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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren

Wie ein Gruß des toten Meisters drang uns der friedevolle Ton zu
Herzen, Tränen innerer Ergriffenheit uns in das Auge treibend. Langsam
wandten wir uns ab von der geweihten Stätte, ließen über die niedrige Brüstung
der Friedhofsterrasse den Blick hinabschweifen ans die geschäftige Stadt und den
schimmernden See, den so vielfach von dem Dichter besungenen, und empfanden
tief den Zauber der herrlichen Landschaft: Kein schönerer Ruheplatz konnte
gerade für ihn, der so fest im heimischen Boden wurzelte, gefunden werden.

Doch nun drängte es uns, auch Meners Wohnhaus kennen zu lernen,
und dies erwies sich als schwieriger. Zwar hatte uus schon in Bendlikon ein
zur Post eilendes Fräulein versichert, oben in Kilchberg werde jedes Kind uns
Bescheid geben können. Als wir aber zwei pfiffig blickende Schweizerbuben
auf die Probe stellten und, um ihnen zu helfen, schließlich nach dem Hause des
Herrn Doktor Meyer fragten, kam statt der Antwort die zögernde Gegenfrage:
"Ein Herr Doktor ischt er gsie?" -- Hilfe ward uns wiederum von einer Dame,
die, offenbar eine Lehrerin, mit einem Packen Schulhefte und im Gefolge einiger
rotbäckiger Mädchen daherkam. Sie hieß uns der am Bergesrand entlang¬
führenden Straße folgen, und bald fanden wir nun das unterhalb der Kirche
liegende geräumige Anwesen. Ein parkartiger, von alten Bäumen beschatteter
Garten geht auf der einen Seite in Obstgelände über, auf der anderen grenzt
er an die Hauptfront des Hauses mit ihren? blumengeschmückten Verandavorbau,
während der Giebel der Landstraße zugekehrt ist. Entsprechend dem links vom
Hause sich ausbreitenden Garten liegt zur Rechten der Hof, eingefaßt von
Wirtschaftsgebäuden und überragt von zwei geschwisterlich nebeneinander stehenden
riesenhaften Pappeln, vor denen die zierliche Säule eines Brunnens beständig
ihr klares Naß sprudeln läßt. Auch hier, wie bei dem vorhin geschauten Grabe,
fühlten wir uns innig berührt von der Harmonie der äußeren Dinge mit der
Wesenheit der Person: Kein falscher modischer Prunk an dieser Dichterheim¬
stätte, die mit liebevoller Hand aus einem ehemals bäuerlichen Besitztum ent¬
wickelt zu sein scheint; alles schlicht und schmucklos, aber doch stattlich und von
behaglicher Wohlhabenheit zeugend, wie sie dein Sproß des alten Züricher
Patriziergeschlechts gebührte.

Noch lange blieben uns die beiden riesigen Pappeln sichtbar, als mir nach¬
mittags von: Schiffe aus Scheideblicke hinaufsandten nach dem lieblichen Kilch¬
berg. Unsere Fahrt ging nach dem am östlichen Ende des Sees gelegenen
Rapperswil, um von da ans die Insel Ufenan, den Schauplatz der Dichtung
"Huttens letzte Tage", aufzusuchen. Die Seelandschaft verändert dort ihren
Charakter. Je näher an Zürich, desto mehr glänzt die Flut in heiterer Bläue,
die Ufer sind besetzt mit schmucken Ortschaften und die sanft ansteigenden Hänge
besät mit bunten Landhäusern, überall ist Leben und blühende Gegenwart.
Rapperswil dagegen mit dein hochragenden altersgrauen Schlosse und den in
seinem Schutze sich zusammendrängenden Häusern mutet wie ein Bild aus längst
vergangenen Zeiten an. Der See ist dort zwar breit, aber auf weite Strecken


Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren

Wie ein Gruß des toten Meisters drang uns der friedevolle Ton zu
Herzen, Tränen innerer Ergriffenheit uns in das Auge treibend. Langsam
wandten wir uns ab von der geweihten Stätte, ließen über die niedrige Brüstung
der Friedhofsterrasse den Blick hinabschweifen ans die geschäftige Stadt und den
schimmernden See, den so vielfach von dem Dichter besungenen, und empfanden
tief den Zauber der herrlichen Landschaft: Kein schönerer Ruheplatz konnte
gerade für ihn, der so fest im heimischen Boden wurzelte, gefunden werden.

Doch nun drängte es uns, auch Meners Wohnhaus kennen zu lernen,
und dies erwies sich als schwieriger. Zwar hatte uus schon in Bendlikon ein
zur Post eilendes Fräulein versichert, oben in Kilchberg werde jedes Kind uns
Bescheid geben können. Als wir aber zwei pfiffig blickende Schweizerbuben
auf die Probe stellten und, um ihnen zu helfen, schließlich nach dem Hause des
Herrn Doktor Meyer fragten, kam statt der Antwort die zögernde Gegenfrage:
„Ein Herr Doktor ischt er gsie?" — Hilfe ward uns wiederum von einer Dame,
die, offenbar eine Lehrerin, mit einem Packen Schulhefte und im Gefolge einiger
rotbäckiger Mädchen daherkam. Sie hieß uns der am Bergesrand entlang¬
führenden Straße folgen, und bald fanden wir nun das unterhalb der Kirche
liegende geräumige Anwesen. Ein parkartiger, von alten Bäumen beschatteter
Garten geht auf der einen Seite in Obstgelände über, auf der anderen grenzt
er an die Hauptfront des Hauses mit ihren? blumengeschmückten Verandavorbau,
während der Giebel der Landstraße zugekehrt ist. Entsprechend dem links vom
Hause sich ausbreitenden Garten liegt zur Rechten der Hof, eingefaßt von
Wirtschaftsgebäuden und überragt von zwei geschwisterlich nebeneinander stehenden
riesenhaften Pappeln, vor denen die zierliche Säule eines Brunnens beständig
ihr klares Naß sprudeln läßt. Auch hier, wie bei dem vorhin geschauten Grabe,
fühlten wir uns innig berührt von der Harmonie der äußeren Dinge mit der
Wesenheit der Person: Kein falscher modischer Prunk an dieser Dichterheim¬
stätte, die mit liebevoller Hand aus einem ehemals bäuerlichen Besitztum ent¬
wickelt zu sein scheint; alles schlicht und schmucklos, aber doch stattlich und von
behaglicher Wohlhabenheit zeugend, wie sie dein Sproß des alten Züricher
Patriziergeschlechts gebührte.

