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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Wie gewinnen wir die Arbeiterjugend?

anderes sein, wenn es auch nur zum Teil von der Jungen eigenen Groschen
erworben ist. Eine außerordentlich wichtige Hilfe kann allerdings der Staat
leisten: Ermäßigung der Eisenbahnpreise. Vereine von Jugendlichen, die eine
gewisse pädagogische Befähigung allerdings nachweisen müssen, sollten als Schüler
fahren können. Jetzt können tatsächlich unsere reichen Gymnasiasten auf ihren
Schultouren billiger fahren als meine Lehrlinge. Vor allem sollten die Be¬
hörden denen, die mit Mut, Liebe und Aufopferung sich der Arbeiterjugend
widmen, mehr Vertrauen schenken. Das Seelenleben unseres Volkes ist tat¬
sächlich Tausenden in unseren gelehrten Berufen ein unbekanntes Land. Darum
wird manches, was ein rechter Freund der Jugend unternimmt, merkwürdig
erscheinen. Aber dieser weiß schon, was er tut. Wenn ein Mann aus der
Fülle langjähriger Erfahrung sagt: die neuen Parks, die ihr anlegt am Rande
der Stadt, die nützen uns hier nichts; die freie Zeit unserer Jungen ist zu
kurz; viele sind auch zu matt; da bringe ich sie nicht hin; -- dann soll man
solchen Mann nicht hochmütig abweisen, sondern nachdenken über die furchtbare,
erschütternde Wahrheit, die er ausspricht.

Wenn solch ein Pfarrer oder Lehrer es ausspricht: wenn ich in meinem
Verein eine Bibelstunde halten wollte, so würde ich den Verein sprengen, so
sollte man's solchen: Manne glauben und ihm nicht Mangel an christlicher
Gesinnung vorwerfen. Im Gegenteil, Bewunderung gebührt den: Mut und
der Geduld, in dieser Arbeit auszuhalten. Vor allem muß es immer wieder
betont werden, daß es bei der Erziehung sich um psychologische Vorgänge handelt.
Durch Gründung von Heimen und Häusern, durch Ansprachen und Reden wird
es nicht gemacht. Sondern es handelt sich um sorgsame, schwierige, harte Arbeit.
Das wichtigste sind die rechten Männer, die es können. Die soll man halten
und unterstützen, und vertrauen, daß ein rechter Erzieher am rechten Platze
mehr schafft als das beste Komitee von Männern der besten Absichten. Vor
allem muß solches Komitee zunächst in der Stille wirken. Wird von seinen
Beratungen in den Zeitungen geschrieben, ehe die Arbeit selbst im Gange ist,
so macht die Sozialdemokratie mobil. In ihren Blättern, in den Werkstätten,
in der Gewerbeschule wird das neue Unternehmen schlecht gemacht, ehe die
Freunde der Jugend nur einen Jungen zu sehen bekommen.

Hat das Unternehmen Wurzel geschlagen, dann kann ein Komitee'einflu߬
reicher Männer viel nützen durch Vermittlung von Vorträgen, Büchern. Be¬
sichtigung von Fabriken usw. Eine recht schwierige Aufgabe ist es dann, auch
eine Vermittlung herzustellen mit den Forstbeamten und Besitzern von Waldungen.
Feldlager im Freien kommen zwar für die gewerbliche Jugend weniger in
Frage. Diese kann ja doch kaum je vierundzwanzig Stunden draußen sein.
Aber ein Sonnenwendfcuer ist doch etwas Schönes, auch der Besitz eines festen
Punktes in schöner Landschaft, wo die Wanderschar vom Wirte unabhängig ist.
Vor allem kann eine Forstverwaltung wohldisziplinierten Vereinen mehr Ver¬
trauen schenken als den unerfahrenen Wärterhäuser, die die Großstadt sonst


Wie gewinnen wir die Arbeiterjugend?

anderes sein, wenn es auch nur zum Teil von der Jungen eigenen Groschen
erworben ist. Eine außerordentlich wichtige Hilfe kann allerdings der Staat
leisten: Ermäßigung der Eisenbahnpreise. Vereine von Jugendlichen, die eine
gewisse pädagogische Befähigung allerdings nachweisen müssen, sollten als Schüler
fahren können. Jetzt können tatsächlich unsere reichen Gymnasiasten auf ihren
Schultouren billiger fahren als meine Lehrlinge. Vor allem sollten die Be¬
hörden denen, die mit Mut, Liebe und Aufopferung sich der Arbeiterjugend
widmen, mehr Vertrauen schenken. Das Seelenleben unseres Volkes ist tat¬
sächlich Tausenden in unseren gelehrten Berufen ein unbekanntes Land. Darum
wird manches, was ein rechter Freund der Jugend unternimmt, merkwürdig
erscheinen. Aber dieser weiß schon, was er tut. Wenn ein Mann aus der
Fülle langjähriger Erfahrung sagt: die neuen Parks, die ihr anlegt am Rande
der Stadt, die nützen uns hier nichts; die freie Zeit unserer Jungen ist zu
kurz; viele sind auch zu matt; da bringe ich sie nicht hin; — dann soll man
solchen Mann nicht hochmütig abweisen, sondern nachdenken über die furchtbare,
erschütternde Wahrheit, die er ausspricht.

