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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Welchem Jahr Luther die Universität bezog,
zum Priester geweiht wurde oder seine Rom¬
reise antrat. Selbstverständlich wird man die
drei Kurfürsten erwähnen, die die Landes¬
herren Luthers waren. Aber hat eS auch nur
einenSchein vonBcrechtignng, die Regierungs¬
zahlen dieser Herrscher zu verlangen? Da¬
gegen ist eS durchaus richtig, namentlich in
sächsischen Lande", die Gründung der Uni¬
versität Jena zu erwähnen. Bei dieser Ge¬
legenheit gehe man ein auf das Studenten¬
leben der damaligen Zeit, auf die Bedeutung
Jenas, namentlich für die theologische Wissen¬
schaft,

Es ist entschieden interessanter für Schüler
des zwanzigsten Jahrhunderts, zu hören, mit
wie rührender Treue die Lmideskinder an
ihrem besiegten und gefangenen Fürsten hingen,
als die Regiernngszahlen dieses Herrschers
zu lernen*).

Die Lichtgestalt eines August Hermann
Franke, dessen Bedeutung doch bis in die
Gegenwart hineinragt, wird gewöhnlich sehr
kurz behandelt.

Welchen Zweck hat es Wohl, wenn die
Schüler die Dispositionen einer Reihe von
biblischen Büchern auswendig lernen?!

Jeglicher Radikalismus liegt mir fern.
Mag man ein Buch mit den Schülern aufs
gründlichste lese", sei eS das Matthäus- oder
Lukasevangelinm oder auch der Römerbrief,
Verlange man alsdann much von diesem einen
Buch die Disposition, Es darf aber nicht
im Belieben des Lehrers stehen, nach dem
Grundsatz c-u- tel est moti-e plsisir die
Schüler mit Memorierstoff zu.belasten, Dis¬
positionen von einer ganzen Reihe vonBüchern,
lange Sprüche in griechischer und deutscher
Sprache zu verlangen. Es muß nicht not¬
wendig die Folge sein, aber immerhin liegt
die Gefahr vor, daß ein Jüngling, der zuviel
auswendig lernen muß, sich innerlich von der
Religion abwendet. Die gewonnene Zeit
ließe sich so trefflich verwenden; so halte ich

[Spaltenumbruch]

es für durchaus berechtigt, bisweilen aus
einen: im christlichen Geiste geschriebenen Buche
vorzulesen. Sehr geeignet erscheint mir z, B.
das von dem kürzlich verstorbenen Geheimrat
Muff verfaßte Werk "Idealismus".

Vielleicht wäre eS much angebracht, gelegent¬
lich aus dem Werke eines kirchenfeindlichen
Schriftstellers zu lesen, nicht etwa, damit sich
der Jüngling dessen Gedanken aneignet, sondern
damit er eS lernt, sie zu kritisieren. Für den
unreifen, in der Entwicklung begriffene" jungen
Mann hat alles Neue gewöhnlich eine große
Anziehungskraft, Nimmt nnn ein Jüngling
ohne jede Vorbereitung und Anleitung ein
Buch in die Hand, in dem durchaus andere
Ansichten stehen als die, welche er auf der
Schule gehört, so ist er sehr leicht geneigt,
in verba novi maxisln zu schwören, alles
das, was er auf der Schule gelernt, für
"Humbng" anzusehen.

