Präsidenten abhängt, als von dem Verhalten derjenigen, die ihnen diese Bürde<lb/> aufgepackt haben. Das neue Reichstagspräsidium wird nicht gestützt durch das Ver¬<lb/> trauen einer geschlossenen Mehrheit, sondern durch das Mißtrauen und die Mißgunst<lb/> aller nur möglichen Mehrheiten gegeneinander. Die beiden Mehrheiten, auf die es<lb/> im vorliegenden Falle ankam, forderten: hie reines Rechtsprästdium l hie reines Links¬<lb/> präsidium! Gewählt wurde schließlich der Fortschrittler Kaempf mit einer Stimme<lb/> Mehrheit gegen den Zentrumsmann spähn in der Hauptsache von National¬<lb/> liberalen, Freisinnigen und Sozialdemokraten; er ist also gewissermaßen Ver¬<lb/> trauensmann der Linksmehrheit. Den Nationalliberalen Paasche wühlten<lb/> Konservative, Zentrum, Nationalliberale gegen den Sozialdemokraten Scheide¬<lb/> mann, er ist also sozusagen Vertrauensmann der Rechten. Schließlich ward<lb/> der Fortschrittler Dove gewählt gegen den Sozialdemokraten von den Konser¬<lb/> vativen, dem Zentrum, den Nationalliberalen, wobei ein Teil seiner eigenen<lb/> Parteigenossen gegen ihn stimmte! Also der Angehörige des Linksliberalismus,<lb/> das Mitglied des Hansabundes, empfängt sein Amt aus den Händen der klerikal¬<lb/> agrarischen Rechten! Man sieht aus diesen Angaben, daß sich jeder einer argen<lb/> Täuschung hingeben würde, der aus der Zusammensetzung des Präsidiums den<lb/> Schluß zöge, daß die beiden liberalen Fraktionen des Reichstages aus eigener<lb/> Kraft irgendeine Macht darstellten. Tatsächlich sind sie in den Vordergrund<lb/> geschoben durch ihre Gegner von rechts. Man wird nicht ohne weiteres anzu¬<lb/> nehmen brauchen, daß dies geschah, um den Liberalen die Möglichkeit zu geben,<lb/> sich vor dem Lande wieder „auszupauken".</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0550]
[Abbildung]
Reichsspiegel
Innere Verworrenheit
Das Reichstagspräsidium — Unverminderte Feindschaft zwischen Konservativen und
Liberalen — Konservativer Verein in Hamburg — Vorsprung der Sozinldemolraten
— Der Aufstand im Ruhrgebiet — Auflösungserscheinungen bei den bürgerlichen
Parteien — Schäden unparteiisch-nationaler Vereine — Haltung der Negierung —
Freiherr v> Hertling und Herr v. Bethmann Hvllweg — Wehrfragen und Deckungs-
fragen
Der Wahlkampf für den neuen Reichstag hat nun auch im Wallotbau selbst
seinen Abschluß gefunden durch die endgültige Wahl des Reichstagspräsi¬
diums. Die drei Herren, ein Nationalliberaler, zwei Fortschrittler, die fortab
den Reichstag in seinen inneren Angelegenheiten leiten und nach außen vertreten
sollen, haben eine ungemein schwere Bürde auf sich genommen. Ihr Unternehmen
ist um so schwieriger, als ein guter Ausgang nicht so sehr von dem Willen der
Präsidenten abhängt, als von dem Verhalten derjenigen, die ihnen diese Bürde
aufgepackt haben. Das neue Reichstagspräsidium wird nicht gestützt durch das Ver¬
trauen einer geschlossenen Mehrheit, sondern durch das Mißtrauen und die Mißgunst
aller nur möglichen Mehrheiten gegeneinander. Die beiden Mehrheiten, auf die es
im vorliegenden Falle ankam, forderten: hie reines Rechtsprästdium l hie reines Links¬
präsidium! Gewählt wurde schließlich der Fortschrittler Kaempf mit einer Stimme
Mehrheit gegen den Zentrumsmann spähn in der Hauptsache von National¬
liberalen, Freisinnigen und Sozialdemokraten; er ist also gewissermaßen Ver¬
trauensmann der Linksmehrheit. Den Nationalliberalen Paasche wühlten
Konservative, Zentrum, Nationalliberale gegen den Sozialdemokraten Scheide¬
mann, er ist also sozusagen Vertrauensmann der Rechten. Schließlich ward
der Fortschrittler Dove gewählt gegen den Sozialdemokraten von den Konser¬
vativen, dem Zentrum, den Nationalliberalen, wobei ein Teil seiner eigenen
Parteigenossen gegen ihn stimmte! Also der Angehörige des Linksliberalismus,
das Mitglied des Hansabundes, empfängt sein Amt aus den Händen der klerikal¬
agrarischen Rechten! Man sieht aus diesen Angaben, daß sich jeder einer argen
Täuschung hingeben würde, der aus der Zusammensetzung des Präsidiums den
Schluß zöge, daß die beiden liberalen Fraktionen des Reichstages aus eigener
Kraft irgendeine Macht darstellten. Tatsächlich sind sie in den Vordergrund
geschoben durch ihre Gegner von rechts. Man wird nicht ohne weiteres anzu¬
nehmen brauchen, daß dies geschah, um den Liberalen die Möglichkeit zu geben,
sich vor dem Lande wieder „auszupauken".
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