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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Iveltpolitik und Lugland

ziemlich verbreiteten Stimmung entsprechen. Aber was in aller Welt soll man
sich bei dieser Phrase denken? Die "Anerkennung" der Macht Deutschlands
liegt doch schon in der Tatsache, daß England uns seit fast zehn Jahren die
Ehre erweist, unserer Politik überall entgegenzutreten. Einem nicht ebenbürtigen
Rivalen gegenüber wäre solche Übung doch kaum der Mühe wert gewesen.
Aber man sehe sich einmal die nachstehend wiedergegebene juristische Formulierung
einer solchen Forderung an.

Die Kaiserlich Deutsche Regierung und die Königlich Großbritannische
Regierung schließen, in Erwägung daß . . . folgende Abkommen.

Artikel I: Die Königlich Großbritannische Negierung erkennt die politische
Gleichberechtigung der Kaiserlich Deutschen Regierung an.

Zerfließt nicht durch diesen Satz allein alles unter den Händen? Es ist
reinste Gefühlspolitik. Und doch rühmen wir Deutschen uns, Realpolitiker
zu seinl

Man muß sich auch vergegenwärtigen, daß sich eine Annäherung zwischen
zwei Ländern nicht im Umsehen erreichen läßt. Einen Vertrag würden die
Regierungen wohl in einigen Monaten diplomatischer Verhandlungen zustande
bringen; ein solcher Vertrag könnte auch eine politische Entspannung der Lage
herbeiführen, aber zunächst auch nicht mehr. Die Verhandlungen würden aus
der Erörterung einer großen Menge von Details bestehen; wir haben ja das
Beispiel der deutsch-französischen Verhandlungen vom letzten Sommer noch in
Erinnerung. Aber lehrreich ist es, auf die allmähliche Entwicklung der englischen
Erdeulen zurückzublicken.

Zunächst schloß England sowohl mit Frankreich wie mit Rußland detaillierte
kolonialpolitische Abkommen, dennoch hat es Jahre gewährt, bis sich die gegen¬
wärtigen, sehr viel engeren Beziehungen herausgebildet haben. Im Sommer
1904 verhielten sich die Franzosen der englischen Freundschaft noch sehr kühl
gegenüber, und noch nach der ersten Marokkokrisis von 1905 konnte sich das
Kabinett Clemenceau des alten Mißtrauens gegen die englische Politik nicht
erwehren. Die englischen Radikalen haben in ihrer jüngsten Fehde gegen Sir
Edward Greu immer wiederholt, daß die englische Regierung durch die Be¬
stimmungen des Vertrages von 1904 nicht verpflichtet gewesen wäre, in der
Unterstützung Frankreichs so weit zu gehen, als sie im letzten Sommer gegangen
ist. Das mag ganz richtig sein; der Vertrag von 1904 bildete nur die Grund¬
lage, auf der sich erst allmählich, aus einer langen Reihe gemeinsamer
Beratungen, gemeinsamer Handlungen und gemeinsamer böser und guter
Erfahrungen die Entente des letzten Sommers aufgebaut hat. Ähnlich verhält
es sich mit der englisch-russischen Entente. Wenn die persischen Schwierigkeiten
des letzten Jahres unmittelbar in die Zeit nach Abschluß des Abkommens von
^907 gefallen wären, so kann man zweifelhaft sein, ob die englisch-russische
Freundschaft diese Belastungsprobe so bestanden hätte, wie es schließlich, wenn
auch unter augenfälligen Schwierigkeiten, jetzt geschehen ist. Auch die englisch.


Die deutsche Iveltpolitik und Lugland

ziemlich verbreiteten Stimmung entsprechen. Aber was in aller Welt soll man
sich bei dieser Phrase denken? Die „Anerkennung" der Macht Deutschlands
liegt doch schon in der Tatsache, daß England uns seit fast zehn Jahren die
Ehre erweist, unserer Politik überall entgegenzutreten. Einem nicht ebenbürtigen
Rivalen gegenüber wäre solche Übung doch kaum der Mühe wert gewesen.
Aber man sehe sich einmal die nachstehend wiedergegebene juristische Formulierung
einer solchen Forderung an.

Die Kaiserlich Deutsche Regierung und die Königlich Großbritannische
Regierung schließen, in Erwägung daß . . . folgende Abkommen.

Artikel I: Die Königlich Großbritannische Negierung erkennt die politische
Gleichberechtigung der Kaiserlich Deutschen Regierung an.

Zerfließt nicht durch diesen Satz allein alles unter den Händen? Es ist
reinste Gefühlspolitik. Und doch rühmen wir Deutschen uns, Realpolitiker
zu seinl

Man muß sich auch vergegenwärtigen, daß sich eine Annäherung zwischen
zwei Ländern nicht im Umsehen erreichen läßt. Einen Vertrag würden die
Regierungen wohl in einigen Monaten diplomatischer Verhandlungen zustande
bringen; ein solcher Vertrag könnte auch eine politische Entspannung der Lage
herbeiführen, aber zunächst auch nicht mehr. Die Verhandlungen würden aus
der Erörterung einer großen Menge von Details bestehen; wir haben ja das
Beispiel der deutsch-französischen Verhandlungen vom letzten Sommer noch in
Erinnerung. Aber lehrreich ist es, auf die allmähliche Entwicklung der englischen
Erdeulen zurückzublicken.