Noch lange blieben uns die beiden riesigen Pappeln sichtbar, als mir nach¬
mittags von: Schiffe aus Scheideblicke hinaufsandten nach dem lieblichen Kilch¬
berg. Unsere Fahrt ging nach dem am östlichen Ende des Sees gelegenen
Rapperswil, um von da ans die Insel Ufenan, den Schauplatz der Dichtung
„Huttens letzte Tage", aufzusuchen. Die Seelandschaft verändert dort ihren
Charakter. Je näher an Zürich, desto mehr glänzt die Flut in heiterer Bläue,
die Ufer sind besetzt mit schmucken Ortschaften und die sanft ansteigenden Hänge
besät mit bunten Landhäusern, überall ist Leben und blühende Gegenwart.
Rapperswil dagegen mit dein hochragenden altersgrauen Schlosse und den in
seinem Schutze sich zusammendrängenden Häusern mutet wie ein Bild aus längst
vergangenen Zeiten an. Der See ist dort zwar breit, aber auf weite Strecken


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[0347] Auf Lonrad Ferdinand Meyers Spuren Wie ein Gruß des toten Meisters drang uns der friedevolle Ton zu Herzen, Tränen innerer Ergriffenheit uns in das Auge treibend. Langsam wandten wir uns ab von der geweihten Stätte, ließen über die niedrige Brüstung der Friedhofsterrasse den Blick hinabschweifen ans die geschäftige Stadt und den schimmernden See, den so vielfach von dem Dichter besungenen, und empfanden tief den Zauber der herrlichen Landschaft: Kein schönerer Ruheplatz konnte gerade für ihn, der so fest im heimischen Boden wurzelte, gefunden werden. Doch nun drängte es uns, auch Meners Wohnhaus kennen zu lernen, und dies erwies sich als schwieriger. Zwar hatte uus schon in Bendlikon ein zur Post eilendes Fräulein versichert, oben in Kilchberg werde jedes Kind uns Bescheid geben können. Als wir aber zwei pfiffig blickende Schweizerbuben auf die Probe stellten und, um ihnen zu helfen, schließlich nach dem Hause des Herrn Doktor Meyer fragten, kam statt der Antwort die zögernde Gegenfrage: „Ein Herr Doktor ischt er gsie?" — Hilfe ward uns wiederum von einer Dame, die, offenbar eine Lehrerin, mit einem Packen Schulhefte und im Gefolge einiger rotbäckiger Mädchen daherkam. Sie hieß uns der am Bergesrand entlang¬ führenden Straße folgen, und bald fanden wir nun das unterhalb der Kirche liegende geräumige Anwesen. Ein parkartiger, von alten Bäumen beschatteter Garten geht auf der einen Seite in Obstgelände über, auf der anderen grenzt er an die Hauptfront des Hauses mit ihren? blumengeschmückten Verandavorbau, während der Giebel der Landstraße zugekehrt ist. Entsprechend dem links vom Hause sich ausbreitenden Garten liegt zur Rechten der Hof, eingefaßt von Wirtschaftsgebäuden und überragt von zwei geschwisterlich nebeneinander stehenden riesenhaften Pappeln, vor denen die zierliche Säule eines Brunnens beständig ihr klares Naß sprudeln läßt. Auch hier, wie bei dem vorhin geschauten Grabe, fühlten wir uns innig berührt von der Harmonie der äußeren Dinge mit der Wesenheit der Person: Kein falscher modischer Prunk an dieser Dichterheim¬ stätte, die mit liebevoller Hand aus einem ehemals bäuerlichen Besitztum ent¬ wickelt zu sein scheint; alles schlicht und schmucklos, aber doch stattlich und von behaglicher Wohlhabenheit zeugend, wie sie dein Sproß des alten Züricher Patriziergeschlechts gebührte. Noch lange blieben uns die beiden riesigen Pappeln sichtbar, als mir nach¬ mittags von: Schiffe aus Scheideblicke hinaufsandten nach dem lieblichen Kilch¬ berg. Unsere Fahrt ging nach dem am östlichen Ende des Sees gelegenen Rapperswil, um von da ans die Insel Ufenan, den Schauplatz der Dichtung „Huttens letzte Tage", aufzusuchen. Die Seelandschaft verändert dort ihren Charakter. Je näher an Zürich, desto mehr glänzt die Flut in heiterer Bläue, die Ufer sind besetzt mit schmucken Ortschaften und die sanft ansteigenden Hänge besät mit bunten Landhäusern, überall ist Leben und blühende Gegenwart. Rapperswil dagegen mit dein hochragenden altersgrauen Schlosse und den in seinem Schutze sich zusammendrängenden Häusern mutet wie ein Bild aus längst vergangenen Zeiten an. Der See ist dort zwar breit, aber auf weite Strecken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/347>, abgerufen am 29.12.2024.