Wenn solch ein Pfarrer oder Lehrer es ausspricht: wenn ich in meinem
Verein eine Bibelstunde halten wollte, so würde ich den Verein sprengen, so
sollte man's solchen: Manne glauben und ihm nicht Mangel an christlicher
Gesinnung vorwerfen. Im Gegenteil, Bewunderung gebührt den: Mut und
der Geduld, in dieser Arbeit auszuhalten. Vor allem muß es immer wieder
betont werden, daß es bei der Erziehung sich um psychologische Vorgänge handelt.
Durch Gründung von Heimen und Häusern, durch Ansprachen und Reden wird
es nicht gemacht. Sondern es handelt sich um sorgsame, schwierige, harte Arbeit.
Das wichtigste sind die rechten Männer, die es können. Die soll man halten
und unterstützen, und vertrauen, daß ein rechter Erzieher am rechten Platze
mehr schafft als das beste Komitee von Männern der besten Absichten. Vor
allem muß solches Komitee zunächst in der Stille wirken. Wird von seinen
Beratungen in den Zeitungen geschrieben, ehe die Arbeit selbst im Gange ist,
so macht die Sozialdemokratie mobil. In ihren Blättern, in den Werkstätten,
in der Gewerbeschule wird das neue Unternehmen schlecht gemacht, ehe die
Freunde der Jugend nur einen Jungen zu sehen bekommen.

Hat das Unternehmen Wurzel geschlagen, dann kann ein Komitee'einflu߬
reicher Männer viel nützen durch Vermittlung von Vorträgen, Büchern. Be¬
sichtigung von Fabriken usw. Eine recht schwierige Aufgabe ist es dann, auch
eine Vermittlung herzustellen mit den Forstbeamten und Besitzern von Waldungen.
Feldlager im Freien kommen zwar für die gewerbliche Jugend weniger in
Frage. Diese kann ja doch kaum je vierundzwanzig Stunden draußen sein.
Aber ein Sonnenwendfcuer ist doch etwas Schönes, auch der Besitz eines festen
Punktes in schöner Landschaft, wo die Wanderschar vom Wirte unabhängig ist.
Vor allem kann eine Forstverwaltung wohldisziplinierten Vereinen mehr Ver¬
trauen schenken als den unerfahrenen Wärterhäuser, die die Großstadt sonst


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[0039] Wie gewinnen wir die Arbeiterjugend? anderes sein, wenn es auch nur zum Teil von der Jungen eigenen Groschen erworben ist. Eine außerordentlich wichtige Hilfe kann allerdings der Staat leisten: Ermäßigung der Eisenbahnpreise. Vereine von Jugendlichen, die eine gewisse pädagogische Befähigung allerdings nachweisen müssen, sollten als Schüler fahren können. Jetzt können tatsächlich unsere reichen Gymnasiasten auf ihren Schultouren billiger fahren als meine Lehrlinge. Vor allem sollten die Be¬ hörden denen, die mit Mut, Liebe und Aufopferung sich der Arbeiterjugend widmen, mehr Vertrauen schenken. Das Seelenleben unseres Volkes ist tat¬ sächlich Tausenden in unseren gelehrten Berufen ein unbekanntes Land. Darum wird manches, was ein rechter Freund der Jugend unternimmt, merkwürdig erscheinen. Aber dieser weiß schon, was er tut. Wenn ein Mann aus der Fülle langjähriger Erfahrung sagt: die neuen Parks, die ihr anlegt am Rande der Stadt, die nützen uns hier nichts; die freie Zeit unserer Jungen ist zu kurz; viele sind auch zu matt; da bringe ich sie nicht hin; — dann soll man solchen Mann nicht hochmütig abweisen, sondern nachdenken über die furchtbare, erschütternde Wahrheit, die er ausspricht. Wenn solch ein Pfarrer oder Lehrer es ausspricht: wenn ich in meinem Verein eine Bibelstunde halten wollte, so würde ich den Verein sprengen, so sollte man's solchen: Manne glauben und ihm nicht Mangel an christlicher Gesinnung vorwerfen. Im Gegenteil, Bewunderung gebührt den: Mut und der Geduld, in dieser Arbeit auszuhalten. Vor allem muß es immer wieder betont werden, daß es bei der Erziehung sich um psychologische Vorgänge handelt. Durch Gründung von Heimen und Häusern, durch Ansprachen und Reden wird es nicht gemacht. Sondern es handelt sich um sorgsame, schwierige, harte Arbeit. Das wichtigste sind die rechten Männer, die es können. Die soll man halten und unterstützen, und vertrauen, daß ein rechter Erzieher am rechten Platze mehr schafft als das beste Komitee von Männern der besten Absichten. Vor allem muß solches Komitee zunächst in der Stille wirken. Wird von seinen Beratungen in den Zeitungen geschrieben, ehe die Arbeit selbst im Gange ist, so macht die Sozialdemokratie mobil. In ihren Blättern, in den Werkstätten, in der Gewerbeschule wird das neue Unternehmen schlecht gemacht, ehe die Freunde der Jugend nur einen Jungen zu sehen bekommen. Hat das Unternehmen Wurzel geschlagen, dann kann ein Komitee'einflu߬ reicher Männer viel nützen durch Vermittlung von Vorträgen, Büchern. Be¬ sichtigung von Fabriken usw. Eine recht schwierige Aufgabe ist es dann, auch eine Vermittlung herzustellen mit den Forstbeamten und Besitzern von Waldungen. Feldlager im Freien kommen zwar für die gewerbliche Jugend weniger in Frage. Diese kann ja doch kaum je vierundzwanzig Stunden draußen sein. Aber ein Sonnenwendfcuer ist doch etwas Schönes, auch der Besitz eines festen Punktes in schöner Landschaft, wo die Wanderschar vom Wirte unabhängig ist. Vor allem kann eine Forstverwaltung wohldisziplinierten Vereinen mehr Ver¬ trauen schenken als den unerfahrenen Wärterhäuser, die die Großstadt sonst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/39>, abgerufen am 19.10.2024.