Unter geschickter Anleitung würde der Jüng¬
ling erfahren, wie auch viele Gegner der
Religion, vielleicht unbewußt und ungewollt,
dem Genius des Christentums huldigen. So
schreibt Nietzsche in "Jenseits von Gut und Böse":
"Gegen Luthers Bibel gehalten ist fast alles
übrige nur .Literatur', ein Ding, das nicht
in Deutschland gewachsen ist und darum auch
nicht in deutsche Herzen hineinwnchs und wächst,
wie es Luthers Bibel getan hat,"

Der Lehrer darf sich nicht völlig von der
Gegenwart abwenden, "Als wahrer Geist
des höheren Lehramtes darf nicht gelte" Abkehr
von dem bewegten Leben der Zeit, scholastische
Verengerung des Interesses, nichts was auf
eine Art von Verpuppung hinauskommt" --
sagt Münch, Der Schüler muß etwas erfahren
von den verschiedenen Richtungen in der
Theologie; an einigen Beispielen mache man
ihm die verschiedenen Ausfassungen klar, man
mache ihn mit den Hauptvertreteru der beiden
Richtungen bekannt,

Fast das gesamte geistige Deutschland hat
den sechzigsten Geburtstag von Hnrnack ge¬
feiert, siebzehn- bis zwanzigjährige Jünglinge,
von denen man so viele und vielerlei Kennt¬
nisse verlangt, sollen auf der Schule von diesem
Deutschen gar nichts erfahren?! Auch wenn
der Lehrer durchaus nicht auf dem Stand¬
punkt von Harnack steht, kann er doch der

[Ende Spaltensatz]
*) In allen Städten, in allen Dörfern
bildeten bei der Rückkehr von Johann Fried¬
rich Knaben und Mädchen, die letzteren einen
Rautenkranz im Haar, Spalier, Oft brachte
ein Knabe Goldstücke, die die treue Bürger¬
schaft gesammelt.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

Welchem Jahr Luther die Universität bezog,
zum Priester geweiht wurde oder seine Rom¬
reise antrat. Selbstverständlich wird man die
drei Kurfürsten erwähnen, die die Landes¬
herren Luthers waren. Aber hat eS auch nur
einenSchein vonBcrechtignng, die Regierungs¬
zahlen dieser Herrscher zu verlangen? Da¬
gegen ist eS durchaus richtig, namentlich in
sächsischen Lande», die Gründung der Uni¬
versität Jena zu erwähnen. Bei dieser Ge¬
legenheit gehe man ein auf das Studenten¬
leben der damaligen Zeit, auf die Bedeutung
Jenas, namentlich für die theologische Wissen¬
schaft,

Es ist entschieden interessanter für Schüler
des zwanzigsten Jahrhunderts, zu hören, mit
wie rührender Treue die Lmideskinder an
ihrem besiegten und gefangenen Fürsten hingen,
als die Regiernngszahlen dieses Herrschers
zu lernen*).

Die Lichtgestalt eines August Hermann
Franke, dessen Bedeutung doch bis in die
Gegenwart hineinragt, wird gewöhnlich sehr
kurz behandelt.

Welchen Zweck hat es Wohl, wenn die
Schüler die Dispositionen einer Reihe von
biblischen Büchern auswendig lernen?!

Jeglicher Radikalismus liegt mir fern.
Mag man ein Buch mit den Schülern aufs
gründlichste lese», sei eS das Matthäus- oder
Lukasevangelinm oder auch der Römerbrief,
Verlange man alsdann much von diesem einen
Buch die Disposition, Es darf aber nicht
im Belieben des Lehrers stehen, nach dem
Grundsatz c-u- tel est moti-e plsisir die
Schüler mit Memorierstoff zu.belasten, Dis¬
positionen von einer ganzen Reihe vonBüchern,
lange Sprüche in griechischer und deutscher
Sprache zu verlangen. Es muß nicht not¬
wendig die Folge sein, aber immerhin liegt
die Gefahr vor, daß ein Jüngling, der zuviel
auswendig lernen muß, sich innerlich von der
Religion abwendet. Die gewonnene Zeit
ließe sich so trefflich verwenden; so halte ich

[Spaltenumbruch]

es für durchaus berechtigt, bisweilen aus
einen: im christlichen Geiste geschriebenen Buche
vorzulesen. Sehr geeignet erscheint mir z, B.
das von dem kürzlich verstorbenen Geheimrat
Muff verfaßte Werk „Idealismus".