Zunächst schloß England sowohl mit Frankreich wie mit Rußland detaillierte
kolonialpolitische Abkommen, dennoch hat es Jahre gewährt, bis sich die gegen¬
wärtigen, sehr viel engeren Beziehungen herausgebildet haben. Im Sommer
1904 verhielten sich die Franzosen der englischen Freundschaft noch sehr kühl
gegenüber, und noch nach der ersten Marokkokrisis von 1905 konnte sich das
Kabinett Clemenceau des alten Mißtrauens gegen die englische Politik nicht
erwehren. Die englischen Radikalen haben in ihrer jüngsten Fehde gegen Sir
Edward Greu immer wiederholt, daß die englische Regierung durch die Be¬
stimmungen des Vertrages von 1904 nicht verpflichtet gewesen wäre, in der
Unterstützung Frankreichs so weit zu gehen, als sie im letzten Sommer gegangen
ist. Das mag ganz richtig sein; der Vertrag von 1904 bildete nur die Grund¬
lage, auf der sich erst allmählich, aus einer langen Reihe gemeinsamer
Beratungen, gemeinsamer Handlungen und gemeinsamer böser und guter
Erfahrungen die Entente des letzten Sommers aufgebaut hat. Ähnlich verhält
es sich mit der englisch-russischen Entente. Wenn die persischen Schwierigkeiten
des letzten Jahres unmittelbar in die Zeit nach Abschluß des Abkommens von
^907 gefallen wären, so kann man zweifelhaft sein, ob die englisch-russische
Freundschaft diese Belastungsprobe so bestanden hätte, wie es schließlich, wenn
auch unter augenfälligen Schwierigkeiten, jetzt geschehen ist. Auch die englisch.


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[0369] Die deutsche Iveltpolitik und Lugland ziemlich verbreiteten Stimmung entsprechen. Aber was in aller Welt soll man sich bei dieser Phrase denken? Die „Anerkennung" der Macht Deutschlands liegt doch schon in der Tatsache, daß England uns seit fast zehn Jahren die Ehre erweist, unserer Politik überall entgegenzutreten. Einem nicht ebenbürtigen Rivalen gegenüber wäre solche Übung doch kaum der Mühe wert gewesen. Aber man sehe sich einmal die nachstehend wiedergegebene juristische Formulierung einer solchen Forderung an. Die Kaiserlich Deutsche Regierung und die Königlich Großbritannische Regierung schließen, in Erwägung daß . . . folgende Abkommen. Artikel I: Die Königlich Großbritannische Negierung erkennt die politische Gleichberechtigung der Kaiserlich Deutschen Regierung an. Zerfließt nicht durch diesen Satz allein alles unter den Händen? Es ist reinste Gefühlspolitik. Und doch rühmen wir Deutschen uns, Realpolitiker zu seinl Man muß sich auch vergegenwärtigen, daß sich eine Annäherung zwischen zwei Ländern nicht im Umsehen erreichen läßt. Einen Vertrag würden die Regierungen wohl in einigen Monaten diplomatischer Verhandlungen zustande bringen; ein solcher Vertrag könnte auch eine politische Entspannung der Lage herbeiführen, aber zunächst auch nicht mehr. Die Verhandlungen würden aus der Erörterung einer großen Menge von Details bestehen; wir haben ja das Beispiel der deutsch-französischen Verhandlungen vom letzten Sommer noch in Erinnerung. Aber lehrreich ist es, auf die allmähliche Entwicklung der englischen Erdeulen zurückzublicken. Zunächst schloß England sowohl mit Frankreich wie mit Rußland detaillierte kolonialpolitische Abkommen, dennoch hat es Jahre gewährt, bis sich die gegen¬ wärtigen, sehr viel engeren Beziehungen herausgebildet haben. Im Sommer 1904 verhielten sich die Franzosen der englischen Freundschaft noch sehr kühl gegenüber, und noch nach der ersten Marokkokrisis von 1905 konnte sich das Kabinett Clemenceau des alten Mißtrauens gegen die englische Politik nicht erwehren. Die englischen Radikalen haben in ihrer jüngsten Fehde gegen Sir Edward Greu immer wiederholt, daß die englische Regierung durch die Be¬ stimmungen des Vertrages von 1904 nicht verpflichtet gewesen wäre, in der Unterstützung Frankreichs so weit zu gehen, als sie im letzten Sommer gegangen ist. Das mag ganz richtig sein; der Vertrag von 1904 bildete nur die Grund¬ lage, auf der sich erst allmählich, aus einer langen Reihe gemeinsamer Beratungen, gemeinsamer Handlungen und gemeinsamer böser und guter Erfahrungen die Entente des letzten Sommers aufgebaut hat. Ähnlich verhält es sich mit der englisch-russischen Entente. Wenn die persischen Schwierigkeiten des letzten Jahres unmittelbar in die Zeit nach Abschluß des Abkommens von ^907 gefallen wären, so kann man zweifelhaft sein, ob die englisch-russische Freundschaft diese Belastungsprobe so bestanden hätte, wie es schließlich, wenn auch unter augenfälligen Schwierigkeiten, jetzt geschehen ist. Auch die englisch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/369>, abgerufen am 19.10.2024.