Vielleicht wäre eS much angebracht, gelegent¬
lich aus dem Werke eines kirchenfeindlichen
Schriftstellers zu lesen, nicht etwa, damit sich
der Jüngling dessen Gedanken aneignet, sondern
damit er eS lernt, sie zu kritisieren. Für den
unreifen, in der Entwicklung begriffene» jungen
Mann hat alles Neue gewöhnlich eine große
Anziehungskraft, Nimmt nnn ein Jüngling
ohne jede Vorbereitung und Anleitung ein
Buch in die Hand, in dem durchaus andere
Ansichten stehen als die, welche er auf der
Schule gehört, so ist er sehr leicht geneigt,
in verba novi maxisln zu schwören, alles
das, was er auf der Schule gelernt, für
„Humbng" anzusehen.

Unter geschickter Anleitung würde der Jüng¬
ling erfahren, wie auch viele Gegner der
Religion, vielleicht unbewußt und ungewollt,
dem Genius des Christentums huldigen. So
schreibt Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse":
„Gegen Luthers Bibel gehalten ist fast alles
übrige nur .Literatur', ein Ding, das nicht
in Deutschland gewachsen ist und darum auch
nicht in deutsche Herzen hineinwnchs und wächst,
wie es Luthers Bibel getan hat,"

Der Lehrer darf sich nicht völlig von der
Gegenwart abwenden, „Als wahrer Geist
des höheren Lehramtes darf nicht gelte» Abkehr
von dem bewegten Leben der Zeit, scholastische
Verengerung des Interesses, nichts was auf
eine Art von Verpuppung hinauskommt" —
sagt Münch, Der Schüler muß etwas erfahren
von den verschiedenen Richtungen in der
Theologie; an einigen Beispielen mache man
ihm die verschiedenen Ausfassungen klar, man
mache ihn mit den Hauptvertreteru der beiden
Richtungen bekannt,

Fast das gesamte geistige Deutschland hat
den sechzigsten Geburtstag von Hnrnack ge¬
feiert, siebzehn- bis zwanzigjährige Jünglinge,
von denen man so viele und vielerlei Kennt¬
nisse verlangt, sollen auf der Schule von diesem
Deutschen gar nichts erfahren?! Auch wenn
der Lehrer durchaus nicht auf dem Stand¬
punkt von Harnack steht, kann er doch der

[Ende Spaltensatz]
*) In allen Städten, in allen Dörfern
bildeten bei der Rückkehr von Johann Fried¬
rich Knaben und Mädchen, die letzteren einen
Rautenkranz im Haar, Spalier, Oft brachte
ein Knabe Goldstücke, die die treue Bürger¬
schaft gesammelt.
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[0052] Maßgebliches und Unmaßgebliches Welchem Jahr Luther die Universität bezog, zum Priester geweiht wurde oder seine Rom¬ reise antrat. Selbstverständlich wird man die drei Kurfürsten erwähnen, die die Landes¬ herren Luthers waren. Aber hat eS auch nur einenSchein vonBcrechtignng, die Regierungs¬ zahlen dieser Herrscher zu verlangen? Da¬ gegen ist eS durchaus richtig, namentlich in sächsischen Lande», die Gründung der Uni¬ versität Jena zu erwähnen. Bei dieser Ge¬ legenheit gehe man ein auf das Studenten¬ leben der damaligen Zeit, auf die Bedeutung Jenas, namentlich für die theologische Wissen¬ schaft, Es ist entschieden interessanter für Schüler des zwanzigsten Jahrhunderts, zu hören, mit wie rührender Treue die Lmideskinder an ihrem besiegten und gefangenen Fürsten hingen, als die Regiernngszahlen dieses Herrschers zu lernen*). Die Lichtgestalt eines August Hermann Franke, dessen Bedeutung doch bis in die Gegenwart hineinragt, wird gewöhnlich sehr kurz behandelt. Welchen Zweck hat es Wohl, wenn die Schüler die Dispositionen einer Reihe von biblischen Büchern auswendig lernen?! Jeglicher Radikalismus liegt mir fern. Mag man ein Buch mit den Schülern aufs gründlichste lese», sei eS das Matthäus- oder Lukasevangelinm oder auch der Römerbrief, Verlange man alsdann much von diesem einen Buch die Disposition, Es darf aber nicht im Belieben des Lehrers stehen, nach dem Grundsatz c-u- tel est moti-e plsisir die Schüler mit Memorierstoff zu.belasten, Dis¬ positionen von einer ganzen Reihe vonBüchern, lange Sprüche in griechischer und deutscher Sprache zu verlangen. Es muß nicht not¬ wendig die Folge sein, aber immerhin liegt die Gefahr vor, daß ein Jüngling, der zuviel auswendig lernen muß, sich innerlich von der Religion abwendet. Die gewonnene Zeit ließe sich so trefflich verwenden; so halte ich es für durchaus berechtigt, bisweilen aus einen: im christlichen Geiste geschriebenen Buche vorzulesen. Sehr geeignet erscheint mir z, B. das von dem kürzlich verstorbenen Geheimrat Muff verfaßte Werk „Idealismus". Vielleicht wäre eS much angebracht, gelegent¬ lich aus dem Werke eines kirchenfeindlichen Schriftstellers zu lesen, nicht etwa, damit sich der Jüngling dessen Gedanken aneignet, sondern damit er eS lernt, sie zu kritisieren. Für den unreifen, in der Entwicklung begriffene» jungen Mann hat alles Neue gewöhnlich eine große Anziehungskraft, Nimmt nnn ein Jüngling ohne jede Vorbereitung und Anleitung ein Buch in die Hand, in dem durchaus andere Ansichten stehen als die, welche er auf der Schule gehört, so ist er sehr leicht geneigt, in verba novi maxisln zu schwören, alles das, was er auf der Schule gelernt, für „Humbng" anzusehen. Unter geschickter Anleitung würde der Jüng¬ ling erfahren, wie auch viele Gegner der Religion, vielleicht unbewußt und ungewollt, dem Genius des Christentums huldigen. So schreibt Nietzsche in „Jenseits von Gut und Böse": „Gegen Luthers Bibel gehalten ist fast alles übrige nur .Literatur', ein Ding, das nicht in Deutschland gewachsen ist und darum auch nicht in deutsche Herzen hineinwnchs und wächst, wie es Luthers Bibel getan hat," Der Lehrer darf sich nicht völlig von der Gegenwart abwenden, „Als wahrer Geist des höheren Lehramtes darf nicht gelte» Abkehr von dem bewegten Leben der Zeit, scholastische Verengerung des Interesses, nichts was auf eine Art von Verpuppung hinauskommt" — sagt Münch, Der Schüler muß etwas erfahren von den verschiedenen Richtungen in der Theologie; an einigen Beispielen mache man ihm die verschiedenen Ausfassungen klar, man mache ihn mit den Hauptvertreteru der beiden Richtungen bekannt, Fast das gesamte geistige Deutschland hat den sechzigsten Geburtstag von Hnrnack ge¬ feiert, siebzehn- bis zwanzigjährige Jünglinge, von denen man so viele und vielerlei Kennt¬ nisse verlangt, sollen auf der Schule von diesem Deutschen gar nichts erfahren?! Auch wenn der Lehrer durchaus nicht auf dem Stand¬ punkt von Harnack steht, kann er doch der *) In allen Städten, in allen Dörfern bildeten bei der Rückkehr von Johann Fried¬ rich Knaben und Mädchen, die letzteren einen Rautenkranz im Haar, Spalier, Oft brachte ein Knabe Goldstücke, die die treue Bürger¬ schaft gesammelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/52>, abgerufen am 27.09.2024.